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Marokko
Handeln und Feilschen in Marrakesch

Marrakesch besuchen, ohne um Gewürze, Lampen oder Teppiche zu feilschen – das ist möglich, aber unwahrscheinlich, gehören doch die Märkte in der Medina zu den Hauptattraktionen. Manche Handelshäuser befinden sich noch heute in alten Karawansereien.

Von Christiane Zwick | 20.03.2016
    Händler bieten Teppiche in ihren Läden in der Medina an
    Händler bieten Teppiche in ihren Läden in der Medina an (dpa / picture alliance / Jens Kalaene)
    Auf dem Weg zum Teppichmarkt wird es eng. Zu viele Menschen, zu viele Waren beanspruchen den knappen Raum. Dazwischen brausen Burnus tragende Mofafahrer durch die Gasse und zirkeln ungebremst um die Passanten herum.
    Zwei Damespieler auf Plastikhockern ziehen unbeeindruckt Kronkorken übers Spielfeld. Frauen, von Kopf bis Fuß in bunte Stoffe gehüllt, flanieren untergehakt an Stapeln von Sportschuhen vorbei, an zu Kegeln gehäuften Gewürzen und bis unters Dach gehängten Taschen. Doch ein Teppich soll es heute sein, oder wenigstens ein Kissen, erworben bei Marrakeschs Meistern des Handelns und Feilschens - Nein, danke, keine Sandelholzseife.
    "Natural perfume. Just milk, Sandalwood."
    Vor den Läden sitzen Verkäufer Spalier. Sie lesen aufmerksam die Regungen der Passanten. Auf einen neugierigen Blick folgt ein Kompliment, eine Kostprobe, ein Preisvorschlag.
    Durch die Lücken zwischen den Wellblechdächern blitzt die warme Nachmittagssonne. Sie malt Streifen auf das Pflaster vor den rosa getünchten, zweistöckigen Gebäuden. Die Mauern dienen als zusätzliche Schaufenster. Jeder Ware, jedem Handwerk widmet sich seit Alters her ein eigener Markt. Olivenverkäufer findet man nördlich des großen Platzes, Blechschmiede am Souk des ferblantiers und die Gerber am östlichen Stadttor. Der Teppichmarkt grenzt an den Gewürzbasar. "Souk principal des tapis" verkündet ein Schild.
    Die Wahl fällt auf zwei Geschäfte. Auf ein renommiertes und eines, das spontan ins Auge sticht. Der Laden von Jamal Mouly liegt an einer kleinen Kreuzung im Fußgängerstrom. Am Eingang liegt ein Stapel bunter Webteppiche. Der Mitzwanziger mit der Basecap weiß, dass er weniger als eine Minute hat, um Neugierige gefangen zu nehmen.
    "Das ist Qualität, Pflanzenfarbe, die man in der Maschine waschen kann. Kein Problem."
    Die Adresse von Ibrahim Bassidi ist schwerer zu finden. Ein dunkler Durchlass führt zu seinem Teppichlager in einem alten Hofgebäude.
    "Ich bin froh, dass man mit diesen Smartphones die Kunden vom großen Platz bis zu uns dirigieren kann. Außerdem haben wir einen Plan im Internet, der zu uns führt."
    Bassidi trägt Bart, Dschellaba und eine weiße Häkelkappe. Seine Bewegungen sind gemessen. Er verkauft an Händler und nur ausnahmsweise an Privatkunden. Sein Sohn Ismael lässt Tee kommen und erklärt das Geschäftskonzept von Lahandira.
    "Wenn wir etwas Besonderes finden, kaufen wir. Es muss unserem Geschmack entsprechen, eine Geschichte haben. Wir kaufen die ganze Zeit zu."
    Auch vorne in der Gasse wird mit Qualität argumentiert. Zwar spricht die Menge gleichartiger Teile für neue Manufakturarbeit, doch Jamal Mouly besteht darauf, dass die Kelims Antiquitäten seien.
