Donnerstag, 25. April 2024

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Anschläge in Brüssel
"Gute Organisation der Terroristen"

Die Attentäter von Brüssel seien gut ausgebildet worden, sagte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Deutschlandfunk. Es sei besorgniserregend, dass sie bei dem aktuellen Fahndungsdruck in Belgien so ruhig und überlegt zur Tat schreiten konnten.

Guido Steinberg im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 23.03.2016
    Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik
    Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi )
    Ann-Kathrin Büüsker: Wie konnte all das passieren? Das ist eine Frage, die gerade viele bewegt, wenn nicht gar alle. Die Behörden in Brüssel ermitteln seit Monaten, versuchen, die Spur der Attentäter von Paris zu finden, die ja nach Brüssel geführt hat. Und dann, mitten in diesen Ermittlungen, ein Anschlag in ihrer eigenen Stadt.
    - Darüber möchte ich sprechen mit Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Steinberg.
    Guido Steinberg: Guten Tag!
    Büüsker: Die belgischen Behörden, die ermitteln seit Paris intensiv in Sachen Terror. Wie kann es da sein, dass direkt vor ihren Augen ein Anschlag verübt wird?
    Steinberg: Nun, zunächst einmal spricht das dafür, dass die Attentäter gut ausgebildet waren und dass sie diese Ausbildung höchst wahrscheinlich in Syrien oder im Irak beim IS genossen haben. Es ist tatsächlich besorgniserregend, dass unter einem solchen Verfolgungsdruck, wie der in Belgien und in Frankreich aufgebaut wurde, es überhaupt möglich war, dass die Attentäter noch die Bomben bauen, die Ziele beobachten und dann so ruhig und überlegt zur Tat schreiten können. Dazu gehören natürlich auch einige Versäumnisse der belgischen Behörden, aber ich denke, dass zunächst einmal die Professionalität und die Ruhe und Abgeklärtheit der Täter die viel wichtigere Ursache ist.
    Büüsker: Das heißt, Sie sehen auch einen Zusammenhang zwischen der Festnahme von Salah Abdeslam in der vergangenen Woche und den Anschlägen von gestern?
    Steinberg: Ja, ich denke, dass es diesen Zusammenhang gibt. Es gab ja eine Verbindung zumindest zwischen dem Herrn Ashrawi, der jetzt immer noch auf der Flucht ist, und Salah Abdeslam. Die Täter wussten also, dass es enger wird, dass sie bald handeln müssen. Und ich gehe davon aus, dass diese Einsicht dazu führte, dass sie ihre Planungen beschleunigten. Allerdings benötigt man, allein um die Bomben zu bauen, die Ziele auszuwählen und die Attentäter vorzubereiten, doch mehr als die vier Tage, die zwischen der Verhaftung und dem Attentat lagen. Ich gehe davon aus, dass die Planungen schon mindestens vor einigen Wochen begonnen wurden.
    Büüsker: Wie komplex sind diese Terroristen untereinander organisiert?
    Steinberg: Das wissen wir leider für den belgischen Fall noch nicht. Wir müssen allerdings davon ausgehen, dass es da eine durchaus gut funktionierende Organisation im Hintergrund gibt. Es war ja eine der erschreckenden Einsichten aus den Attentaten vom 13. November 2015 in Paris, dass die Attentäter vorher intensiv miteinander kommuniziert hatten, ohne dass westlichen Sicherheitsbehörden der Zugriff auf diese Kommunikation gelang. Und sie haben ja nicht nur in Paris, in Belgien und in Europa miteinander kommuniziert, sondern auch bis nach Syrien und in den Irak, wo sich zumindest einer der Attentäter noch mehrfach im Planungsprozess befand. Und das verweist alles darauf, dass wir es da mit einer gut funktionierenden Organisation zu tun haben. Und ihre Wurzel hat diese europäische Organisation natürlich in den Strukturen des IS im Irak und in Syrien.
    Büüsker: Ich habe eben Salah Abdeslam schon angesprochen. Er ist jetzt über Monate hinweg untergetaucht, war für die Behörden nicht auffindbar. Spricht die Tatsache, dass er offensichtlich so lange untertauchen konnte, auch für die gute Organisation und vielleicht auch für den Rückhalt der Terroristen in der Gesellschaft?
