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70 Jahre Israel
Kibbuz als Kraftquelle des Landes

Zum Gründungsmythos Israels gehört auch der Kibbuz: jenes Dorf mit sozialistischen Strukturen, die beim Aufbau des Landes halfen. Heute leben nur noch wenige Bürger dort. Die Kibbuzim stehen noch für die einstigen Träume der Staatsgründer; der Wunsch nach Frieden hat sich nicht erfüllt.

Von Benjamin Hammer | 17.04.2018
    Der Speisesaal im Kibbuz Degania B, aufgenommen am 22.11.2006. Degania A (Aleph) ist der älteste Kibbuz in Israel. Er wurde 1909 von jüdischen Zuwanderern aus Osteuropa gegründet. Degania B (Bet) entstand 1920 in unmittelbarer Nähe der ersten Siedlungsgemeinschaft.
    Fürsorge, sozialistische Ideale: Kibbuz Degania B in Israel (dpa / Robert B. Fishman)
    Vier Uhr nachmittags in Zikim. Der Kibbuz liegt direkt am Mittelmeer. Bis zum Gazastreifen sind es nur drei Kilometer. Der Kindergarten sieht auf den ersten Blick ziemlich gewöhnlich aus. Aber dann bleibt der Blick am Dach hängen: Es ist mit schweren Betonplatten verstärkt. Wenn militante Palästinenser im Gazastreifen eine Rakete oder Mörsergranate in Richtung Norden schießen, wird in Zikim fast immer Alarm ausgelöst. Wenn sich die Kinder im Freien befinden, muss Lilach Gez schnell handeln. Sie ist die Kindergärtnerin der Dreijährigen. Um den Hals trägt sie eine Trillerpfeife.
    "Ich übe oft mit ihnen. Ich pfeife, und dann wissen die Kinder, dass sie ins Haus müssen. Damit trainiere ich ihre Schnelligkeit und Wendigkeit. Im Ernstfall wird es dann nicht so stressig für die Kinder. Wenn es einen Alarm gibt, haben wir nur 15 Sekunden, um in den Kindergarten zu rennen und uns in Sicherheit zu bringen."
    Nicht weit vom Kindergarten entfernt führt eine Metalltreppe auf das Dach eines alten arabischen Landhauses. Heute befindet sich das Gebäude mitten im Kibbuz Zikim. Von oben hat man einen guten Rundumblick. Gabo Altmark ist vor 22 Jahren nach Israel eingewandert. Ursprünglich kommt er aus Uruguay.
    "Da ist das Mittelmeer, dort das Elektrizitätswerk, von dem auch etwas Strom in den Gazastreifen kommt. Aschkelon ist hier im Norden, da geht’s dann auch weiter nach Ashdod und Tel Aviv. Und diese ganzen Häuser dort drüben bis zum Meer, das ist schon der Gazastreifen. Man kann auch den Grenzzaun von hier aus sehen."
    Vor vier Jahren kam es zur letzten kriegerischen Auseinandersetzung zwischen der israelischen Armee und der Hamas. Jener islamistischen Organisation, die den Gazastreifen noch immer kontrolliert. Damals gab es Tage, an denen mehr als fünfzig Mal Alarm ausgelöst wurde und fünf Geschosse im Kibbuz einschlugen.
    "Der Körper handelt ganz automatisch. Wir sind schon so sehr daran gewöhnt, dass wir nur den Beginn der Sirene hören müssen, und der Körper beginnt von allein zu handeln, entweder rennen wir in einem Schutzraum oder schmeißen uns auf den Boden."
    Bis heute gibt es keinen Frieden
    Tel Aviv vor siebzig Jahren. David Ben Gurion ruft die Unabhängigkeit des Staates Israel aus.
    Damals stehen die Kibbuzim für die Träume der Staatsgründer: Zusammenhalt. Sozialistische Prinzipien. Karge Landschaften zum Blühen bringen. Heute leben nur noch die wenigsten Israelis in Kibbuzim. Doch die Dörfer stehen noch immer für die Hoffnungen der Staatsgründer. Einige haben sich erfüllt. Israel ist heute ein wohlhabendes Land. Andere Träume bleiben unerreicht. Bis heute gibt es keinen Frieden.
