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Abbau von Plastiktüten
Die kleine Raupe Nimmersatt

Weltweit werden pro Jahr rund eine Billion Plastiktüten verbraucht. Sie sorgen für etwa 60 Millionen Tonnen Plastikmüll. Die meisten Tüten bestehen aus Kunststoffen, die kaum biologisch abbaubar sind. Forscher in Spanien haben eine Möglichkeit entdeckt, wie es deutlich schneller gehen kann.

Von Oliver Neuroth | 25.04.2017
    Eine Raupe, die Plastik fressen kann (undatierte Aufnahme). In Spanien wurde der bisher schnellste "Plastikfresser" entdeckt. Es ist diese Raupe, die im Kampf gegen das Plastikmüll-Problem neue Hoffnung weckt. Die Entdeckung gelang einer Wissenschaftlerin durch Zufall bei der Säuberung eines Bienenstocks.
    In Spanien wurde der bisher schnellste Plastikfresser entdeckt (dpa / Federica Bertocchini / Paolo Bombe)
    Federica Bertocchini forscht nicht nur als Biologin an der Universität Santander in Nordspanien – sie ist auch Hobby-Bienenzüchterin. Als sie eines Tages ihre Bienenstöcke zu Hause reinigen wollte, fiel ihr auf, dass Raupen hineingekrochen waren, Larven der Großen Wachsmotte.
    "Diese Raupen sind eine Plage für Imker. Sie breiten sich in den Honigwaben aus und zerstören den Bienenstock. Also habe ich diese Larven herausgenommen und in eine Plastiktüte gesteckt. Nach kurzer Zeit stellte ich fest, dass die Larven Löcher in die Tüte gefressen hatten herausgekrochen waren."
    Heiß auf Polyethylen
    Eine Riesenüberraschung für die Italienerin und der Startschuss für eine groß angelegte wissenschaftliche Studie. Zusammen mit ihren Kollegen fand Bertocchini heraus, dass die Motten-Larven es auf Polyethylen abgesehen haben. Fast alle normalen Plastiktüten bestehen aus diesem Kunststoff. Die Forscher wissen bisher noch nicht, ob die Larven das Polyethylen komplett zersetzen oder in ihren Ausscheidungen noch kleine Reste davon übrig bleiben. Das soll im nächsten Schritt herausgefunden werden, sagt Ainhoa Goñi vom Wissenschaftsministerium in Madrid, die sich um die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse kümmert.
    "Wir wollen wissen, warum die Raupe so sehr an dem Kunststoff interessiert ist. Dann prüfen wir, welche Enzyme oder Moleküle konkret für die Zersetzung zuständig sind – und versuchen, diese zu züchten. Ein wichtiger Schritt. Unser Ziel lautet langfristig: Plastikmüll so zu vernichten."
    Offenbar ist Polyethylen für die Raupen nicht giftig
    In Experimenten fraßen 100 Raupen in zwölf Stunden etwa 92 Milligramm Polyethylen. Das heißt: Für eine handelsübliche Plastiktüte, die 20 Gramm wiegt, brauchen sie gut 100 Tage. Nach den Worten der Wissenschaftler ist das relativ schnell. Ein Bakterium, das japanische Forscher vor Monaten entdeckt haben und das eine ähnliche Kunststoffverbindung abbauen kann, schafft in dieser Zeit nur einen kurzen Streifen Tesafilm. Offenbar ist Polyethylen für die Raupen nicht giftig, sagt Ainhoa Goñi.
    "Sie fressen den Kunststoff ohne Probleme. Wir prüfen, ob die Larven vielleicht noch andere Plastik-Verbindungen fressen. Wir versuchen sie, dabei auch etwas zu locken – mit Honig, das ist schließlich ihre Leibspeise", wie Hobby-Imkerin Federica Bertocchini von ihrem Honig-Anbau weiß. Sie warnt nach den ersten Forschungsergebnissen aber vor zu viel Euphorie.
    "Wir müssen etwas vorsichtig sein. Was bisher feststeht: Die Raupe frisst Plastik, und zwar schnell, das ist phänomenal. Aber wir müssen noch den genauen biologischen Mechanismus finden. Es öffnet sich quasi gerade eine neue Tür – was sich dahinter befindet, werden wir noch erkunden."