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70 Jahre Ruhrfestspiele Recklinghausen
Ein Symposium in einer Schaumblase

Anlässlich des 70. Jubiläums der Ruhrfestspiele Recklinghausen ging es bei einem Symposium um Rolle, Funktion und Aufgabe von Festspielen. Dabei beschränkten sich die Teilnehmer nicht nur auf Selbstvergewisserung, sondern warfen auch einen Blick über den Tellerrand.

Von Christiane Enkeler | 16.06.2016
    Das Festspielhaus der Ruhrfestspiele Recklinghausen
    Aus den ersten Gastspielen der Hamburger Theater im Sommer 1947 als Dank für die Bergarbeiter der Zeche "König Ludwig" entwickelten sich die Ruhrfestspiele Recklinghausen zu einem Theaterfestival von internationalem Rang. (dpa / picture alliance / Caroline Seidel)
    Neun Herren haben sich auf der Bühne gruppiert, die "Arbeitsgruppe König Ludwig im Förderverein bergbauhistorischer Stätten des Ruhrreviers", um beinah schüchtern ein "Glück auf" vor dem spärlichen Vormittagspublikum anzustimmen. Heimelig und warm wird es im großen Saal der Ruhrfestspiele, erst recht, als Matthias Kordes vom Institut für Stadtgeschichte Recklinghausen plastisch über die Anfänge der Ruhrfestspiele spricht.
    1946/47 herrscht draußen ein harter Winter, mit bis zu dreißig Grad unter Null. In dieser Situation sorgen sich Hamburger Theaterleute um ihre Technik. Für Kohlen zum Heizen machen sie sich auf den Weg und kommen im Dezember 1946 an der Zeche "König Ludwig" in Recklinghausen vorbei. Hier bekommen sie solidarisch – und illegal – Kohlen. Dafür bedanken sich die Hamburger 1947 mit ersten Gastspielen, aus denen sich später die Ruhrfestspiele entwickeln. Deren Kerngedanken fasst Matthias Kordes so zusammen:
    "Nach den geistigen, zivilisatorischen und materiellen Verwüstungen der Epoche 33 bis 45 – Heilung, Linderung, Rekonvaleszenz, vielleicht sogar Erlösung im Humanitätsideal der deutschen und europäischen Theaterklassik zu finden."
    "Im Moment haben wir doch das Gefühl, in einem Umbruchsprozess zu sein, und da ist sozusagen der nostalgische Blick zurück, das, wie wir heute die Veranstaltung begonnen haben, nicht?: "Glück auf" zu singen, das ist wichtig, das darf man nicht vergessen, da kommt das her... – aber wo geht’s hin?"
    Festivals ohne roten Faden
    Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, hält den letzten Vortrag an diesem Tag. Er betrachtet Festspiel-Architekturen strukturell und findet ein Bild:
    "Ein Festival ist heute so was wie ein Schaumklumpen. Sie haben lauter kleine Blasen, die sich aneinandersetzen und wo sich sozusagen verschiedene Communities des sie Verbindenden versichern. Und in diesem Sinne verändern sich Festivals heute, dass sie statt der großen Feier viele Feste veranstalten."
    Was er meint, sind die Festivalprogramme: Es gibt nicht mehr den einen roten Faden. Sondern viele kleine Sektionen, die von unterschiedlichen Menschen besucht werden. Wie die Gesellschaft zersplittert, so zersplittern auch die Festivals. Zwischen diesen beiden Eindrücken liegen auf dem Symposium zu "70 Jahre Ruhrfestspiele" Diskussionen und Äußerungen vor allem zu den Themen "Stars", "Event" und "Internationalisierung". Aus dem Publikum ist viel von der besonderen Atmosphäre in Recklinghausen die Rede, zwischen "Jugendlager" und einer Gemeinsamkeit, die früher Arbeiter und Theaterleute und jetzt Bürger und Stars verbindet.
    Journalist Ulrich Fischer applaudiert Ruhrfestspiele-Intendant Frank Hoffmann dafür, dass er die Ruhrfestspiele weiter europäisiert habe. John McGrath ist künstlerischer Leiter des Manchester International Festival. Er will mit Projekten wie der Öffnung von Wohnungen und Plätzen und mit Prozessionen verschiedene Communities vor Ort erreichen:
    "The key question of 'International' isn’t just to go to other places (and certainly we learn by going to other places), but also to properly recognize the place that we’re already in."
    Atmosphäre von solidarischer Gemeinschaft
    200 Sprachen spreche man in Manchester: Das Globale sei längst im Lokalen angekommen. Die Journalistin Sarah Heppekausen beschreibt einen Entwicklungsstand bei Festivals, den sie auch an Stadttheatern beobachtet: internationale Gäste, aber auch Beteiligungen der lokalen Bevölkerung. Sie bringt es auf den Begriff des "Glokalen", der bedeute, "dass wir in die internationale Welt nur blicken können, ja, mit dem Bezug auf unsere Herkunft. Also das Internationale ist immer im Blick... das Lokale bleibt nicht außen vor."
    Wir haben uns wohl gefühlt bei diesem Ritual eines Symposiums mit recht übersichtlicher Besucherzahl. Wie in einer Schaumblase sozusagen. Thomas Oberenders Bild der zunehmenden Verästelung von großen Festivalprogrammen trifft hier voll zu: Wir waren die Community der Symposiumsliebhaber.
    Es war keine unsympathische Selbstvergewisserung, Probleme wurden angesprochen und der Blick über den Tellerrand fehlte auch nicht. Offen bleibt vorerst, welcher utopische Moment vielen Festivals von heute innewohnt. Die Ruhrfestspiele allerdings haben sich diesen Moment bewahrt: Noch immer vermitteln sie eine Atmosphäre von solidarischer Gemeinschaft.