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65. Berlinale
Bodenständiger Bärensegen

Die Auszeichnungen sind verteilt. Und wieder wirbt die Berlinale mit dem politischen Etikett ihrer Verleihungen. Auch deshalb erhielt der iranische Regisseur Jafar Panahi mit seinem Film "Taxi" den Goldenen Bären.

Von Christoph Schmitz | 15.02.2015
    Die Nichte des Regisseurs Jafar Panahi, Hanna Saeidi, zeigt am 14.02.2015 bei der Preisverleihung der 65. Internationalen Filmfestspiele in Berlin den Goldenen Bären, den sie für den Film «Taxi» von Jafar Panahi entgegengenommen hat. Rechts: die Jury-Mitglieder, US-Regisseur Darren Aronofsky und die französische Schauspielerin Audrey Tautou.
    Regisseur Jafar Panahi durfte nicht anreisen - seine Nichte Hanna Saeidi (li.) nahm den Preis entgegen. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    "Panahi hat einen Liebesbrief an das Kino geschrieben. Sein Film ist erfüllt von der Liebe zu seiner Kunst, seiner Gemeinde, seinem Land und seinem Publikum." So begründete Jurypräsidenten Darren Aronofsky die Verleihung des Goldenen Bären an den iranischen Regisseur Jafar Panahi und seinen Film "Taxi".
    Eine Taxifahrt durch Teheran heute erzählt Panahi in seinem kleinen Spielfilm. Die Nichte des Taxifahrers liest dem Onkel am Steuer aus dem Schulheft die islamischen Regeln für einen Filmdreh vor, Regeln, die die Lehrerin diktiert hat, vor allem Verbote. Regisseur Panahi selbst spielt den Taxifahrer unter eigenem Namen. Die Kamera steckt vor der Scheibe auf dem Armaturenbrett. Manche seiner Kunden erkennen Panahi als den berühmten und vom iranischen Regime zu jahrzehntelangem Berufs- und Ausreiseverbot verurteilten Künstler. Eine Menschenrechtsanwältin entblößt in wenigen Sätzen die Perfidie des Gottesstaates. Einen DVD-Händler fährt Panahi zu dessen illegalen Geschäftstreffen. Die Bedrohung durch Spitzel ist allgegenwärtig. Ein Alltagsdrama in Kleinformat ist "Taxi", verhalten, anspielungsreich.
    Dem Mut, trotz Verbot zu drehen, gebührt hohe Achtung. Panahi dafür den Goldenen Bären zu verleihen, ist ein rein politisches Signal. Mit der künstlerischen Qualität hat das nichts zu tun. So wurde die Jury dem Ruf der Berlinale, ein besonders politisches Festival zu sein, gerecht. Was bei der Preisgala Berlinale-Chef Dieter Kosslick noch einmal betonte.
    "Ich glaube, es ist schon wichtig, dass wir diese Filme hatten, wo es ja immer heißt, diese politischen Filme, denn die reflektieren ja eigentlich, was da passiert. Und von daher waren wir nicht auf dem roten Teppich, sondern wir waren in dieser Welt drin auf dem roten Teppich. Und so lange wir auf dem roten Teppich bleiben und das wissen, dann hat das Festival auch was mit der Welt zu tun. Und dann ist es politisch."
    Berlinale war nicht politischer als andere Festivals
    Auch wenn die Berlinale das Etikett politisch pflegt, war sie in diesem Jahr gar nicht politischer als andere Filmfeste auch. Auffallend war, dass vor allem die kammerspielartigen Filme die besseren waren und in der Überzahl. Und genau die hat die Jury mit dem Goldenen und den Silbernen Bären bedacht. Den Großen Preis der Jury erhielt der Chilene Pablo Larraín für "El Club", ein Film über eine Gruppe von Priestern, teils von der katholischen Kirche exkommuniziert, und einer ebenfalls ausgeschlossenen Nonne. Alle haben sie grässliche Verbrechen begangen, Kinderhandel, sexuellen Kindesmissbrauch, Gewalt. Keiner wurde der Justiz übergeben. Ein Jesuit kommt hinzu und soll aufklären. Die Nonne beschwichtigt. Der Regisseur Pablo Larraín in seinen Dankesworten:
    "Es gab es viele Dinge, die, um die Idee und die Vorstellung von Gott herum geschehen sind, getan worden sind. Viele Menschen mussten leiden, sind getötet worden. Und ich hoffe, dass dies im Namen Gottes eines Tages aufhört. Vielen Dank."
    Ein kleines, intensives Kammerspiel über die Jagd auf einen sogenannten Zigeunersklaven um 1830 in der Walachei erzählt der Rumäne Radu Jude in seinem Film "Aferim!", für den Jude den Regie-Preis erhielt. Vater und Sohn, beide Gendarme, reiten plaudernd und fluchtend durch ein multiethnisches Land, in dem jeder jedem misstraut. Ein deftiger und doch nachdenklicher Film.
    Zur Jury-Begründung: "Der erste geht an einen Film mit einer großen Vision und einer wirklich großen Bildkontrolle und der uns an einen vollständigen anderen Ort entführt."
    Einen silbernen Regie-Bären erhielt auch und ebenfalls zu Recht die Polin Malgorzata Szumowska für "Body", ein Film über ein magersüchtiges Mädchen, das den frühen Tod der Mutter nicht verwunden hat und dem schweigsamen Vater erst einmal hasserfüllt beim Fressen zuschaut. Am Schluss steht Heilung in Aussicht. Regisseurin Szumowska konnte dem Preis noch etwas Anderes abgewinnen:
    "Ich bin ein Regisseur, aber ich bin auch eine Frau. Und das ist ein super Kombination."
    Nur drei von 19 Regisseure weiblich
    Szumowska gehörte zu den wenigen im Wettbewerb vertretenen Regisseurinnen. Drei von 19 waren es insgesamt, was internationalem Durchschnitt entspricht, aber die Sache nicht besser macht. Von den 19 Filmen haben zehn einen Preis bekommen. Das zeigt, wie breit gestreut die Qualität des Festivals war. Beachtliche Filme allesamt, Meisterwerke allerdings nicht. Und wenn Pahanis "Taxi" der Jury ein Goldener Bär wert war, dann hätte ihn aus ästhetischer Sicht ebenso gut fast jede andere Arbeit bekommen können, die mit einem Silbernen Bären geehrt wurde, ganz besonders "45 Years" von Andrew Haigh über die Irritationen in einer Jahrzehnte alten Ehe. Durch die Erinnerungen des Mannes an eine frühere und früh verstorbene Geliebte verliert die eingeübte Harmonie ihr Gleichgewicht. Subtil gezeichnet von der Regie und ebenso subtil gespielt von Tom Courtenay und Charlotte Rampling in den Hauptrollen, die beide für ihre Schauspielkunst prämiert wurden. Charlotte Rampling:
    "Vielen Dank Berlin, vielen Dank an die Jury, vielen Dank an Tom, an Andrew, weil Tom und ich hier die Möglichkeit hatten, wirklich ein Stück Leben zum Ausdruck zu bringen."
    Ein Wermutstropfen bei der diesjährigen Jury-Entscheidung, dass ein zugegebenermaßen sehr umstrittener Film ganz leer ausging, nämlich "Knight of Cups" von Terrence Malick, ein hochfahrender Essay in Spielfilmform über Glanz und Elend des Lebens, über Hoffnung und Sehnsucht und nie erlöschende Suche nach Sinn und Erfüllung. Aber vielleicht sind Filme dieser Art auf der Berlinale mit ihrer bodenständigeren Ausrichtung fehl am Platz.