    "Schauen Sie diese Muster: sehr alt. Das ist neu."
    Von jedem Stück gibt es Varianten. Auch aus Teppichen genähte Kissen. Mit etwas weniger Grün, einem lebhafteren Muster oder einer tieferen Grundfarbe.
    "Dann hätte ich noch diese Farbe und quadratisch. Es hat nicht so viele Details, damit das auf einem Sofa oder Sessel gut aussieht."
    Von der Geschäftigkeit im Souk ist im nur einen Steinwurf entfernten Hof der Bassidis nichts zu merken. Ein paar Mofas stehen herum, das Radio des Nachbarn läuft. Ganz so ruhig ging es hier allerdings nicht immer zu.
    "Dieser Funduk ist 300 Jahre alt. Früher waren Funduks Hotels für Händler, die mit ihren Karawanen hier logierten. Der gepflasterte Boden verhinderte, dass die Tiere ausrutschen, darüber sehen sie die Arkaden und die Gästezimmer."
    Heute lagern statt Kamelherden rund 5000 Teppiche unter den Arkaden und in den vielen kleinen Nebengelassen. Ihre Ware finden Vater und Sohn in den Dörfern des Hohen Atlas. Antike Teppiche seien zwar schwer zu finden, aber leicht zu erwerben, sagt der 60-Jährige.
    "Diese Teppiche wurden von einer Generation zur anderen vererbt, aber die heutigen Besitzer erkennen ihren Wert nicht mehr und kaufen lieber einen neuen Teppich."
    In so einem Fall schlägt die Stunde der Bassidis. Zehn Neuerwerbungen liegen neben dem Tabletttisch, auf dem der süße Minztee dampft.
    Ibrahim Bassidi zückt sein Smartphone und startet ein Video, das bei seiner letzten Einkaufstour in Azilal aufgenommen wurde. In einem Lehmgehöft rollt eine Frau im Hof einen langflorigen Teppich aus. Sie sagt wenig, während der Händler die Ware umrundet und seine Beobachtungen ins Handy spricht. Die späteren Verkaufsargumente.
    "Das ist original Berber, Pflanzenfarben. Ich reibe mal drüber – die Farbe ändert sich nicht."
    Im Souk verschwimmen während der Verhandlung die Gewissheiten. Wann ist ein Teppich alt? Und sind nicht gerade chemische Farben besonders haltbar? Nur wer sich ein wenig auskennt, kann hier wirklich mit- und gegenhalten.
    Im Funduk zieht Ismael Bassidi aus dem schweren Teppichstapel das beste Stück der vergangenen Einkaufstour hervor. Ein weißer Berberteppich mit schwarzen Winkel- und Rautenmustern.
    "Die Motive haben denselben Ursprung wie die Tätowierungsmuster jedes Stammes. Jeder Stamm hat ein anderes Zeichen, die Gesichtstätowierungen der Frauen sind wie ein Personalausweis. Man erkennt, aus welcher Region Marokkos sie kommen, weil jeder Stamm ein anderes Zeichen hat."
    Teppiche wie dieser, betont Bassidi, seien weit mehr als schöne Bodenbeläge.
    "Sie funktionieren als Schutz gegen den bösen Blick, gegen bösen Zauber. Die meisten Berberfamilien praktizieren Sufismus. Sie glauben stärker als wir an das Magische. Man braucht dort immer einen Schutz am Eingang des Hauses. An allen Türen findet man Hufeisen, das bricht den Bann des bösen Blicks. Auf Teppichen findet man das Auge oder den Baum des Lebens. Sie sollen das Unglück bannen. Deshalb darf man diese Teppiche nicht mit Schuhen betreten."
    Das sollte später vielleicht auch der Käufer vermeiden. Denn:
    "Antike Teppiche erzielen unter Sammlern Preise zwischen 10.000 und 35.000 Dirham."
