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Aberglaube
Placebo aus dem alten Ägypten

Zeitreise ins Altertum: In Ägypten hielt sich 3000 Jahre lang der Heka-Kult, der gegen Krankheiten, Angst und Feinde wappnen sollten. Das frühe Christentum setzte ihm ein Ende. Der Bonner Wissenschaftler Ludwig Morenz hat die Rituale und Zeichen erforscht. Er sieht erstaunliche Verbindungen zur Gegenwart.

Von Alfried Schmitz | 26.04.2017
    Pyramiden in Ägypten
    Pyramiden in Ägypten (picture alliance / dpa / Foto: Mike Nelson)
    "Die klassische ägyptologische Übersetzung wäre Zauber oder Magie. Tatsächlich ist Heka in Ägypten eine Kulturtechnik, die nicht gegen Religion stand, sondern einen wesentlichen Teil davon bildete", sagt der Ägyptologe Ludwig Morenz.
    Wenn die Ägypter das Schicksal positiv beeinflussen wollten, suchten sie nicht nur Hilfe bei ihren Gottheiten. Um auf Nummer Sicher zu gehen, versuchten sie es auch gleichzeitig mit verschiedenen Heka-Ritualen. Ein weit verbreiteter Brauch war es, Wunschbotschaften in Amulette zu ritzen. Das waren laut Morenz "teilweise Sprüche, teilweise Bilder, die umgehängt wurden gegen Krankheitsdämonen. Es gibt auch Fieberamulette, es gibt Sprüche gegen Zahnschmerz und das, was einen als Mensch so plagen kann."
    Obwohl die Fähigkeit der ägyptischen Ärzte bereits damals hoch entwickelt war und es durchaus schon Medikamente mit heilender Wirkung gab, hatte die Anwendung des Heka-Kults wohl ebenfalls einen positiven Einfluss auf die Gesundung von Körper und Seele.
    Den Placebo-Effekt gab es schon damals
    "Placebo-Effekt würde ich in einem gewissen Sinne ganz generell als sehr wahrscheinlich ansetzen. Eine zweite Sache ist die Bewältigung von Ängsten, dass man Heka als Externalisierung von Ängsten verstehen kann."
    Um ihren Geist von belastenden Sorgen zu befreien, übertrugen die Menschen ihre Ängste auf bestimmte Heka-Symbolobjekte. Das waren Steinfiguren, kleine zusammengefaltete Papyrusbriefchen oder die schon erwähnten Amulette, die man mit entsprechenden Wunsch-Botschaften versah und sich an einer Kette um den Hals hängte. Doch Heka wurde nicht nur in einem vermeintlich guten Sinne angewendet.
    "Die Zerstörung von irgendwelchen Feindfiguren. Das ist das, was aus der Ethnologie als Voodoozauber bekannt ist. Das gab es in Ägypten auch. Und davon gibt es auch extrem viele archäologische Spuren", sagt Morenz.
    Bei Ausgrabungen wurden unzählige solcher zertrümmerter Ton-Figuren gefunden, die mit Verwünschungen beschrieben waren. Aber nicht immer galt dieses besondere Heka-Voodoo-Ritual Feinden aus dem persönlichen Umfeld. Der Bonner Ägyptologe hat bei der Analyse von alten Schriften und Fundstücken herausgefunden:
    "Dass man aus ägyptischer Staatssicht die Namen der Nachbarn, der Fremden und Feinde auf diese Figuren schreibt und die in öffentlichen Ritualen kaputt macht."
    Bindeglied zwischen Wissenschaft und Götterglaube
    Weder Staatsbeamte noch Priester hatten Einwände gegen den beliebten Heka-Kult. Und da Totengöttin Isis, Herrin über Natur und Magie, auch als Schutzpatronin des Heka-Kultes galt, bestand zwischen offizieller Religionsauffassung und Heka sogar eine religiös legitimierte Verbindung. Anerkannte Fachkundige in Sachen Heka genossen großes gesellschaftliches Ansehen. Ihr Wissen und ihre Erfahrung gaben sie gegen Entlohnung weiter. Bei Ausgrabungen wurden Schriften gefunden, die darauf hindeuten, dass Heka eine Art Bindeglied zwischen wissenschaftlichem Denken und Götterglaube war.
    "Es ist weder Religion noch Naturwissenschaft, sondern ist irgendwo dazwischen. In einem Spannungsfeld", so Moreld.
    Dass der Heka-Kult auch von weltlichen Instanzen durchaus ernst genommen wurde, beweist ein spektakulärer Kriminalfall. Pharao Ramses der III. wurde im Jahr 1156 vor Christus Opfer eines Mordkomplotts. Die daran beteiligten Familienmitglieder und Hofbediensteten bereiteten ihren Anschlag auf den Pharao durch das Verfluchen und Zerstören von Tonfiguren vor, wie erhaltene Gerichtsprotokolle aus jener Zeit beweisen.
    "Und da wird textlich verwiesen, dass solche Figuren benutzt worden sind. Die kennen wir in dem konkreten Fall gar nicht archäologisch, sondern aus diesen Gerichtsprotokollen, wo diese Verschwörer zur Rede gestellt werden. Was strafrechtlich verfolgt wurde, war einfach diese Absicht und in diesem Fall diese erfolgreiche Absicht, den König umzubringen. Und da ist ja egal, ob man das Messer wetzt oder ob man Puppen schafft."
    Gesellschaftliches Erfolgsmodell
    Heka war ein gesellschaftliches Erfolgsmodell, das dem sozialen Miteinander genutzt, die Grenzen zwischen den verschiedenen Schichten überbrückt hat. Der Kult, den man heute als Magie oder Aberglauben bezeichnen würde, konnte sich in der Hochkultur des alten Ägypten erstaunlicher Weise von cicar 2700 vor Chr. bis ins dritte Jahrhundert n. Chr. halten.
    Moreld antwortet: "Es gibt nach den 3000 Jahren einen ganz dramatischen Bruch. Dass nämlich mit der Einführung des Christentums in Ägypten im 3. Jahrhundert, der bis dahin positiv konnotierte Begriff Heka, dann genau das meint, was wir heute mit allen negativen Vorurteilen mit Magie verbinden würden. Und da dient der Begriff dazu, den Kontrast zwischen der neuen Religion Christentum gegen dieses Altheidnische auszumachen, das meint, mit Beschwörungen und Bildern die Gottheit und die Welt zwingen zu können."
    Der Heka-Kult verlor seine soziale Akzeptanz. Doch einige Heka-Spuren haben sich bis heute halten können. Auf den Straßen ägyptischer Städte sieht man hin und wieder Taxis und Busse, die mit einem wachenden Auge geschmückt sind. Das altägyptische Symbol soll Fahrer und Fahrgäste vor Unfällen schützen.
    Ludwig Morenz. "Hoffen und Handeln. Vom altägyptischen Heka. Hans-Bonnet-Studien zur Ägyptischen Religion 2. EB-Verlag Dr. Brandt, Berlin 2017. 198 Seiten, 22,80 Euro.