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"Aber es lässt sich eben auch als politische Waffe zuschärfen"

Internet.- Soziale Netzwerke können für Regierungen zu unliebsamen Erscheinungen werden – das hat jüngst der Fall von Ägypten gezeigt. Ob und wie Staaten – natürlich hinter den Kulissen – gegen Facebook und Co. vorgehen, erläutert Wissenschaftsjournalist Maximilian Schönherr im Gespräch mit Manfred Kloiber.

12.02.2011
    Manfred Kloiber: Maximilian Schönherr über das größte deutsche soziale Netzwerk für professionelle Anwender. Herr Schönherr, ist es eigentlich erstaunlich, dass die große Sorge der Netzwerk-Betreiber vor allem die Nicht-Erreichbarkeit ist?

    Maximilian Schönherr: Das geschilderte Szenario betrifft Zentraleuropa mit seiner an sich stabilen Netzwerkstruktur. Da wäre ein Ausfall von 30 Minuten en bloc schon ein Schuss gegen den Bug, ein Zeichen für Unzuverlässigkeit eines Dienstes. Ein seriöses Unternehmen kann sich das nicht leisten. Aber wenn wir auf Länder wie China, den Iran, Tunesien, Ägypten, Algerien blicken, da sind die Netze weniger stabil und mehr oder weniger stark von Regierungen kontrolliert, und hier spielt der gelegentliche Ausfall des Anbieter-Servers eigentlich eine untergeordnete Rolle. Facebook übrigens hat zwei Riesen-Rechenzentren in Oregon in North Carolina. Bei 600 Millionen Nutzern inzwischen geht man von 60.000 Servern aus. Entscheidend in diesen anderen Ländern ist der Ausfall von Internet- und Mobilfunkverbindungen, und damit auch von Facebook und Twitter für die Menschen in diesen Ländern. Vor allem diese beiden Dienste – Twitter wird von manchen nicht soziales Netz, sondern privater Nachrichtendienst genannt, sind Werkzeuge zur Organisation von Massen, gegen die die Flugblätter früherer Spontanproteste, also ich denke jetzt an die 70er-, 80er-Jahre, regelrecht arm aussehen.

    Kloiber: Der Eingriff von Regierungen ist ja bei diesen Netzen besonders interessant, was sie dagegen tun. Ja, was unternehmen sie gegen unliebsame Netzwerke?

    Schönherr: Wir haben drei Szenarien zu verzeichnen: Man kann den landesweiten Zugang zu den Servern von Facebook sperren. Also das heißt, man darf da nicht mehr hinsurfen. Bei Youtube gelingt das ganz gut, häufig in vielen Ländern. Aber über Proxys, also Umleitungen, kann man sich dann doch durchmogeln. Auch Mobilfunknetze sind hier ganz gut. Man kann das ganze Internet abdrehen. Das haben wir ja gerade von Peter Welchering auch gehört, solche Szenarien. In Ägypten ist das vor zwei Wochen tatsächlich geschehen und hat dann auch hierzulande mächtige Diskussionen ausgelöst. Was wir in diesem Ländern aber auch sehen, ist, dass sich die Behörden die Netze selbst zunutze machen und zum Beispiel über Mobilfunkbetreiber Pro-Mubarak-Meldungen verbreiten. Oder, wie in Tunesien geschehen, Accounts, also Zugangskonten von Facebooknutzern hacken, um zu sehen, was sie nur ihren Freunden, also in ihrem halbprivaten Bereich, schreiben. Konkret ist da folgendes passiert: Am 5. Januar, am Höhepunkt der Revolution, stellten Sicherheitsmanager bei Facebook fest, das irgendjemand – Geheimdienst, Regierung, man weiß es nicht genau – mit einer Art nationalem Keylogger-Programm, also einem Virus, alle Anmeldevorgänge bei Facebook protokolliert, also die Namen und Passwörter mitschneidet. Damit war vertraulicher Austausch der Demonstranten über neue Aktionen praktisch nicht mehr möglich. Facebook führte dann innerhalb weniger Tage eine https-Verschlüsselung ein, und bei den kompromittierten Konten einer Sicherheitsabfrage über ein Foto hat man den Usern quasi die Frage gestellt: Angeblich bist Du mit dieser Person hier befreundet, dann sag mir doch mal, wie die heißt.

    Kloiber: Das große Maß an Kommunikation in sozialen Netzwerken – ist das wirklich politisch oder könnte man sagen, dass es eigentlich mehr, ich sag mal lokaler Tratsch und Klatsch ist, was da in den sozialen Netzwerken stattfindet?

    Schönherr: Das ist natürlich, von allem Politischen abgesehen, der Löwenanteil. Eine Freundin von mir in Schweden meinte, Facebook wäre für sie gerade in den dunklen Wintern die Gelegenheit, mit ihren Freundinnen zusammen Kaffee zu trinken. Die verabreden sich dann tatsächlich über Facebook zum Kaffee, aber sie sitzen meistens in ihren Wohnungen dann doch alleine und facebooken über Hunde. Ein spanischer Archeologe meinte kürzlich, Facebook sei für die Forschung völlig unbrauchbar, dafür sei es die große Disko des Internets inzwischen. Aber es lässt sich eben auch als politische Waffe zuschärfen. So wie sich Schülerinnen über Facebook letzte Woche verabredet haben, einen Tag ungeschminkt in die Schule zu gehen. Das ist tatsächlich passiert. Da kann man sagen, wir treffen uns morgen um 11 hinter der Moschee mit den Molotow-Cocktails, also das sind neue Waffen, mit denen man umgehen muss. Und ich habe ich zum Beispiel mal einen Twitterfeed, das heißt, ich kann mir angucken, was gerade getwittert wird, und es wimmelt quasi minütlich von neuen Informationen und Meldungen aus Algerien. Zum Beispiel wurde, sehe ich gerade, die Webseite des Präsidenten gehackt.