Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Aachener Hofgemeinschaft
Gelebtes Utopia von Mensch und Tier

Bewohnbare Häuser aus Stroh und Lehm, Weiden, soweit das Auge reicht und Gärten für Kräuter und Gemüse: Auf dem Aachener Hof Vier Linden hat Andreas Dilthey vor 37 Jahren mithilfe von Materialien, die in Vergessenheit geraten sind, ein Heim für eine neue Wohn- und Lebensgemeinschaft erschaffen, die Wissen und Fertigkeiten untereinander austauscht.

Von Antje Allroggen | 05.03.2017
    Eine Ziege und ein Esel stehen auf einer Bergweide.
    Ziegen, frei laufenden Hühnern und Esel: Auf dem Aachener Hof Vier Linden leben Mensch und Tier zusammen. (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand )
    Mittagessen auf dem Aachener Hof Vier Linden. An diesem Tag gibt es Kartoffelgratin mit Gemüse. Eine junge Französin, die schon seit einigen Wochen auf dem Hof aushilft, hat heute gekocht.
    "Kaffee ..., wer möchte?"
    Andreas Dilthey hat sich in die kleine Küche des Hofes verzogen. Eine Außenküche, in der man nicht nur im Winter kalte Füße bekommt:
    "Es ist immer kalt, und dann ist es das Beste, du tust was selber."
    Als der Kaffee serviert wird, nimmt auch Andreas Dilthey an der langen Tafel im Innern des Hauses Platz. Seit 37 Jahren nennt er den Aachener Hof Vier Linden sein Zuhause:
    "Also ich bin ja hier gelandet, weil ich mich verfahren habe. Ich hab einen Bauern gefragt, ob ich den Garten pachten kann, und dann sagte der, das kannst du nicht pachten, du kannst das Haus kaufen, wenn du willst. Das war erst mal Zufall. Weil ich hier studiert habe. Aber bei dem Architekturstudium war mir auch immer wichtig, dass nicht nur theoretisch an der Uni zu lernen, sondern ich wollte es auch immer praktisch üben und ausprobieren und experimentieren, und dazu war das einfach genial, so ein Objekt zu haben."
    "Die Möglichkeiten, die wir haben, erst einmal zu erkennen"
    Schon als Kind beginnt Andreas Dilthey, sich Spielhäuser aus einfachen Materialien oder Abfall zu bauen, um sich darin einzuigeln, zu bedecken, zu beheimaten. An der mit Holz verkleideten Esszimmerwand hängen zwei Ahnenporträts. Diltheys Urgroßeltern:
    "Was uns auch noch verbindet, ist das Veredeln von Naturmaterialien. Mein Vater, der hat Obstedelerzeugnisse hergestellt. Also man kann sagen Marmelade oder Konfitüre, und ich hab das halt mit dem Lehm gemacht oder Marmor veredelt oder in Bronze. Aber letztendlich Naturmaterialien. Da seh ich schon Verbindungen, ja."
    Dilthey baute einen Kräuter- und Gemüsegarten, mehrere Häuser aus Lehm und Stroh. Die Zäune sind aus natürlichem Holz gefertigt:
    "Das wäre etwas, was man den Kindern eigentlich in der Schule beibringen müsste, was sind die essenziellen Sachen, die wir brauchen, um überleben zu können. Und zwar eigenverantwortlich. Mit dem, was wir haben. Die Möglichkeiten, die wir haben, erst einmal zu erkennen, wertzuschätzen und mit denen dann etwas tun."
    Wirtschaftlich ist der Hof auf Spenden und Ehrenamtler angewiesen
    Eine Weltbetrachtung, die verlustig gegangene Kulturtechniken unserer Vorfahren wieder in den Mittelpunkt rückt. Basierend auf einer Gemeinschaft, die Wissen und Fertigkeiten untereinander austauscht.
    "Ich glaube, wenn eine bestimmte kritische Masse erreicht ist, ich sag jetzt mal 10, 20 Prozent von den Leuten, die dann so leben, dass es dann sicher eines Tages überschwappen wird. Und dass die Leute dann sagen, nein, wir haben es satt, und wir wollen es wieder selber in die Hand nehmen und unser eigenes Leben leben und ein Miteinander leben. Und ein Leben, wo wir uns als solidarische Wertegemeinschaft sehen, auch mit den Leuten auf der anderen Seite von der Welt."
    Vielleicht rettet das bodenständige Fundament den Hof davor, sich in radikalisierte Ideologien zu verstricken. Wirtschaftlich ist der Hof immer noch auf Spenden oder die Arbeit von Ehrenamtlichen angewiesen. Von einer autarken Gemeinde kann also nicht die Rede sein.
    "Also von den Sachen, die wir hier produzieren, können wir nicht leben. Das ist völlig klar. Also den Apfelsaft oder den Honig, der reicht gerade für uns oder du kannst ihn von uns erwerben. Aber davon können wir auf keinen Fall leben. Deswegen haben wir ja mit den Vermietungen angefangen hier. Das läuft ganz prima. Dass wir Kutschfahrten anbieten, Kindergeburtstage. Das ist eigentlich das, was richtig gut läuft und hier siehst du nochmal, das sind unsere drei Angebote über Seminare."
    "Eine parallele Erfahrung der Gegend, die man zu kennen glaubt"
    Jana Koppert, Diltheys Partnerin, brachte eine weitere Facette mit auf den Hof: Die Liebe zur Natur. Mit Dilthey unternahm sie eine Wanderung mit zwei Eseln mitten durch Aachen, die ebenso bereichernd sein kann wie der alternative soziale Wohnungsbau:
    "Es war eine parallele Erfahrung der Gegend, die man zu kennen glaubte, das war schön."
    "Ja, wir waren wie in einer Parallelwelt, haben wir festgestellt. Wir ganz raus aus der anderen, und plötzlich in diese eingetaucht und haben festgestellt, dass wir wirklich absolut im Hier und Jetzt waren und mit diesen Bildern ganz verbunden. Vor allem der Wald war ein großes Glückserlebnis und mit den Eseln geht man ja auch nochmal anders. Also man geht da jetzt nicht irgendeine Abkürzung, sondern muss dann eben die Wege gehen oder den Weg, den man eben vor sich hat."