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95 Prozent unbekannt

Physik. - Wissenschaftsthemen schaffen es selten in die allgemeinen Nachrichten. Die Sichtung des Higgs-Teilchens am Cern war eine Ausnahme dieser Regel. Was diese Entdeckung für die Menschen außerhalb der Physikergemeinde bedeutet, erklärt der Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter im Gespräch mit Monika Seynsche.

Ralf Krauter im Gespräch mit Monika Seynsche | 05.07.2012
    Seynsche: Herr Krauter, anscheinend hat man ja dieses Teilchen jetzt gefunden, aber was bringt dieser Erfolg für uns?

    Krauter: Zunächst, Frau Seynsche, muss man sagen Balsam für die Seele der Forscher. Denn die Entdeckung des Higgs-Teilchens ist natürlich ein enormer Triumph, nach diesem Teilchen haben Tausende Wissenschaftler jahrzehntelang gesucht. Das war, kann man so sagen, die größte konzertierte Suchaktion, die in der Geschichte der Menschheit je stattgefunden hat. Für eine ganze Generation von Forschern ist dieser Durchbruch jetzt sicher so etwas wie eine Art persönlicher Mondlandung, würde ich sagen.

    Seynsche: Das ist schön für die Forscher, aber was bringt es für die Normalsterblichen?

    Krauter: Zunächst einmal gar nichts. Aber Gegenfrage: Was hatten Normalsterbliche damals davon, als Christoph Columbus in See gestochen ist? Auch erst einmal gar nichts. Ich glaube, es liegt also in der Natur des Menschen, dass man auf Entdeckungsreise geht, um Dingen auf den Grund zu gehen. Teilchenphysiker tun das auf der mikroskopischen Ebene. Die wollen verstehen, was die Welt so ganz im Innersten zusammenhält. Und das Weltmodell, dass sie sich auf ihrem Weg zur Erkenntnis in den letzten 50 Jahren erarbeitet haben, das so genannte Standardmodell der Teilchenphysik, das ist sehr elegant und sehr leistungsfähig. Denn, welche andere Wissenschaft ist schon in der Lage Prognosen zu machen, die sich 50 Jahre später bewahrheiten. Also mir fällt selbst nach längerem Nachdenken wirklich keine ein. Das ist schon beeindruckend. Andererseits lässt aber eben dieses Standardmodell, dass durch die Entdeckung des Higgs jetzt eben fulminant bestätigt wird, doch viele Fragen offen. Man weiß eigentlich schon länger, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, man weiß zum Beispiel seit über 15 Jahren, dass dieses Standardmodell nur einen ganz kleinen Teil des Kosmos überhaupt beschreiben kann. Nur etwa fünf Prozent des Universums bestehen aus dem Quarks und Elektronen und ihren Verwandten, die in diesem Standardmodell vorkommen, in diesem Legobaukasten der Teilchenphysik. Ja, und über den Rest, da weiß man einfach ziemlich wenig.

    Seynsche: Und was macht man jetzt, um den Rest herauszufinden?

    Krauter: Ja, man weiß, dass es den Rest geben muss. Astronomische Messungen bestätigen eben, dass 95 Prozent da noch irgendwo rumwabern, von denen man nichts genaues weiß. Die Forscher vermuten, es sind exotische Formen von Energie und Materie, und um ihr Unwissen in Worte zu gießen, hat man denen die Namen "Dunkle Materie"und "Dunkle Energie" gegeben. Das heißt eigentlich nur, dass keiner genau weiß, was das wirklich ist. Man sucht danach. Nüchtern betrachtet könnte man natürlich sagen: Ja, jetzt haben die Physiker 50 Jahre gebraucht um fünf Prozent des Universums zu beschreiben. Das ist natürlich eine nicht so berauschende Bilanz, kann man sagen, aber man muss auch sagen, diese fünf Prozent, die Physiker schon ganz gut beschreiben können, die haben uns ja Mobiltelefone, Laser und Kernspintomographen beschert. Denn auch die elektromagnetische Kraft zum Beispiel, die ja Grundlage aller Mikroelektronik ist, die ist in diesem Standardmodell drin und prima verstanden und beschrieben.

    Seynsche: Aber 95 Prozent sind ja doch ein bisschen mehr als fünf Prozent. Wie könnte man den Licht in dieses Dunkel der 95 Prozent bringen?

    Krauter: Der Königsweg für die Physiker sowieso sind natürlich immer Experimente. Und die laufen zum Teil natürlich auch schon, im Gran Sasso Labor in Italien zum Beispiel liegen riesige Teilchen-Detektoren auf der Lauer, um ein Partikel dieser mysteriösen dunklen Materie aufzuspüren, die so ein Viertel der Masse des Universums ausmachen muss. Allerdings, der durchschlagende Erfolg, den gab es noch nicht, darauf wird gewartet. Und eine der großen Hoffnungen ist eben, dass auch der LHC da weiterhelfen könnte, dieser Riesen-Teilchenbeschleuniger des Cern bei Genf, wo man das Higgs entdeckt hat, der könnte nämlich im Kreuzfeuer der Partikelstrahlen tatsächlich solche exotische dunkle Materie erzeugen, und die Detektoren des LHC, die sollten im Prinzip in der Lage sein, die aufzuspüren.

    Seynsche: Und das wäre dann spannender als das Higgs-Teilchen?

    Krauter: Auf jeden Fall, das sagen auch die meisten Forscher. Man hätte dann nämlich erstmals die Chance, ein Weltmodell zu entwickeln, das nicht fünf Prozent des Kosmos beschreibt, sondern immerhin ein Viertel. Das wäre ein Riesenfortschritt. Und wer weiß, vielleicht findet man dann, wenn man dann erst Indizien hat, auch Hinweise auf die restlichen 70 Prozent, die Dunkle Energie. Mal schauen.

    Seynsche: Bleiben wir mal bei der Dunklen Materie. Wonach suchen denn die aktuellen Experimente, Sie haben das Cern angesprochen?

    Krauter: Also als heiße Kandidaten für diese Dunkle Materie gelten so genannte supersymmetrische Doppelgänger bekannter Teilchen, nach denen hält man konkret Ausschau. Also Lichtteilchen zum Beispiel, die könnten solche Doppelgänger haben, aber auch die eben entdeckten Higgsteilchen. Und, naja, wer weiß, vielleicht stellt sich ja bei der präzisen Messung an diesen Higgsteilchen vielleicht doch noch raus: Das war gar nicht das Higgs Teilchen, was man da gefunden hat, sondern ein supersymmetrischer Doppelgänger. Nicht sehr wahrscheinlich, zugegeben, aber möglich wäre es im Prinzip. Und dann wäre eben wirklich das Tor aufgestoßen zu einer völlig neuen Physik und zu einer völlig neuen Welt. Also es ist dort weiter spannend.

    Seynsche:. Dann schauen wir mal, was passiert. Vielen Dank an Ralf Krauter.