Freitag, 19. April 2024

Archiv

Abbaubarkeit
Vom zweifelhaften Nutzen der Biokunststoffe

Ob Wegwerfgeschirr aus Maisstärke, Müllbeutel für die Komposttonne oder Kapseln für die Espressomaschine: All das besteht aus biologisch abbaubaren Kunststoffen. Was aber noch lange nicht bedeutet, dass diese Materialien auf dem heimischen Komposthaufen in absehbarer Zeit verrotten.

Von Arndt Reuning | 23.07.2017
    Eine Auswahl biologisch abbaubarer Tragetüten liegt im Ruppiner Papier und Folienwerk GmbH in Neuruppin auf einem Tisch.
    Tragetaschen aus Biokunststoff (dpa / picture alliance / Bernd Settnik)
    Moderator
    Ja, ich gebe es zu: Auch ich besitze eine dieser praktischen Espressomaschinen, in die man nur eine Kaffee-Kapsel stecken muss, und den Rest erledigt die Maschine von ganz alleine. Irgendwann hat mich dann doch mein ökologisches Gewissen gepackt. Und ich habe beschlossen, statt Kapseln aus Aluminium mal solche aus Plastik zu verwenden – und zwar aus Plastik, das biologisch abbaubar ist. Dann habe ich aber erst mal geschaut, wie ich die benutzten Kapseln denn überhaupt entsorge. Und da stand dann auf der Verpackung: Die sollen nicht in den Gartenkompost, die sollen nicht in die braune Tonne oder in den gelben Sack – die sollen in den ganz normalen Hausmüll.
    Wie sinnvoll sind biologisch abbaubare Verpackungen?
    Wie sinnvoll sind biologisch abbaubare Verpackungen, wenn sie am Ende dann doch in der Müllverbrennungsanlage landen? Dieser Frage möchte ich heute nachgehen. "Eingeschränkt abbaubar - Vom zweifelhaften Nutzen der Biokunststoffe", so heißt die heutige Sendung. Im Studio begrüßt Sie Arndt Reuning.
    Nicht nur Kaffeekapseln bestehen aus bioabbaubaren Polymeren. Auch Mülltüten werden gekauft - vor allem für Küchenabfälle, die dann in die Biotonne wandern. Der Vorteil liegt auf der Hand: Diese Beutel sind stabil. Sie durchweichen nicht, wie zum Beispiel Papiertüten. Aber was geschieht mit ihnen, nachdem die Biotonne geleert wurde? Mein Kollege Piotr Heller hat sich auf die Spur gemacht.

