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67. Internationaler Musikwettbewerb der ARD
Zittrige Hände und wunde Lippen

Egal ob Sänger, Trompeter, Bratscher- viele Musiker zittern vor ihren Auftritten beim Internationalen ARD-Musikwettbewerb. Gestern fand das Finale im Fach Viola statt. Der erstplatzierte Chinese Diyang Mei widerlegte mit seinem virtuosen Spiel ein altes Bratschen-Klischee.

Von Franziska Stürz | 17.09.2018
    Ein Mann spielt auf einer Bratsche / Viola
    Der Chinese Diyang Mei gewann den ersten Platz im Fach Viola (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    Wie ein großes Crescendo steigert sich die Intensität des ARD Wettbewerbs jedes Jahr über die ersten zehn Tage, um dann in den drei Preisträgerkonzerten zu gipfeln. Der Publikumsmagnet Gesang gibt am 3. September den Wettbewerbsauftakt im Studio 1 des BR Funkhauses. Schon eine Stunde vor Beginn drängen sich Menschen vor der Pforte, die die sechzig Sängerinnen und Sänger von der ersten Runde an aufmerksam verfolgen:
    Zuschauerin :"Vor allem Gesang, das ist nur alle drei Jahre glaube ich, das interessiert mich sehr. Ich singe selber in zwei Chören, gerade die verschiedenen Stimmen zu vergleichen." Paar: "Wir genießen letztendlich, aber wir wollen jetzt nochmal zur Konkurrenz gehen und nochmal eine Trompete hören."
    "Ich habe jetzt nicht wirklich mit Nervosität zu kämpfen, es ist eher eine positive Aufregung, und es ist nicht so dass es mich und mein Spielen beeinträchtigt", sagt die erst zwanzigjährige Österreicherin Selina Ott, die sich so den ersten Preis im Fach Trompete erspielt.
    Musiker kämpfen mit Nervosität
    Aber die meisten anderen Wettbewerbsteilnehmer haben doch mit großer Nervosität zu kämpfen. Egal ob Sänger, Trompeter, Bratscher- viele zittern vor ihren Auftritten. Ein paar Trompeter brechen ihren Vortrag ab, weil sie ihre Lippen wund geübt haben. Die Trompeten-Jury vergibt am Ende keinen dritten, dafür zwei zweite Preise an den Franzosen Célestin Guérin und den Ungarn Mihály Könives-Tóth, der auch den Publikumspreis bekommt.
    Alle Semifinal– und Finalrunden sind auch als Videos im Internet anzuschauen. Die große mediale Aufmerksamkeit ist eine weitere Besonderheit beim ARD Musikwettbewerb. Ab dem Semifinale begleitet zusätzlich zu Livestreams und Radioreportagen auch ein Fernsehteam die Teilnehmer. Auch beim Klaviertrio ist die Aufregung dadurch nicht gerade geringer:
    "Man soll in einem Wettbewerb genauso spielen wie im Konzert , man versucht das ja auch, und die Organisation tut, dass die Jury nicht direkt vor deiner Sichtweite sitzt, dass man nicht noch zittrigere Hände bekommt."
    Das Trio Marvin ist bereits wettbewerbserprobt und bekommt am Ende einen dritten Preis, den Publikumspreis und einen weiteren 3. Preis im Fach Klaviertrio gewinnt das koreanische Trio Lux. Mit Abstand am besten gefallen hat der Jury jedoch das japanische Trio AOI. Juror Stefan Mendl:
    "Sie spielen unglaublich eng zusammen, sie gestalten unglaublich schön, sie sind ständig für Überraschungen gut, haben in allen verschiedenen Epochen unglaublich überzeugt."
    Erstmals öffentliche Masterclass
    Erstmals gab es beim diesjährigen ARD Wettbewerb für die nach der zweiten Runde ausgeschiedenen Sänger eine öffentliche Masterclass bei Mitgliedern der Jury. Eine sinnvolle Erweiterung des Fördergedankens, den dieser Wettbewerb neben der Prämierung ausgezeichneter Leistungen auch hat, erklärt die Jurorin Gerhild Romberger
    "Es geht weder um mich, noch um das Publikum, sondern um diese jungen Menschen, die von dem so viel wie möglich mitnehmen sollen, und nicht um einen Vorführeffekt. Für mich ist wichtig, wenn jemand von der Natur damit gesegnet ist, diese Begabung geschenkt bekommen zu haben: was macht jemand damit? Nutzt er das wirklich, um dann musikalische Inhalte zu transportieren? Und das ist finde ich unsere Hauptaufgabe."
    Semifinale und Finale des ARD Wettbewerbs finden für die Sänger, Trompeter und Bratscher mit Orchesterbegleitung im Münchner Prinzregententheater oder dem Herkulessaal statt. Wer ins Finale kommt, hat sich zuvor auch mit dem eigens für den Wettbewerb komponierten Auftragswerk als Interpret für zeitgenössische Musik hervorgetan. Für das Fach Viola hat Konstantia Gourzi ihr Stück "Ein Abend am Fenster" nach Vorlage des gleichnamigen Chagall-Bildes komponiert, und es war ihr wichtig, kein Bravourstück für technische Überflieger zu schreiben:
    "Was in dem Bild mich interessiert ist, dass der Chagall einen Hahn im Himmel malt und nicht auf dem Boden. Das heißt, etwas, das wir denken, dass es nicht möglich ist, ist doch möglich. Meine Frage war also, wie kann dieses Bild, was mit den irdischen Augen nicht stimmt, auf Musik, auf Tönen interpretiert werden."
    Die Klischeebehauptung, das Bratschenspiel sei wegen der Größe des Instruments immer etwas langsam und behäbiger als das auf der Geige widerlegt das virtuose Spiel des Chinesen Diyang Mei zum Erstaunen von Publikum und Juroren. Zusätzlich zum ersten Preis gewinnt Mei den Preis für die beste Interpretation des Auftragswerkes und den Publikumspreis.
    "Diyang Mei – eindeutig, den fand ich super, der war so ausdrucksstark, das ist mein Preisträger, ja!"
    Viele Asiaten unter den Preisträgern
    Mehr als die Hälfte der Teilnehmer im Fach Viola kamen aus Asien, und es verwundert nicht, dass sie auch unter den Preisträgern überprozentual vertreten sind: Der Chinese Yungcheng Shi bekommt den zweiten, der zwanzigjährige Japaner Takehiro Konoe den dritten Preis.
    Beim Gesang ist die Entscheidung zwischen den vier Finalisten mit vier völlig unterschiedlichen Stimmen schwieriger. Die russische Mezzosopranistin Natalya Boeva hat in München studiert und steigert sich enorm in den beiden Finalrunden mit dem Münchner Rundfunkorchester. Sie wird mit dem ersten Preis und als beste Interpretin der zeitgenössischen Lieder von Stefano Gervasoni ausgezeichnet. Ein knappes Rennen gegen den zweiten Preisträger Milan Siljanov , Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper, der auch den Publikumspreis gewinnt. Zwei weitere dritte Preise gehen an die schwedische Sopranistin Ylva Sofia Stenberg von der Niedersächsischen Staatsoper und an den chinesischen Tenor Mingjie Lei. Der Wettbewerbsmarathon hat sich für sie alle gelohnt. Bassbariton Milan Siljanov:
    "Wenn man den Fuß auf die Bühne setzt und die Wärme des Publikums spürt und man weiß, man macht jetzt Musik, dann vergisst man alles andere. Genau darum habe ich diesen Beruf gewählt, weil mich diese Momente sehr glücklich machen."