Dienstag, 16. April 2024

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Abdelwahab Meddeb
"Mutiger großer Gelehrter und Poet"

Der tunesische Schriftstellers Abdelwahab Meddeb war für seine Kritik des Fundamentalismus im Islam bekannt. Er war "der große Aufklärer der arabischen Welt," meint sein deutscher Verleger Manfred Metzner. Meddeb starb gestern in Paris.

Manfred Metzner im Gespräch mit Christoph Schmitz | 06.11.2014
    Christoph Schmitz: Er gehört zu den profiliertesten französischen Schriftstellern und Intellektuellen arabischer Herkunft: Abdelwahab Meddeb. 1946 wurde Abdelwahab Meddeb in Tunis geboren, als junger Mann wanderte er nach Frankreich aus, er studierte an den Universitäten in Paris und Marseille, er war als Lektor bei verschiedenen Verlagen tätig, lehrte als Professor an einigen Universitäten, gab die interkulturelle Zeitschrift "dedale" heraus, produzierte für Radio Culture eine Sendung über islamische Kulturen. Und er schrieb: kulturkritische Abhandlungen, Gedichte und Romane. In der vergangenen Nacht ist Abdelwahab Meddeb in Paris gestorben. In Deutschland sind seine Bücher im Verlag "Das Wunderhorn" erschienen. "Talismano" und "Aya" heißen Meddebs Romane aus den 90er-Jahren. Was erzählen sie uns? Das habe ich den Wunderhorn-Verleger Manfred Metzner gefragt.
    Manfred Metzner: Das literarische Werk von Meddeb mit diesen zwei Romanen, da schildert er in diesen zwei Romanen quasi seine Kindheit und Jugend in Tunis, und das sind wunderbare Texte, wo er Sie in seinen Büchern mitnimmt in diese tunesische Kultur, die er erlebt, als Kind, als Jugendlicher, als Spaziergänger durch die Medina und mit seinem ganzen Wissen, was er über seine familiäre Herkunft dort mit einbringen kann, weil er ja aus einer der wichtigen Schriftgelehrten-Familien in Tunis stammt.
    Schmitz: "Talismano" sei eine Eloge auf das Dionysische, das Karnevaleske, das in der islamischen Kultur durch den Fundamentalismus verloren zu gehen drohe, schrieb damals "Die Zeit".
    Metzner: Ja!
    Die feiernde Seite des Islam
    Schmitz: Verkörpert Meddeb in seinem Werk diesen anderen Islam?
    Metzner: Absolut! Er hat ja auch immer sehr, sehr viel über den Sufismus gearbeitet. Das war ja für ihn der große Fehler innerhalb des Islam und des Fundamentalismus, das eben genau dieser Flügel oder das, was da früher auch im Islam, diese ganzen sufistischen Gedanken, die vorhanden waren, dass das vom Fundamentalismus her abgeschnitten wurde, und er war dieser Seite sehr, sehr zugekehrt, dieser lebensfrohen, dieser feiernden Seite, und das drückte sich auch eigentlich in seiner ganzen Haltung dem Islam und überhaupt der Kultur gegenüber aus.
    Schmitz: Ein kurzes Wort noch zum Roman "Aya", der ja in der Pariser Gegend spielt.
    Metzner: Ja. Das ist sozusagen die Fortsetzung dann seiner Kindheit und Jugend, wie er dann als junger Student nach Paris kommt und wie dann dieser Art Kulturschock auf ihn wirkt, als tunesischer Jüngling dann nach Paris zum Studium zu kommen.
    Schmitz: Meddebs Essay "Die Krankheit des Islam" ist 2002 erschienen, eine Art Abrechnung mit den Fundamentalisten und der wahabitischen Schrumpfversion des Islams.
    Metzner: Ja!
    Schmitz: So stand es in der Verlagsankündigung.
    Metzner: Ja!
    "Der große Aufklärer der arabischen Welt"
    Schmitz: Wie sieht Meddebs Diagnose des gegenwärtigen Islams argumentativ denn aus?
    Metzner: Na ja, er hat es wirklich in der Krankheit des Islam in seinem Buch so ungefähr wie ein Arzt seziert und hat darüber diese kritische Auseinandersetzung mit dem Islam vorangetrieben, so wie Thomas Mann früher für den Nationalsozialismus das als die deutsche Krankheit diagnostizierte, und Meddeb diagnostizierte eben den Fundamentalismus als die Krankheit des Islam.
    Diese Auseinandersetzung gegen den religiösen Extremismus, gegen den Fundamentalismus, das hat ihn eigentlich die ganze Zeit beschäftigt und daraus sind die meisten seiner Bücher entstanden, oder auch die meisten seiner Radio-Essays, oder diese Sendungen, die er in "France Culture" jede Woche hatte, "Culture d'Islam". Das war sozusagen seine Plattform zu zeigen, wie vielfältig der Islam ist, was er für Kultur oder Kulturen hat und dass er durchaus auch immer diese Aufklärung gefordert hat.
    Schmitz: Er war auch Lyriker. "Ibn Arabis Grab" heißt eine seiner Gedichtsammlungen.
    Metzner: Ja.
    Schmitz: Ein Abschlusswort noch zum Klang dieser Lyrik?
    Metzner: Der Klang dieser Lyrik ist im Verlag dadurch mitzubekommen, dass diese Ausgabe, die wir gemacht haben, dreisprachig ist: Französisch, Deutsch und Arabisch. Und er hat Ibn Arabi dann mit den Gedichten mit seiner Übersetzung auch neu in die Moderne geholt.
    Schmitz: Ein Verlust für die frankophone Literatur mit arabischem Hintergrund?
    Metzner: Ja, nicht nur. Ich denke, auch eigentlich für die ganze Welt, gerade wenn man sich vorstellt, was er als mutiger großer Gelehrter und Poet durch zum Beispiel "Die Krankheit des Islam" für Diskussionen angestoßen hat. Man kann schon sagen weltweit, dass er eigentlich der große Aufklärer der arabischen Welt war, und das als Kosmopolit mit islamischen Wurzeln. Das war ja auch das ganz Besondere an Abdelwahab.
    Schmitz: Wunderhorn-Verleger Manfred Metzner über den verstorbenen Autor Abdelwahab Meddeb.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.