Freitag, 19. April 2024

Archiv

Abgasaffäre
VW kämpft gegen eine Flut von Klageschriften

Nicht nur in den USA, auch in Deutschland muss sich der VW-Konzern im Zuge des Abgasskandals zahlreichen Gerichtsprozessen stellen. Kläger sind Kunden und Privataktionäre, aber auch institutionelle Anleger wie große Staats- und Pensionsfonds setzen den Autobauer unter Druck.

Von Alexander Budde | 25.08.2017
    Blick auf das Verwaltungshochhaus des VW-Werks in Hannover
    David gegen Goliath: VW-Kunden müssen einzeln vor Gericht ziehen, wenn sie Schadensersatz oder einen Rückkauf fordern: Blick auf das Verwaltungshochhaus des VW-Werks in Hannover. (dpa)
    An diesem Freitag wird das erste Urteil gegen einen VW-Mitarbeiter in den USA gefällt. Der Ingenieur hat zugegeben, an der Betrugssoftware mitgewirkt zu haben. Der Druck auf andere Konzernmitarbeiter steigt. Und auch in Deutschland gibt es zig juristische Verfahren gegen den VW-Konzern.
    Strafrechtlich laufen bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Abgasskandals gleich vier Ermittlungsverfahren mit insgesamt 38 Beschuldigten. Der größte Komplex dreht sich dabei um möglichen Betrug durch die Manipulation der Abgasreinigung von Millionen Dieselautos. Festnahmen gab es nach Angaben der Behörde bislang keine. Gegen sechs Beschuldigte wird aufgrund einer Anzeige der EU-Antibetrugsbehörde OLAF unter anderem wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2- und Verbrauchsangaben ermittelt.
    Anleger fühlen sich betrogen
    Dazu kommen die beiden jüngsten Verfahren zum Vorwurf der Marktmanipulation: Die Braunschweiger Ermittler gehen auch dem Verdacht nach, Ex-Konzernchef Martin Winterkorn, der amtierende VW-Markenchef Herbert Diess sowie der frühere Finanzvorstand und heutige Chef des VW-Aufsichtsrats, Hans-Dieter Pötsch könnten Anleger die finanziellen Konsequenzen der VW-Dieselaffäre bewusst verspätet mitgeteilt und zwingende Informationen an die Finanzwelt unterdrückt haben.
    Auslöser ist eine Strafanzeige der Finanzaufsicht BaFin. Nachdem der vorsätzliche Betrug mit gefälschten Abgaswerten im September 2015 in den USA aufgeflogen war, hatten Volkswagen- und Porsche-Aktien massiv an Wert verloren. Die Finanzaufseher hatten daraufhin die Informationspolitik sowohl des Konzerns wie auch der Muttergesellschaft Porsche SE überprüft - und die verdächtigen Vorgänge zeitgleich bei den Staatsanwaltschaften in Braunschweig und Stuttgart angezeigt. Seither wird auch in Stuttgart ermittelt. Die Anklagebehörde dort ist zuständig für den Sitz der Porsche SE, jener Holding also, in der die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch ihre VW-Anteile bündeln. Den Anfangsverdacht einer möglichen Marktmanipulation sieht die Behörde auch bei VW-Konzernchef Matthias Müller gegeben. Dabei geht es um Müllers Tätigkeit für Volkswagen-Hauptaktionärin Porsche SE, wo der Manager seit 2010 im Vorstand sitzt.
    VW bestreitet die Vorwürfe, gibt an, sich an alle Regeln der Informationspflicht gehalten zu haben. Wann und ob es überhaupt zu Anklagen kommen wird, ist völlig offen. Während Medien wie der SPIEGEL von umfassenden Aussagen des früheren VW-Patriarchen Ferdinand Piëch berichten, ist unklar, ob Ex-VW-Lenker Winterkorn bislang überhaupt von der Braunschweiger Staatsanwaltschaft befragt worden ist.
    Spitzenmanager sollen seit zehn Jahren von der Manipulation gewusst haben
    Unterdessen laufen längst auch Ermittlungen gegen verantwortliche Manager der VW-Tochter Audi, wo die Software für die Motorsteuerung maßgeblich entwickelt wird. Die Staatsanwaltschaft München ließ im März dieses Jahres nicht nur bei Audi und VW Büros durchsuchen, sondern auch bei US-Rechtsanwaltskanzlei Jones Day, die von VW mit der firmeninternen Aufklärung beauftragt ist. Zuletzt belastete ein ehemaliger Ingenieur nach Medienberichten Audi-Chef Stadler und weitere Vorstände schwer. Einige Spitzenmanager sollen seit zehn Jahren von Abgasproblemen mit Dieselmotoren und sogar von den Softwaremanipulationen gewusst haben.
    Zivilrechtlich machen sowohl Aktionäre als auch Kunden Druck. Die Investoren fühlen sich zu spät informiert und wollen Schadensersatz für erlittene Kursverluste in Milliardenhöhe. Kläger sind institutionelle Anleger wie große Staats- und Pensionsfonds, aber auch Hunderte Kleinanleger. Am Landgericht Braunschweig türmen sich die Klageschriften. Im Frühjahr kommenden Jahres soll vor dem Oberlandesgericht in Braunschweig eine Musterklage verhandelt werden. Es geht um mehr als acht Milliarden Euro.
    VW-Kunden müssen dagegen einzeln vor Gericht ziehen, wenn sie Schadensersatz von ihren Händlern oder dem Konzern selbst oder einen Rückkauf fordern. Inzwischen gibt es zahlreiche Urteile von Landgerichten, die allerdings sehr unterschiedlich ausfallen.
    Auch in anderen Ländern ist Volkswagen noch in zivil- und strafrechtliche Prozesse verwickelt. Bis der Abgas-Skandal juristisch aufgeklärt ist, dürften noch Jahre vergehen.