    Gabo Altmark schaut auf den Gazastreifen. Die Bedrohung durch Raketen aus dem Gazastreifen, die Furcht vor Terroranschlägen: Es ist eine Seite des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern, der noch älter ist als der Staat Israel. Die andere Seite: Während des letzten Gazakrieges 2014 wurden nach Angaben der Vereinten Nationen fast 1.500 Zivilisten getötet. Israel und Ägypten halten den Küstenstreifen seit Jahren weitgehend abgeriegelt und begründen das mit Sicherheitsbedenken. Die humanitäre Lage im Küstenstreifen ist schlecht, was auch an einem internen Machtkampf der palästinensischen Organisationen Hamas und Fatah liegt. Gabo Altmark sagt: Das alles fühle sich nicht gut an. Niemand könne sich freuen, wenn ein anderer leide.
    Der Kibbuz Tsuba liegt in den Hügeln vor Jerusalem. Er wurde 1948 gegründet und ist damit genauso alt wie Israel. Yael Kerem steht in der Kantine des Kibbuz. Für ihr Essen hat sie kaum etwas bezahlt. Alle Einwohner bekommen das gleiche Budget, egal ob sie die Kibbuzverwaltung leiten oder in der Kantine arbeiten. Tsuba ist einer der letzten verbliebenen Kibbuzim, die noch immer weitgehend sozialistisch aufgestellt sind.
    "Man wollte damals eine neue, eine bessere Gesellschaft aufbauen. Als der Staat gegründet wurde, kamen mit einem Mal Millionen von Menschen - und viele Dinge mussten aus dem Nichts aufgebaut werden. In einer Kooperative konnten sich die Menschen helfen, sie waren füreinander da. Dahinter verbirgt sich das Prinzip eines Kibbuz: Jeder gibt so viel, wie er kann und bekommt, was er braucht."
    Heimstätte für Juden aus aller Welt
    Yael Kerem führt durch ihren Kibbuz. In der Bibel steht, dass sich hier zur Zeit des Königs David eine jüdische Siedlung befand. Später war Tsuba ein palästinensisches Dorf.
    Zwei Männer arbeiten gerade in einem Vorgarten vor einem Haus.
    "Sie sind Araber aus dem Dorf Ein Rafah. Ihr Großvater kam aus Tsuba."
    Heute gibt es das palästinensische Tsuba nicht mehr. Für jüdische Israelis ist der 70. Geburtstag ihres Staates ein Feiertag. Für die meisten Palästinenser ist es die "Nakba", eine Katastrophe. Nach der Staatsgründung griffen fünf arabische Staaten Israel an. Es kam zum Krieg. Hunderttausende Palästinenser flohen aus dem Gebiet, das heute Israel ist. Oder sie wurden vertrieben.
    "Passt auf: In Israel gibt es Widersprüche und wir leben damit. Das ist ein Problem. Aber wenn es darum geht, ob es einen Staat für das jüdische Volk geben soll oder nicht, dann soll es einen Staat für das jüdische Volk geben. Es ist nicht einfach zu sagen, dass hier Araber waren, die vertrieben wurden und jetzt nicht mehr in ihr Haus zurückkehren. Deswegen gibt es seit 70 Jahren keinen Frieden – aber für das jüdische Volk ist die Bedeutung eines jüdischen Staates erst recht nach dem Holocaust das Wichtigste."
    Eine Heimstätte für Juden aus aller Welt: Dieses Versprechen der Gründer von Israel wurde erfüllt. In seiner Unabhängigkeitsrede nahm David Ben Gurion fünf Mal das Wort Frieden in den Mund. Schalom. Dieser Wunsch bleibt unerfüllt. An der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel ist es in den vergangenen Wochen zu heftigen Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten gekommen. Gabo Altmark, der in Zikim, direkt am Gazastreifen lebt, macht sich Sorgen. Er fürchtet einen weiteren Krieg zwischen Israel und der Hamas. Zikim wäre dann gewissermaßen mittendrin. Den Kibbuz zu verlassen, das ist für Gabo Altmark dennoch undenkbar.
    "Wir haben hier unser Leben aufgebaut. Wir gehen hier nicht weg. Das ist unser Ort. Wir werden hier weiterhin leben und auf diesen wunderbaren Ort aufpassen. In der Hoffnung, dass es irgendwann Frieden geben wird. Es ist schwierig. Aber wir bleiben. So ist es seit der Staatsgründung."