    Der Verhandlungsspielraum ist dabei gar nicht so groß, wenn man fair sein will. Neue Teppiche sind weniger als halb so teuer wie alte. Doch arbeiten Teppichknüpferinnen nach wie vor etwa drei Monate an sechs Quadratmetern. Sie verdienen zwischen einem Euro in der Stunde, wenn sie in einer Kooperative arbeiten, und einem Euro am Tag. Kein Wunder, dass es Nachschubprobleme in diesem Handwerk gibt.
    "Früher lernten die Mütter die Töchter an, heute wollen die keine Teppiche mehr knüpfen. Das verändert sich. Schade."
    Andererseits ein gutes Zeichen für die Frauen. Inzwischen verdienen mache Frauen mehr als ihre Ehemänner und die Zahl der Kinder pro Familie halbierte sich innerhalb einer Generation. Marokko wandelt sich, konservativen Tendenzen zum Trotz. Und das Handelsgeschäft ist schnelllebig geworden.
    "Der Lauf der Dinge. Früher kamen die Leute zu uns und nahmen sich Zeit, um einen Teppich auszusuchen. Sie verbrachten vier, fünf Tage mit den Händlern, um ihre Wahl zu treffen."
    Heute kommen nicht einmal mehr alle Kunden in den Teppich-Souk. Sie treffen ihre Wahl nach Fotos, die Ismael Bassidi online stellt.
    "Ich habe mit Internetwerbung angefangen, weil ich gemerkt habe, dass immer mehr Kunden übers Internet kaufen. Also poste ich unser Angebot auf Facebook, Instagram und Tumblr. Ich verkaufe viel übers Internet und erfahre so eine Menge über die Wünsche der Kunden."
    So wie Kunden Qualität und Preise inzwischen weltweit vergleichen, ordern Händler auch ausländische Ware. Die Globalisierung ist in den Souks von Marrakesch angekommen. Teppiche und Tücher aus China oder Indien liegen neben einheimischer Handwerkskunst. Die Geschlossenheit der einem Kunsthandwerk zugeordneten Märkte löst sich auf. Was bleibt, ist die Gewitztheit der Händler.
    "Ich mache euch mit Vergnügen einen normalen Preis: 300 Dirham."
    Das alte Ritual des Feilschens. Erst bewegt man sich im Preis ein wenig aufeinander zu. Dann müssen Argumente für einen Nachlass her. Die drei Löcher im Kissen lässt Jamal Mouly allerdings nicht gelten.
    "Kein Problem, das nähst du einfach, wie die Berber, mit einem kleinen Faden, wie die Berber. Das ist eben nicht mit Reißverschluss."
    Die jungen Selfmademen im Souk, wie Jamal Mouly, und die vielen Landflüchtigen, die ihr Auskommen im Tourismus suchen, brauchen den schnellen Dirham. Die Mieten sind hoch, das Leben teuer. Das befeuert Überredungskünste, die Ibrahim Bassidi nicht benötigt. Er baut auf langjährige Geschäftsbeziehungen.
    "Die Grundlage des Geschäfts sind die Realität und das Vertrauen. Auch die Freundschaft. Man muss seriös sein."
    "Sagen wir 150 Dirham."
    Jamal Mouly lässt sich immerhin auf die Hälfte des Ausgangspreises herunterhandeln. Das ist die übliche Rate, die beide Seiten zufriedenstellt. Auch der im Funduk ausgebreitete Berberteppich fand bereits Käufer. Über das Internet.
    "Dieser Teppich kommt aus dem Mittleren Atlas, der Region von Bnin Ghild. Und er geht nun in die USA zu Leuten, die marokkanische Teppiche sammeln."
    Die amerikanischen Sammler haben sich nicht in den Gassen der Souks treiben lassen und bei den Bassidis keinen Minztee getrunken. Ein Geschäft ohne Geschichte. Wie schade. Denn ein Handel in Marrakesch bedeutet nicht nur, etwas zu kaufen, sondern an einer Tradition teilhaben und zum Leben der Märkte beizutragen.