    Beitrag
    Es herrscht einiges an Verkehr in der Kompostierungsanlage in Darmstadt. Radlader fahren durch die große Halle. Sie schieben die Bio- und Gartenabfälle in eine Maschine.
    "Das ist der Schredder. Das Material wird hier abgekippt vom Müllfahrzeug und der Schredder wird mit dem Radlader bestückt. Die Teile sind nach dem Schreddern circa vier bis acht Zentimeter groß", erklärt Klaus Maier vom Eigenbetrieb für kommunale Aufgaben und Dienstleistungen.
    Ein Hinweiszettel mit dem Verzeichnis der richtigen Inhaltsstoffe für eine Biotonne der Müllabfuhr hängt am 24.02.2016 in Osnabrück (Niedersachsen) an einer Biotonne. 
    Was geschieht mit den abbaubaren Müllbeuteln in Biotonnen, nachdem sie geleert wurden? (dpa/ Friso Gentsch)
    Die geschredderten Abfälle kommen dann ebenfalls per Radlader in eine von 16 sogenannten "Rotteboxen", wo sie etwa acht Tage lang belüftet werden und sich zersetzen. Weil dabei Wärme entsteht, ist die Temperatur hier in der Halle auch an diesem Sommervormittag etwas höher als draußen. Gut 13.000 Tonnen Material verarbeitet die Kompostierungsanlage im Jahr. Doch nicht alles davon wird auch wirklich zu Kompost. Klaus Maier:
    "Nach dem Rottevorgang wird das Material durch ein Trommelsieb geschüttet und wir erhalten einen Kompost mit einer Körnung bis zu zwei Zentimeter. Der Rest ist der so genannte Siebüberlauf. Das sind Fremdstoffe, die Ausgesiebt werden und über Biomasse-Kraftwerke als Brennstoffe entsorgt werden."
    Problem für die Kompostierungsanlagen
    Auf dem Haufen mit dem Siebüberlauf liegen neben Holzresten und einigen Zeitungspapierschnipseln auch viele Folienfetzen. Maier:
    "Es ist den Folien nicht anzusehen, ob sie aus Kunststoff sind, Polyethylen oder anderem, oder ob sie aus Biomaterial hergestellt worden sind, das abbaubar ist. Wie Sie sehen, sind die Tüten nach sieben bis neun Tagen nicht komplett verrottet. Dementsprechend können wir diese Mengen nicht dem Landwirt andienen. Niemand will Plastik auf den Acker schmeißen."
    Also muss das, was ausgesiebt wurde, verbrannt werden. Das kostet, was ein Problem für die Kompostierungsanlagen ist.
    Andere Anlagen in Deutschland beugen dem vor, indem sie die Abfälle vorsortieren oder mehrere Wochen verrotten lassen. Dadurch muss weniger ausgesiebt werden, aber das Problem mit den biologisch abbaubaren Folien wird nicht gelöst: Die müssen sich laut DIN-Norm erst nach zwölf Wochen zu 90 Prozent zersetzt haben. Und trotz aufwendiger Siebung und Methoden, die etwa Folienreste aus dem Kompost herauspusten, kann immer noch etwas im Endprodukt landen, sagt Michael Schneider vom Verband der Humus- und Erdenwirtschaft in Aachen:
    "Der Gesetzgeber sowohl im Abfallrecht als auch im Düngerecht gibt strenge Vorgaben, wie viele Fremdstoffe maximal im Kompost enthalten sein dürfen. Bei der Untersuchung der Fremdstoffe kann nicht festgestellt werden, ob es sich um einen herkömmlichen Kunststoffschnipsel oder einen biologisch abbaubaren Kunststoffschnipsel. Die gehen gleichermaßen in die Qualitätsbewertung mit ein."
    Höhere Kosten
    Somit schaden die biologisch abbaubaren Kunststoffe einerseits der Qualität des Komposts, andererseits verursachen sie den Anlagen mitunter höhere Kosten. Man könnte natürlich sagen, dass das für alle Plastikteile gilt, die ihren Weg in die Biotonne finden. Die biologisch abbaubaren Kunststoffe verstärken das Problem aber, weil viele Menschen glauben, es sei in Ordnung, sie über die Biotonne zu entsorgen. Michael Schneider:
    "Ich besuche regelmäßig Kompostierungsanlagen, schaue mir dann auch die Abfälle, die dort angeliefert werden an, und beobachte, dass die Bioabfall-Sammeltüten verstärkt genutzt werden. "
    Einweg-Kapseln für Kaffee aus Aluminium liegen auf einem Tisch. 
    Einweg-Kapseln für Kaffee aus Aluminium gehen aus Umweltsicht gar nicht. Aber auch abbaubare zersetzen sich vergleichsweise schlecht. (picture-alliance / dpa / Sojka Libor)
    Noch problematischer ist das bei biologisch abbaubaren Tragetaschen oder Kaffeekapseln. Schneider:
    "Auch die Kaffeekapseln haben eine wesentlich größere Wandstärke als die Folien zur Sammlung von Bioabfällen. Und von daher ist zu vermuten, dass diese sich schlechter zersetzen im Prozess. Wir finden die Kapseln auf jeden Fall in den Siebüberläufen auch wieder."
    Gute Biogas-Produktion
    Was aber die biologisch abbaubaren Müllsammeltüten angeht, so gibt es zumindest einige Fälle, in denen sie doch in die Biotonne gehören. Michael Schneider:
    "Insbesondere Betreiber von Vergärungsanlagen begrüßen zum Teil den Einsatz dieser biologisch abbaubaren Sammeltüten, weil damit die Stoffe erfasst werden, die für eine gute Biogas-Produktion stehen. Zum Beispiel auch gekochte Kohlrabi oder Kartoffeln ergeben viel Biogas. Und diese kann man mit diesen Tüten gezielt sammeln und landen nicht in anderen Entsorgungswegen wie der Toilette oder den Restabfall."
    Das gilt zum Beispiel in Aachen. Die Bioabfälle aus der Stadt landen in der Biovergärungsanlage Würselen. Und so kann man nicht generell sagen, dass biologisch abbaubare Werkstoffe – zumindest in Form der dünnen Tüten – nichts in der Biotonne verloren haben. Es kommt eben darauf an, was mit dem Müll gemacht wird.

