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Abenteuersportplatz Tempelhof

Der Flughafen Tempelhof ist in die Geschichte eingegangen: er sicherte den West-Berlinern während des Kalten Krieges die Versorgung. Diejenigen, die das Gelände heute nutzen, wissen wenig von der Luftbrücke.

Von Ronny Blaschke | 06.11.2011
    Es sind vor allem Kinder und Jugendliche, die den 2008 stillgelegten Flugplatz als Abenteuerspielplatz für sich entdeckt haben. In Tempelhof treffen die klassischen auf die neuen Sportarten. Ob Windskaten oder Fußball, Breakdance oder Schlagball, in Tempelhof findet jeder seine Nische.

    Wer sich von der S-Bahnstadion "Tempelhof" dem ehemaligen Flughafen nähert, dem öffnet sich ein riesiges Feld. Ein Feld ohne Häuser, Straßen, Bäume. Das Feld wird gesäumt von Flugzeughangars, daneben ein weißer Radarturm. Hinter dieser Kulisse erheben sich die Altbauten Berlins, das Gebrumm der Großstadt wirkt wie gedämpft, weitab thront der Fernsehturm. Hier, im Herzen der Metropole, ist man plötzlich auf dem Land.

    "’Ich finde, das ist Berlins größter Spielplatz. Das Alter spielt auch keine Rolle, hier kommen halt auch gestandene Mannsbilder wie ich her, im gehobenen Alter schon, und leben einfach ihre Spielereien aus. Wunderbar einfach hier.’"

    Karl-Johann Richter aus Friedenau, 47 Jahre alt, hat den perfekten Ort für sein Hobby gefunden: Wind-Skaten. Er steht auf einem Brett, an dem ein Surfsegel befestigt ist. Darauf rollt er über die zwei Kilometer Landebahn, auf der noch immer der Reifenabtrieb der Flugzeuge zu erkennen ist. Richter ist ein Mann von kräftiger Statur, er lehnt sich in den Wind und nimmt Fahrt auf.

    "’Man merkt’s auch, wenn man hinfällt, es ist sehr hart. Man muss eigentlich auch mit Helm fahren, Ellbogenschoner, empfehle ich jedem Anfänger. Es ist hier so groß, das reicht für alle, egal, wie viele Leute hier auf dem Platz sind.’"

    Der Flughafen Tempelhof hatte als einer der ersten Verkehrsflughäfen Deutschlands 1923 seinen Linienverkehr aufgenommen, seit 2008 ist er jedoch still gelegt. Im Mai 2010 wurde die Fläche im Süden Berlins als gigantische Freizeitwiese geöffnet, sie ist mit rund 300 Hektar größer als der Berliner Tiergarten oder der Central Park in New York. Bis zu 30000 Gäste am Tag nutzen das Gelände als ihren Abenteuerspielplatz. Vor allem für Sport.

    Ob Fußball oder Badminton, Marathon oder Radfahren. Auf dem Tempelhofer Feld sind die klassischen Disziplinen ebenso vertreten wie die Trendsportarten.

    "’Das ist ein großer Lenkdrachen, dann haben wir noch eine Art Skateboard unter den Füßen mit Luft gefüllten acht bis neun Zoll Reifen und damit fahren wir über die Wiese. Und wenn genug Wind ist, würden wir auch eine Runde springen und ein paar Tricks machen in der Luft."’

    Benjamin Kuhfahl aus Spandau, 19 Jahre alt. Seit drei Jahren betreibt er Kite-Landboarding. Mit seinen Händen lenkt er einen zwanzig Quadratmeter großen Drachen. Der Wind reißt ihn bis zu fünf Meter hoch, dann liegt er quer in der Luft, winkelt seine Beine an oder streckt sich. Kuhfahl ist fast an jedem Wochenende in Tempelhof.

    "’Ja, die Größe ist sehr schön, weil sich dann auch der Wind richtig legen kann, dass er nicht so extrem böig ist. Die Fläche einfach, die große Fläche, man ist den ganzen Tag draußen, ist eigentlich herrlich."’

