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66 Sätze über die Liebe

Christian M. Fuchs ist die Liebe 66 Sätze wert. Es sind lange Sätze, die schon mal über drei Seiten gehen. Es handelt sich also weniger um Sätze als um Miniaturen, Skizzen, literarische Häppchen über die Liebe. 66 Versuche, eine Sprache der Liebe und Wörter für das große Gefühl zu finden. Herausgekommen sind Momentaufnahmen, die mehr verbergen als offenbaren.

Shirin Sojitrawalla | 26.09.2003
    Wer beginnt in dem Buch zu lesen, erhebt unwillkürlich die Stimme, liest die Sätze laut. Das liegt auch daran, dass Christian Fuchs beinahe atemlos erzählt und stakkatohaft aneinanderreiht. Das hat durchaus etwas von einer Litanei.

    Wie schon in seinem Erzählungsband "Die Zeit des Südens war vorbei" erweist sich Christian Fuchs auch diesmal als Mann der wenigen Worte. Viele der vorliegenden Miniaturen verschweigen lieber als dass sie etwas verraten. All die namenlosen Figuren, die aus unterschiedlichen Perspektiven erzählen, bleiben schemenhaft, bestenfalls geheimnisvoll. Und Situationen deutet Christian Fuchs mit Vorliebe nur an; er wird einfach nicht gern konkret, fürchtet den Zauber zu zerstören, den Zauber der Wörter wie den der Liebe.

    Viele seiner Sätze bleiben deswegen rätselhaft, hängen im Nebel der Vagheit. Möglicherweise sind es aber auch die diffusen Gefühle, die zur Unschärfe der Beschreibungen führen. Dabei hat man den Eindruck, die Sätze liefen zuweilen auf Stöckelschuhen. Dann buhlen die Wörter um Aufmerksamkeit und man hört sie förmlich klackern. Gleich darauf aber lässt Christian Fuchs seine Sätze seiltanzen, setzt fast ängstlich ein Wort vors andere. So stehen bei ihm ganz unlyrische Formulierungen wie "Himmel, ist es kompliziert, Schluss zu machen" neben poetischen Liebeserklärungen. Dieser Wechsel findet auch inhaltlich seinen Nachklang, spürt Christian Fuchs doch auch immer Gegensatzpaaren der Liebe nach: der unerhörten Nähe und der Distanz, dem unfassbaren Glück und der Trauer, der unbändigen Liebe und dem Hass.

    Dabei nähert er sich seinem Thema in konzentrischen Kreisen: er umzingelt es. Und jeder, der seine eigenen Liebesleichen im Keller hat, summt beim Lesen den gut eingeübten Dreiklang aus Begehren, Gewohnheit und Abschied mit. "Es endet unweigerlich in Tränen", heißt es an einer Stelle. Doch wo andere Autoren nur Singles sehen, spricht er richtig und schön von "Trauerprofis und Schmerzveteranen." Wie man ihm überhaupt bescheinigen muss, dass er vieles gut erkennt und präzise formuliert. Etwa, dass wir mit anderen andere sind.

    Doch dann wieder wundert man sich, zu welchen Metaphern Christian Fuchs zuweilen greift. So ist wohl jedem Teenager beim obligatorischen Gedichteschreiben schon das Bild von der Droge Liebe und den nacheinander Süchtigen in den Kopf gekommen. Das Bild ist - bei aller Liebe - verbraucht und heillos pubertär, was zumindest zum Wesen der Liebe passt, die, wenn sie erwachsen wird auch schon nicht mehr ist, was sie einmal war. Trotzdem: in diesem Buch gibt es ein bisschen viel Zauber, Magie und Engelwesen.

    Dabei bewegt sich die Stimmung immer auf der Kippe zwischen "Ich könnte die ganze Welt umarmen" und "Ich mag nicht mehr". Denn ganz im Gegenteil etwa zu Stendhal, der in seinem Essay "Über die Liebe" seinen Gegenstand beinahe mitleidslos unters Mikroskop legt, begibt sich Christian Fuchs mitten hinein ins ganz normale Chaos der Liebe, erlebt wieder, fühlt nach und stirbt all die kleinen Tode noch einmal.

    Dabei formuliert er auch eine leise Kritik an der heutigen Liebeskonsumhaltung, die sich unersättlich gibt und gerade deswegen unbefriedigend bleibt.

    "Kurzes Glück kann jeder", wusste Kurt Tucholsky. Und weil das so ist, bleibt die Liebe eine unerschöpfliche Quelle des Leids. Das ist natürlich alles furchtbar banal, und nicht wenige kennen das ewige Hin und Her aus Sehnsucht, Angst und Zweisamkeit zur Genüge. Auch bei Christian Fuchs bleibt die Welt schön draußen vor der Tür, alles dreht sich ums polierte Ich. Seine Sätze sind dabei Variationen ein und desselben Themas. Er führt Spielarten der Liebe vor, geht der Nächstenliebe ebenso nach wie der Freundschaft, beäugt die Leidenschaft und die Eifersucht, stellt alles fragmentarisch nebeneinander, was sich manchmal liest wie der Inhalt eines Notizbüchleins.

    So ist das, was am Ende von dem schmalen Buch bleibt ein wunderschönes Motto. Es stammt von dem argentinischen Schriftsteller Julio Cortázar und lautet: "Du kannst nicht wissen, ob ich Dich liebe oder nicht. Nicht einmal das kannst du wissen". Zwei Sätze über die Liebe. Mehr braucht es manchmal gar nicht.