    Moderator
    Der Abfallwirtschaftsbetrieb München hat sich übrigens erst vor wenigen Tagen an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt gewandt und darum gebeten, sogenannte "kompostierbare Biobeutel" über die schwarze Restmülltonne zu entsorgen, weil der Anteil an Plastikmüll im Bioabfall in letzter Zeit gestiegen sei. Sind die Biokunststoffe also nicht viel mehr als ein ökologisches Feigenblatt für vermeintlich umweltbewusste Verbraucher? Darüber habe ich mich unterhalten mit einer Expertin vom Umweltbundesamt. Mit Christiane Schnepel. Sie leitet das Fachgebiet Produktverantwortung. [Das Interview können Sie im Audio der Gesamtsendung nachhören.]
    Viele Anwendungen von abbaubaren Kunststoffen
    Tragetaschen, Kaffeekapseln oder Müllbeutel. In diesen Fällen bieten biologisch abbaubare Kunststoffe offenbar keinen besonderen Nutzen aufgrund ihrer Kompostierbarkeit. Aber das sind noch lange nicht alle Anwendungen, für die sie in Frage kommen. In der Medizin zum Beispiel als resorbierbares Nahtmaterial, zum Wundverschluss oder auch aus Transportkapsel für Wirkstoffe in Medikamenten. Ein ganz anderes Beispiel hat sich Piotr Heller zeigen lassen – in Oberhausen.