    Steinberg: Recht weitgehende Unterstützung der Terroristen in ihrem Umfeld
    Steinberg: Ich bin mir nicht sicher, ob diese Tatsache für die gute Organisation der Terroristen spricht. Ich befürchte eher, dass sein Abtauchen an seinem Heimatort in Molenbeek bedeutet, dass er dort zumindest von vielen Leuten, die ihn kannten, geduldet wurde. Ich kann es mir kaum vorstellen, dass seine Präsenz an diesem Ort so vollkommen unbemerkt blieb. Und wir müssen uns, glaube ich, darauf einstellen, dass in vielen Vierteln nicht nur im flandrischen Teil Belgiens, sondern auch in Frankreich und in Deutschland die Zustimmung zu unserem Staat und die Zustimmung zu den Sicherheitsbehörden so schwach ist, dass es Attentätern auch anderswo gelingen kann, über längere Zeit unterzutauchen. Auch hier, da bin ich mir nicht sicher, ob wir es da wirklich mit einem Versäumnis der Sicherheitsbehörden, oder vor allem mit einer doch recht weitgehenden Unterstützung für die Terroristen in ihrem Umfeld zu tun haben.
    Büüsker: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann können solche Parallelgesellschaften zu einem sehr großen Problem werden.
    Steinberg: Ja. Wir wissen das seit langer Zeit, dass es vor allem in Frankreich, auch in Belgien, in etwas geringerem Ausmaß hier in Deutschland Viertel gibt, über die der jeweilige Staat die Kontrolle verloren hat. Und das deutsche Wort von den Parallelgesellschaften ist da fast noch beschönigend, wenn man daran denkt, was für Auswirkungen das jetzt in Paris und in Brüssel hat. Es wird zumindest darum gehen in den nächsten Monaten, für die Belgier, für die Franzosen, aber auch viele andere Europäer, sich zu überlegen, ob sie nicht die Kontrolle über Teile ihres Staatsgebietes wiedergewinnen müssen. Aber wie gesagt: Mein Eindruck ist, dass das hier in Deutschland noch nicht so schlimm ist, aber es gibt hier auch einige Ansätze in den Vierteln der großen Städte, die meines Erachtens schon zu weit gehen.
    Büüsker: Sie haben eben Daesch angesprochen, den selbsternannten Islamischen Staat, der ja auch die Verantwortung für die gestrigen Anschläge für sich beansprucht. Jetzt scheint es ja so, als würde Daesch im Irak und in Syrien zunehmend an Boden verlieren. Ist es da möglich, dass die Terrororganisation vor diesem Hintergrund Europa noch einmal viel stärker in den Fokus nimmt?
    Steinberg: Ja. Ich denke, dass die Angriffe, die wir in den letzten Monaten sehen, schon eine Reaktion darauf sind, dass der IS im Irak und Syrien doch stark unter Druck gerät. Die Organisation, ihr Sprecher, ihr Anführer, die haben mehrfach klar gemacht, dass es ihnen vor allem darum geht, westliche Staaten zu provozieren, doch nicht mehr nur Luftangriffe zu fliegen, sondern mit Bodentruppen zu kommen. Die Organisation glaubt nämlich, dass sie die mit größerem Erfolg bekämpfen kann als Kampfflugzeuge oder Drohnen, denen sie nichts entgegenzusetzen hat. Allerdings gibt es einige Hinweise aus Terrorverfahren in den letzten Monaten, dass der Entschluss, in Europa anzugreifen, Leute zurückzuschicken, die dann Strukturen aufbauen und gegebenenfalls Anschläge zu verüben, bereits getroffen wurde, bevor die Luftangriffe überhaupt erst begannen. Das würde dann dafür sprechen, dass das, was wir sehen, keine Auswirkung unserer Politik, der französischen Luftangriffe beispielsweise ist, sondern eine eigenständige Entscheidung des IS, der ganz einfach aufgrund seiner antiwestlichen Ideologie sich entschlossen hat, Rekruten aus Europa zurückzuschicken, um uns anzugreifen.
    Büüsker: Guido Steinberg war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Steinberg.
    Steinberg: Ich danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.