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91. Bachfest der Neuen Bachgesellschaft in Dresden
Finanznot und sensationelle Erkenntnis

Bach – dieser Name hat Klang. In Eisenach, wo er geboren wurde, oder in Leipzig, wo er 26 Jahre lang Thomaskantor war. Aber derzeit ist Dresden die wichtigste Bachstadt in Deutschland, zumindest bis Ende der Woche. Denn der weltweit agierende Verein Neue Bachgesellschaft veranstaltet in Sachsens Landeshauptstadt sein 91. Bachfest.

Von Claus Fischer | 27.09.2016
    Blick auf die Kuppel der Dresdner Frauenkirche
    Bach kannte ihre Silbermann-Orgel: die Frauenkirche in Dresden (picture alliance / dpa)
    Wenn Johann Sebastian Bach Spaß haben wollte, dann fuhr er mit seinen beiden ältesten Söhnen per Kutsche von Leipzig nach Dresden, um "Hasse-Liederken" zu hören. Gemeint waren damit die Arien in den Opern des Dresdner Hofkapellmeisters Johann Adolf Hasse, die Bach außerordentlich schätze. Aber, so betont der künstlerische Leiter des Bachfestes, Kreuzkantor Roderich Kreile, es gibt noch einen wichtigeren Bezug zu Dresden:
    "Ich habe den Eindruck, dass man schon davon sprechen kann, dass Dresden eine Art Sehnsuchtsort für Bach war. Wir alle wissen, dass er sich hier um den Titel als Hofcompositeur beworben hat."
    Die ganze Stadt soll "brummen"
    Bachs Spuren in Dresden verfolgen, das können die Besucher des Bachfestes in rund 80 Veranstaltungen. Die Spannweite reicht dabei von Kantatengottesdiensten und –andachten über Orgel-, Chor- und Jazzkonzerte bis hin zu einem wissenschaftlichen Symposion unter dem Titel "Klang und Glaube".
    "Die ganze Stadt soll brummen",
    …meint Roderich Kreile mit Augenzwinkern - und mit Erleichterung. Denn vor knapp einem Jahr sah es so aus, als ob das Bachfest in Dresden abgesagt werden müsste. Da der Verein "Neue Bachgesellschaft" als Veranstalter überhaupt keine Mittel hat, ein derart großes Musikfestival durchzuführen, überträgt er die Finanzierung grundsätzlich der jeweiligen Kommune. Den Kulturverantwortlichen in Dresden war das jedoch anscheinend nicht klar, sagt der Kreuzkantor aus der Rückschau:
    "Aber so geht es ja nicht! Auch unter dem Gesichtspunkt der Bewerbung um die Kulturhauptstadt Europas hätte ich das für einen solchen Imageverlust empfunden für diese Kulturstadt Dresden, dass ich mir vorgenommen habe, zu prüfen, wie man ein Bachfest doch realisieren kann."
    So holte Roderich Kreile alle wichtigen Musikinstitutionen der Stadt an einen Tisch und animierte sie, im Rahmen der Möglichkeiten etwas beizutragen, das sich durch Eintrittsgelder bzw. privates Engagement finanzieren lässt. Dass dabei kaum eine schlüssige Dramaturgie zustande kommt, liegt auf der Hand. Im Vergleich zum jährlich stattfindenden Leipziger Bachfest, das immer ein Motto, bzw. einen inhaltlichen roten Faden hat, kommt dieses Dresdner Bachfest einem Gemischtwarenladen gleich, der allerdings auch Edelsteine bot wie die Aufführung von Bachs h-Moll-Messe mit dem Dresdner Kreuzchor und der Akademie für Alte Musik Berlin.
    Musik: Bach, h-Moll-Messe
    Sensationelle Erkenntnisse
    Mit Bachs h-Moll-Messe, bzw. deren Grundstock, befasste sich ein Symposion, das die Dresdner Musikhochschule "Carl Maria von Weber" veranstaltet hat und dessen Motto lautete "Klang und Glaube". Dabei wurde eine wissenschaftliche Sensation publik.
    Es war im Jahr 1733, als Johann Sebastian Bach sich von Leipzig aus am Dresdner Hof um den Titel eines "kurfürstlich-sächsischen und königlich-polnischen Hofcompositeurs" bewarb. Das Anschreiben an den Kurfürsten ist im Original leider nicht mehr erhalten, es verbrannte bei der Zerstörung Dresdens. Zum Glück wurde aber rechtzeitig vorher ein Faksimile angefertigt, man kopierte alles exakt bis hin zum Wasserzeichen. Noch erhalten in Dresden dagegen ist die Handschrift einer Missa Brevis, bestehend aus Kyrie und Gloria, der Grundstocks der späteren h-Moll-Messe. Der Dresdner Musiker und Musikwissenschaftler Moritz Fürstenau war nun der Ansicht: Beide Manuskripte gehören zusammen, sprich Bach hat sich mit dem Notenmanuskript um den Hofcompositeur-Titel beworben. Rund 150 Jahre lang war das Konsens in der weltweiten Bachforschung. Michael Heinemann, Professor an der Dresdner Musikhochschule sagt jedoch jetzt:
    "Diese Zusammenfügung der beiden Dokumente ist eine Konstruktion des 19. Jahrhunderts, die auf Moritz Fürstenau zurückgeht."
