Freitag, 19. April 2024

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A. L. Kennedy: "Schreiben"
Schwieriges und kompliziertes Handwerk

Anfang Dezember hat A. L. Kennedy in Düsseldorf den begehrten Heine-Preis entgegengenommen. In ihrer Dankesrede sprach sie auch über die Bedingungen ihrer Arbeit und über die manchmal kuriosen Begleitumstände des Schriftstellerdaseins. Der Band "Schreiben" beschreibt dies im ironischen Plauderton.

Von Christoph Schröder | 09.01.2017
    Symbolfoto Minibuch mit fiktivem Text und Lesebrille, aufgenommen am 12.02.2013 in Gera.
    Das Schreiben kann sehr anstrengend sein. (picture-alliance / dpa / Jan-Peter Kasper / FSU )
    Seit der Veröffentlichung ihres Romans "Gleißendes Glück" im Jahr 2000 hat A. L. Kennedy sich auch in Deutschland eine große Fangemeinde erschrieben. Nicht zuletzt deshalb, weil sie in ihrem deutschen Entdecker Ingo Herzke einen Übersetzer gefunden hat, der in der Lage ist, ihre kühnen Assoziationen, gewagten Gedankensprünge und ungewöhnlichen Metaphern auch in eine Fremdsprache hinüberzuretten. Nicht ohne Grund hat Kennedy das Heine-Preisgeld von 50.000 Euro mit ihrem Übersetzer geteilt.
    A. L., das steht für Alison Louise, Kennedy ist zunächst einmal eine ungemein einfallsreiche und in ihrer Prosa kaum berechenbare Autorin, die auch als Solo-Performerin auf Bühnen auftritt und sich mit ihrem Programm "Words" eine Art Kultstatus erarbeitet hat. In "Words" erzählt Kennedy in geraffter und hoch ironischer Form von ihrer Künstlerwerdung, von ihrer Unbeholfenheit in Situationen, die zum Leben einer Autorin zwangsläufig gehören, von ihren Zweifeln und Selbstentblößungen.
    "Ich werde veröffentlicht. Das geht so weit, dass sogar ein Autorenfoto von mir gemacht wird – auf dem ich nicht lächeln darf, weil es sonst so aussieht, als hätte ich ein Zirkuspferd verschluckt, das jetzt wieder herauskrabbeln will. Hat man mir geraten. Ich bin in mein Verlagshaus gegangen, und dort heißen tatsächlich alle Miffy oder Muffy oder Buffy, und man möchte tatsächlich fragen: Gibt es hier irgendwen, der kein Weihnachtswichtel ist? Dennoch: Ich werde veröffentlicht."
    A. L. Kennedy ist fintenreich und witzig. Ihre Blogeinträge lesen sich auf den ersten Blick wie ein nie ganz Ernst gemeinter Ratgeber für angehende Schriftsteller. Sie geht den Quellen ihrer vermeintlichen Inspiration nach, um festzustellen, dass sie für sich entschieden hat, zunächst einmal alles inspirierend zu finden, was ihr begegnet. Sie erklärt, wie man am besten über Sex schreibt – so wie über alles andere auch.
    Sie reflektiert den Sinn und Unsinn von Literaturrezensionen, denen sie zumindest zubilligt, eine gewisse Berechtigung für die Verlage und für die Rezensenten selbst zu haben, wenn schon nicht für die Autoren. Sie amüsiert sich über Schreibworkshops, die nun plötzlich Meisterklassen heißen. Und sie singt ein abgründiges Loblied auf Stipendien und damit verbundene Residenzpflicht an Orten, an denen man sich sonst nie freiwillig aufhalten würde.
    "Wenn Sie Glück haben und besser smalltalken können als ich, könnten Sie über das Angebot stolpern, vorübergehend ein leeres Ferienhaus, eine toskanische Villa, eine Künstlerkolonie oder das teilweise renovierte Vulkankrater-Hauptquartier eines Bond-Bösewichts zu beziehen, um sich dort mit Ihrer Muse einzurichten und ernsthaft kreativ zu werden."
    All das ist allerdings Oberflächenkomik. Denn zwischen all diesen einfallsreich und flott formulierten Selbstbeobachtungen und Betriebsfrotzeleien blitzt in fast jedem dieser Texte der tiefe Ernst auf, mit dem A. L. Kennedy ihre Arbeit verrichtet. Im Grunde genommen ist "Schreiben" eine einzige Sammlung performativer Selbstwidersprüche: Eine Schriftstellerin fährt das gesamte Arsenal ihres Könnens auf, um mit Leichtigkeit zu demonstrieren, wie schwierig und kompliziert ihr Handwerk in Wahrheit ist.
    Hinter saloppen Tonfall verbirgt sich harte Arbeit
    Hinter dem saloppen Tonfall verbergen sich harte Arbeit, Konzentration, Entbehrung und Disziplin, die bis an den Rand der Selbstausbeutung betrieben wird. Da ist die Angst der freien Künstlerin, im Krankheitsfall - der dann auch prompt für einige Monate eintritt - durch das soziale Netz zu fallen. Da ist das harte Ringen um eine Sprache, um eine Stimme. Und da ist die Angst, dem Gegenstand niemals gerecht werden zu können.
    "Wenn man zu schreiben anfängt, ist es ganz normal, Angst zu haben – es wäre dumm, keine Bedenken und Hemmungen zu haben, wenn man in den Kopf anderer Menschen eindringen will und womöglich nicht so glänzend, bewegend und beredt ist, wie man angesichts einer so großartigen, großzügigen und intimen Gelegenheit sein sollte. Jemand anderem einen Traum zu übergeben – das ist anstrengend."
    A. L. Kennedy, das wird in diesen Essays deutlich, ist eine Schriftstellerin, die den sinnlich-physischen Aspekt ihrer Arbeit als zentralen Antrieb erkannt und angenommen hat. Auch Eleganz, so erfahren wir, ist das Produkt einer Anstrengung. So hüpfen uns die Texte entgegen, einer nach dem anderen. In hoher Konzentration genossen, kann das durchaus zu einer Überdosis an Wort- und Assoziationsreichtum führen. Ausgesprochen variantenreich sind die Texte in "Schreiben" nämlich nicht. Das liegt nicht an der Autorin, sondern ist eher dem Format geschuldet. Es empfiehlt sich durchaus, Kennedys Ausflügen in den Schreiballtag zu folgen – vielleicht aber am Besten wie in Form eines Adventskalenders: Tag für Tag ein Stück.
    Buchinfos:
    A. L. Kennedy: Schreiben, Edition Akzente bei Hanser, München 2016, 208 Seiten, Preis: 22,- Euro