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70 Jahre "Neues Deutschland"
Konstruktiv-kritisches Verhältnis zur Linkspartei

"Ich bin 70, fühle mich wie 25", mit diesem Slogan wirbt das "Neue Deutschland" auf Plakaten: Das ehemalige Verkündungsorgan der SED in der DDR soll neuen Zeiten entgegengeführt werden - schon oft wurde die Zeitung totgesagt.

Von Michael Meyer | 23.04.2016
    "Die Zeitung ist so oft totgesagt worden, dass es für uns auch ein schöner Tag ist, 70 Jahre Erscheinen der Zeitung zu feiern. Es ist ein bisschen gebrochenes Feiern bei uns, weil wir haben eine Geschichte, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Und wenn der eine oder andere Leser sagt: Früher war nicht alles schlechter, müssen wir auch sagen: Früher war nicht alles gut."
    Das "Neue Deutschland" fuhr zu DDR-Zeiten einen äußerst strengen Kurs, selbst kleinste Artikel wurden von Erich Honecker persönlich abgesegnet. Das hatte zur Folge, dass westliche Diplomaten und Politiker das Blatt feinsäuberlich interpretierten, um daraus die offizielle Parteilinie herauszulesen.
    Je nachdem, wie die Parteilinie ausfiel, wurden westliche Politiker herauf- oder heruntergeschrieben, Diktatoren auch mal in Schutz genommen und Opposition in der DDR galt sowieso grundsätzlich als westgesteuerte Konterrevolution. Der von 1956 bis '66 amtierende Chefredakteur Hermann Axen beschrieb die Funktion der Zeitung damals so:
    "Wir betrachten unsere Zeitung einmal als das Organ des Zentralkommittees. Wir widerspiegeln also die Politik, die Hinweise, den Ratschlag der Partei, das Wort der Partei. Und auf der anderen Seite sind wir das Sprachrohr der Massen oder bemühen uns immer besser, das Sprachrohr der Massen zu werden."
    Doch genau das gelang dem Blatt im Laufe der Jahre immer weniger. Keinerlei Kritik an der Partei oder Parteiführung gelangte ins Blatt, schon gar nicht unter der Ägide Erich Honecker. Entsprechend gering war die Wertschätzung für das "Neue Deutschland".
    Doch all das ist Vergangenheit. Kritiker monieren zwar noch immer zuweilen einen recht gnädigen Blick auf die DDR. Ein behäbiges Blatt für alte SED-Genossen ist das "Neue Deutschland" aber seit dem Amtsantritt von Tom Strohschneider nicht mehr. Die Linkspartei hält zwar noch immer mittelbar 50 Prozent an der Zeitung. Aber: "Kritisch-solidarisch" sei das Verhältnis zur Linkspartei, sagt Chefredakteur Strohschneider. Mit mehr Farbe, neuen Rubriken und Autoren hat man das Blatt in den letzten Jahren aufpoliert. Ansonsten versteht sich die Redaktion als Stimme des Ostens:
    "Das heißt, wir nehmen Biografien ernst, wir gucken auf die Vergangenheit auch. Wir beschönigen da nix, aber es gilt immer, auch einen besonderen Blick auf bundespolitische Themen zu haben. Was unser Problem ist, dass wir im Westen natürlich gerne mehr gelesen werden wollten, weil es auch sinnvoll ist, dass die Stimme des Ostens im Westen gehört wird."
    Doch das wird angesichts der harten Konkurrenz im Zeitungsmarkt wohl ein Wunsch bleiben, zumal die "taz", der "Freitag" oder die "Junge Welt" ebenfalls deutlich linke Leserschaften ansprechen, in Ost und West.
    Die Auflage des "Neuen Deutschland" liegt mittlerweile bei 28.000. Das ist im Vergleich zu den 1,1 Millionen noch zu DDR-Zeiten natürlich lächerlich wenig, aber damals gehörte es auch zum guten Ton vieler SED-Genossen, das Blatt zu lesen. Heute ist der typische Leser über 60 Jahre alt, sagt Olaf Koppe, Verlagsleiter beim "Neuen Deutschland":
    "Glücklicherweise in den letzten Jahren, gelingt es uns besser, in jüngere Leserschichten einzugreifen. Das sind vor allen Dingen ein junges intellektuelles Milieu, ein Milieu, das aus den außerparlamentarischen Bewegungen kommt, da hatten wir früher keinen Fuß reingekriegt. "
    Dank einer treuen Leserschaft, einigen Anzeigen und Einnahmen aus Leserreisen und Veranstaltungen kommt der Verlag auf einen Gewinn in sechsstelliger Höhe. Dennoch ist die Zukunft des "Neuen Deutschland" durchaus unsicher – aber diese Prognose gilt wohl für viele Zeitungen.
    Ein Problem des Blattes scheint der Name zu sein, der ungute Erinnerungen weckt. Nach der Wende habe man leider verpasst, ihn zu ändern, meint Tom Strohschneider. Mittlerweile habe er aber mit dem Namen seinen Frieden gemacht:
    "Ich hätte immer das schlechte Gefühl, mich vor der eigenen Geschichte und Biografie zu verstecken, das bringt gar nichts. Wir müssen den Kopf raushalten und erklären, warum es diese Zeitung damals in der Form so gegeben hat."