    Der Wissenschaftler ist sich sicher, dass Bachs Bewerbungsschreiben und das Notenmanuskript zwei völlig verschiedene Dinge sind. Dafür gibt es ein wichtiges Indiz: die Noten wurde nämlich von vier Personen geschrieben. Von Bach selbst, von seiner Ehefrau Anna Magdalena, dem Sohn Carl Philipp Emanuel und einer vierten, nicht identifiziertem Schreiber.
    "Ein derartiges Sammelsurium von Schreiberhänden innerhalb einer Stimme wäre kaum denkbar gewesen, als Widmungsexemplar dem Kurfürsten zu überreichen",
    sagt Michael Heinemann. Das ist allerdings noch kein endgültiger Beweis dafür, dass die Noten nicht zum Bewerbungsschreiben Bachs gehören. Aber – und jetzt wird es spannend: Michael Heinemann hat dann gemeinsam mit Mitarbeitern der sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden die Wasserzeichen der verwendeten Papiere untersucht - mittels Vergleich mit anderen Blättern aus Bachs Hand. Das Ergebnis war frappierend: das Bewerbungsschreiben stammt von 1733, die "Dresdner Stimmen" der h-Moll-Messe wurden aber erst 1736 geschrieben.
    Bach als "Unterkapellmeister" am Dresdner Hof
    Damit, so Michael Heinemann, ist bewiesen, dass es sich bei diesen Dresdner Stimmen der späteren h-Moll-Messe nicht um sein Bewerbungsstück handeln kann:
    "Dieses Werk wird nicht geschrieben, um einen Titel zu bekommen, sondern es ist gewissermaßen der Dank für einen Titel. Und meine Idee ist eben diejenige, dass Bach 1736, nachdem der polnisch-sächsische Doppelstaat befriedet war, die Stelle eines Hofkomponisten bekam, um gewissermaßen für die lutherische Kirchenmusik offizielle Musik zu schreiben."
    Die Annahme, dass mit dem Titel eines Hofcompositeurs Auftragskompositionen für den evangelischen gebliebenen Teil des Dresdner Hofstaates verbunden waren, ist plausibel. Denn Bach hat ja nach 1736 vier weitere lutherische Messen und mit dem "Dritten Teil der Clavier-Übung" sogar ein groß angelegtes Konvolut von Orgelwerken komponiert, in denen er dezidiert lutherische Choräle verarbeitet. Michael Heinemann schließt daraus, daß Bach die Funktion eines Unterkapellmeisters am Dresdner Hof hatte, die er problemlos von Leipzig aus ausüben konnte. Der Wissenschaftler stellt aufgrund dieser Erkenntnisse die folgende These auf: Johann Adolf Hasse war der offizielle Hofkapellmeister, sozusagen der Chef der Hofmusik. Der Böhme Jan Dismas Zelenka war als "zweiter Mann" für die katholische Hofmusik zuständig. Und Johann Sebastian Bach schließlich hatte als "Hofcompositeur" von Leipzig aus für die evangelische Kirchenmusik zu sorgen.
    Musik: Bach h-Moll-Messe
    h-Moll Messe kein Werk für Dresdner Hof
    Die "Dresdner Stimmen" hat Bach bekanntlich etliche Jahre später beträchtlich erweitert. So wurde aus der lutherischen Missa Brevis eine vollständige katholische Messe, eben die h-Moll-Messe. Sie gilt heute als der Gipfel von Bachs Schaffens. Lange hat man angenommen, er hätte sie für den katholischen Teil des Dresdner Hofes komponiert. Michael Heinemann hält das nach seinen neuen Erkenntnissen nun aber für ziemlich ausgeschlossen. Denn Bach war ja, wie gesagt, ausschließlich für die protestantische Kirchenmusik am Hof zuständig:
    "Bach hat aufgrund eines Auftrags aus Wien oder Böhmen diese Messe komplettiert – so wie der letzte Stand der Dinge ist – für eine Aufführung in Wien."
    Das vermuten übrigens auch die Wissenschaftler am renommierten Leipziger Bach-Archiv. In Zukunft werden sicherlich weitere Forschungsergebnisse mehr Klarheit bringen.
    Als Fazit lässt sich sagen, daß die jetzt nötige Neudatierung der Urfassung der h-Moll-Messe von 1733 auf nun 1736 der Bachforschung neue, spannende Impulse gibt. Durch diese Sensation, die es erforderlich macht, Bachs Biographie an einem Punkt neu zu schreiben, dürfte das völlig unterfinanzierte 91. Bachfest der Neuen Bachgesellschaft zumindest in die Forschungsgeschichte eingehen.