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75. Todestag von Alexander Roda Roda
Der Anekdoten-Fabrikant

Heute kaum noch bekannt, war Alexander Roda Roda zu seiner Zeit ein Literatur-Star. Vor allem mit satirischen Geschichten aus dem k.u.k.-Militärleben und seinen Absurditäten eroberte er das Publikum.

Von Beatrix Novy | 20.08.2020
    Der österreichische Autor und Kabarettist Alexander Roda Roda
    Mit seinem bissig-versöhnlichen Stil kam Alexander Roda Roda auch im militaristischen Deutschland an (dpa / piciture alliance / IMAGNO)
    Alexander Roda Roda erzählt einen Schwank:
    "Einmal spielte ich Schach in München, im Café Stefanie, mit Gustav Meyrink, nebenan …"
    Roda Roda. Großfabrikant von Anekdoten, Schnurren, Satiren, österreich-ungarischer Militärgrotesken. Fesselnder Geschichtenerzähler. Kenner osteuropäischer Sprachen und Literaturen, Verfasser von Übersetzungen, Erzählungen, Dramen, Romanen und mindestens 500 Schwänken; in diesem hier nervt ein junger Germanist im Café ihn, Roda Roda, und seinen Kollegen Gustav Meyrink mit einer Obsession für den Dichter Lessing.
    "Er wendete sich plötzlich an Meyrink und sagte: ‚Und was halten Sie von Lessing?‘ Meyrink schlug müde die Lider auf und sagte: ‚Meinen Sie den Dichter oder das Metall?‘"
    Charmant. Auch wenn der Studentenscherz mit Lessing und Messing schon damals alt war. Roda Roda wusste selbst, dass sein breites Oeuvre ein Kramladen war für viele Geschmäcker.
    "Der Hunger trieb mich teuflisch an, neunmal mehr zu schreiben, als ich verantworten kann."
    Berühmt wurde er mit seinen vielen k.u.k. Militärgeschichten, die er aus langjähriger Erfahrung schöpfte. Geboren 1872 als Sandor Rosenfeld, aufgewachsen auf dem Land in Mähren, wo sein Vater Gutsverwalter war, hatte er sich, statt dem Jurastudium treu zu bleiben, auf zwölf Jahre bei der Armee verpflichtet. Allerdings verkürzte er seine aktive Dienstzeit mittels unheilbarer Spottsucht und Unbotmäßigkeit.
    1901 konnte er sich zunächst der männerfressenden Schauspielerin Adele Sandrock und dann endlich ganz dem Schreiben zuwenden. Den Namen Roda Roda, eine Kreation seiner Jugendtage, übernahm er. Sein zweites Markenzeichen wurde eine frech mit Uniformknöpfen besetzte rote Weste, die ihn bis ins Grab begleitete.
    Karl Kraus verabscheute den "Schnurrenfabrikanten"
    Seine Popularität wuchs mit dem Verbot der Komödie "Der Feldherrnhügel", die er mit Carl Rössler verfasst hatte und die in jeder Szene ihren heroischen Titel ad absurdum führt. Das Stück wurde mehrmals verfilmt.
    "Sprechen Sie ruthenisch?"
    "Nein, Herr Oberst."
    "Also hören Sie, Herr Rittmeister. Sie werden in drei Tagen Ihre Eheangelegenheiten geordnet haben, in vier Tagen Ihre Schulden bezahlt haben und in fünf Tagen ruthenisch gelernt!!"
    Viele liebten seine Erzählfreude, seinen Witz, seine Freundlichkeit - Stefan Zweig, Kurt Tucholsky, Oskar Maria Graf, Erich Mühsam. Aber einen erklärten Feind hatte er: Karl Kraus verabscheute den Schnurrenfabrikanten.
    "Denn nun werden wir den Namen Roda Roda überhaupt nicht mehr los! Mußte man ehedem schon zu den Wölfen fliehen, um keine Anekdoten von der Militärgrenze lesen zu müssen, so ist jetzt Österreich vollends unwirtlich geworden."
    Mit seinem bissig-versöhnlichen Stil kam Roda Roda auch im militaristischen Deutschland an. Die Berliner Illustrierte vom 5. Juli 1914 zeigte "den bekannten Humoristen und Lustspieldichter" Roda Roda beim Urlauben am Tegernsee - wenige Wochen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Jetzt durfte der Literat als Kriegsberichterstatter zurückkommen, schwankend zwischen Heldenverehrung und Desillusionierung.
    "Die Menschen sind den Läusen näher als den Göttern. Dichter, die den Menschen anders sehen, sind bewusstlos."
    Seiner Sicht aufs Skurrile blieb er dennoch treu. Er war eben kein Hasser, wie sein Schwiegersohn, der Schriftsteller Ulrich Becher schrieb, sondern ein Spötter.
    "Wie schallend er auch die baufällige schwarz-gelbe Kaserne verlachte, sie war sein von Pferde-Urin, Feuerwerkerschweiß, Tokaierduft, Zigeunergeigengewinsel, Trottelgenäsel geschwängertes Haus gewesen, das er mit abschiedsgewisser Zärtlichkeit umwob."
    In seinem Roman "Murmeljagd" verewigte Ulrich Becher den Charakter und die sagenhaften Reitkünste seines Schwiegervaters: In der Figur eines KZ-Häftlings, der einen kostbaren Hengst und sich selbst in den tödlichen Stacheldraht treibt. Im KZ wäre ein daheimgebliebener Roda Roda jedenfalls gelandet. Er, der den verurteilten Carl von Ossietzky 1931 ostentativ ins Gefängnis begleitet hatte, überlebte in der Emigration. Die letzte Station war New York, wo er am 20. August 1945 starb. Ulrich Becher berichtet, er habe seiner Frau noch diese Notiz diktiert:
    "Nach endlosen Laufereien wird es unter einem roten Zelt zum Frieden kommen."