    Früher mussten die Extremsportler ins Umland fahren, nach Brandenburg oder gleich an die Ostsee, aus der Mitte Berlins dauerte das mehr als eine Stunde. Heute rasen, springen, fliegen sie über Asphalt und Wiesen mitten in Berlin, zwischen den Bezirken Kreuzberg, Neukölln, Schöneberg. Ob Breakdance oder Drachenfliegen, ob Minigolf oder Yoga. Die Sportler können sich ihre Zeit einteilen, ihren Ort auf dem Feld selbst bestimmen. Es ist das Ungezwungene, das Individuelle, das viele an der Tempelhofer Sportlandschaft reizt. Mit Sporttreiben im Verein hat das nur noch wenig zu tun.

    "’ Und im Herzen von diesem großen Flugplatz eine richtige, echte Landepiste, wo früher die Rosinenbomber gelandet sind. Und das ist natürlich doch ein witziges Gefühl, wenn man mit einem ein Meter zwanzig Learjet auf so einer riesigen großen Piste landet."’

    Ralf aus Lichterfelde, seinen Namennamen möchte er nicht nennen. Am westlichen Rand des Geländes hat sich Ralf seinen kleinen Modellflughafen eingerichtet. Er bastelt, schraubt und klebt an seinen Maschinen, die er gleich mit einem ferngesteuerten Elektroantrieb über Tempelhof schweben lassen will. Bei Ralf sitzt jeder Handgriff, seine Maschine fliegt Figuren , steht in der Luft, wird schneller und wieder langsam. Um ihn herum hat sich ein Halbkreis gebildet, ein Dutzend Kinder und Jugendliche beobachten Ralf bei seinem Hobby. Vor dreißig Jahren hat er das Modellfliegen für sich entdeckt, nun stehen 60 Flugzeuge in seinem Keller.

    "’ Aber es ist, wenn so viele Leute da sind, nicht ganz ungefährlich. Gerade eben, als ich mit meinem Learjet gelandet bin, da musste ich bei der Landung dann doch schon etwas durchnavigieren, weil der doch mit etwas höherer Geschwindigkeit landet. Und das bedeutet, wenn hier nicht wirklich ein kleines abgesperrtes Gelände ist, dann wäre es einfach zu gefährlich, Modellbau zu betreiben. Aber das es hier wirklich ein ausgewachsenen Modellfluggelände wird, kann ich mir nicht vorstellen.’"

    Während Ralf sein Flugzeug von der Landbahn nimmt, macht Olmo Köhler seine Maschine startklar. Der 16-Jährige lässt ein ferngesteuertes Auto über das Rollfeld rasen, hin und wieder hüpft das Fahrzeug über Ritzen im aufgeplatzten Beton, aus denen schon das Unkraut wuchert. In Tempelhof haben auch diejenigen Zuflucht gefunden, die in ihren Kiezen nicht wirklich erwünscht waren. Wegen Lärmbelästigung, Verletzungsgefahr oder einfach wegen Platzmangel.

    "’Wir spielen Schlagball, eine relativ alte europäische Schlag- und Teamsportart. Es hat sehr viel mit dem Brennball zu tun und es gibt es im Relikt noch in der Schule, Schlagball. Baseball geht auf Schlagball zurück.’"

    Jorge Schulz, Kapitän des Teams "Fang- und Abwurf Berlin". Früher haben er und seine Freunde im Görlitzer Park in Kreuzberg gespielt, doch irgendwann hat der Platz nicht mehr ausgereicht. In Tempelhof wollen sie eine vernachlässigte Sportart wiederbeleben. Seit den fünfziger Jahren hat es in Deutschland keinen Ligabetrieb für Schlagball gegeben. Zurzeit existieren hierzulande acht Mannschaften. Sie sind gut vernetzt und können sich mit internationalen Gästen zu Turnieren treffen. Ganz unbürokratisch:

    "’Wir passen hier gut hin, eben als eine exotische Sportart. 100 bis 120 Meter brauchen wir schon, um uns auszubreiten. Und diese Möglichkeiten gibt es auf anderen Grünflächen, die nicht ohne Vereinsmitgliedschaften zu erreichen sind, in Berlin soweit nicht. Ich persönlich würde befürworten, wenn man diese große Sportfläche so erhält, wie sie jetzt auch vorhanden ist und nicht noch anfängt zu renaturieren oder neue Gebäude drauf zu setzen, um eben auch Freiraum mitten in Berlin für Sportarten wie uns zu gewährleisten.’"

    Auf einem ehemaligen Flughafen findet jeder seine Nische. Der Titel, den Förderer dem Gelände gegeben haben, trifft auch auf den Sport zu. Sie sprechen von der neuen "Tempelhofer Freiheit".