    Beitrag
    "Ich habe ein Beispiel von industriell hergestellten Fasern mitgebracht. Dass man mal einen Eindruck davon bekommt, wie fein die eigentlich sind. Das sind Produkte, die sich abbauen können."
    Mona Duhme breitet die Fasern auf einem Schreibtisch im Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen aus. Obwohl sie aus industrieller Produktion stammen, erinnern sie ein wenig an Baumwolle. Sie sind fein, leicht gebogen, leicht und weiß. Fasern dieser Art sollen irgendwann bei der Gestaltung von Ufern an Schifffahrtswegen helfen. Aber der Reihe nach:
    "Es gibt in der EG-Rahmenrichtlinie die Vorgabe, dass möglichst naturnahe Ufer konstruiert werden. Und ich denke, die meisten kennen das, dass wenn man an einem Fluss langgeht, wo Schifffahrt betrieben wird, dass große Steine da liegen. Man kann zwar zum Ufer und für Kinder ist es schön zu spielen, für Flora und Fauna ist es allerdings nicht so schön."
    Ein Containerschiff fährt am 03.09.2015 auf dem Nord-Ostsee-Kanal in Höhe der Rader Hochbrücke der Autobahn 7 bei Rendsburg (Schleswig-Holstein).    Foto: Carsten Rehder | Verwendung weltweit
    Ufer an Schifffahrtswegen könnten in Zukunft mit abbaubaren Kunstfasern begrünt werden. Denn natürlich bewachsene Ufer sind nicht einfach zu bauen. (dpa)
    Schöner ist in dem Sinne ein Ufer, auf dem Pflanzen wachsen und Tiere leben können. Doch das ist nicht so einfach zu bauen. Würde man einfach Erde ausschütten und Pflanzen einsetzen – das Wasser würde alles abtragen, bevor die ersten Wurzeln fest im Boden verankert sind. Man braucht also etwas, das den Boden stabilisiert, den Pflanzen erlaubt, Wurzeln zu schlagen und nach einiger Zeit wieder verschwindet. Die Fraunhofer-Forscher wollen dafür einen so genannten Geotextilfilter entwickelt:
    "Das, was wir planen, ist ein sequenziell biologisch abbaubares Produkt, was stückweise abbaut. Und zwar in Abhängigkeit der Abbaugeschwindigkeit der eingesetzten Materialen. Die Kräfte, die am Anfang auftreten, müssen vollständig vom Geotextil aufgenommen werden. Und lokal übernehmen das im Laufe der Zeit die Pflanzen."
    Erster Freilandversuch steht bevor
    Doch aus welchen Materialien soll dieser Geotextilfiler bestehen, damit er sich schrittweise abbaut? Das versuchen die Fraunhofer-Forscher um Mona Duhme gerade herauszufinden. Die feinen, weißen, Baumwoll-ähnlichen Fasern sind ein Kandidat. Solche Kunststoffe, die sich vergleichsweise langsam abbauen, sollen mit schneller abbaubaren Naturfasern kombiniert werden. Das Projekt, in dem die Wissenschaftler das erforschen, läuft bereits ein Jahr. Bald steht der erste Freilandversuch an:
    "Wir werden eine Beispielinstallation versuchen, an einem reellen Flussufer, das auch ein Schifffahrtsweg ist, in einem angedachten Anwendungsgebiet. Nach den drei Jahren Projektlaufzeit haben wir zwei Jahre Standzeit des Freilandversuches erreicht und wir können dann sehen, ob die Geotextilfilter die Funktion erfüllen und in wie fern die Pflanzen eine Möglichkeit haben anzuwachsen. Wir wissen dann auch, weil wir regelmäßig Proben entnehmen werden, welche Festigkeit dieser Geotextilfilter der hat und welche Durchlässigkeit er bekommen wird."
    Parallel dazu wollen die Wissenschaftler sogenannte Durchwurzelungsversuche unternehmen. Dabei werden sie in einzelnen Besuchskästen Pflanzen durch den Geotextilfilter wachsen lassen und prüfen, wie gut sie mit der Zeit durchkommen. So bekommen sie weitere Informationen darüber, welche biologisch abbaubaren Kunststoffe bei der Ufergestaltung hilfreich sein könnten.

    Moderator
    Bisher haben wir über spezielle Kunststoffe gesprochen, die von ganz gewöhnlichen Bakterien und Pilzen abgebaut werden. Ein europäisches Forschungsprojekt schlägt hier nun einen neuen Weg ein: Die Wissenschaftler möchten ein Allerwelts-Polymer, nämlich PET, zunächst abbauen und dann von hoch spezialisierten Einzellern zu Bioplastik umwandeln lassen. An dem Projekt beteiligt sind auch Forscher der RWTH Aachen. Zum einen Prof. Lars Blank und zum anderen Dr. Nick Wierckx. Mit beiden habe ich vor der Sendung über das Projekt gesprochen. [Das Interview können Sie im Audio der Gesamtsendung nachhören.]
    Öko-Brühkaffee vor Bio-Kapseln
    Zu den Kaffekapseln habe ich übrigens eine Pressemitteilung aus dem Jahr 2011 gefunden. Forscher aus der Schweiz von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt empa haben sich die Ökobilanz dieser Kapseln angeschaut. Ergebnis: Vor allem die landwirtschaftlichen Methoden beim Kaffeeanbau entscheiden über die Gesamtbilanz, nicht unbedingt das Material der Kapseln. Unter Umständen kann eine Kapsel, die mit Öko-Kaffee gefüllt ist, besser abschneiden als Filterkaffee, der unter hohem Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden erzeugt wurde. Doch am besten für die Umwelt ist ohne Zweifel Kaffee aus ökologischem Anbau, der einfach nur überbrüht wird.