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Abgasskandal
"Die Bundesregierung macht die Augen zu"

Die deutschen Autohersteller hätten alle mit Schummel-Software gearbeitet, sagte der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer im Dlf. Das liege aber an den "unendlich schlechten Gesetzen und Verordnungen", sowohl in Berlin als auch in Brüssel. Konsequent wäre es, die Autobauer zu Hardware-Nachrüstungen zu zwingen.

Ferdinand Dudenhöffer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 28.05.2018
    Ein Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz, aufgenommen am 11.05.2016 mit dem Verwaltungshochhaus vom VW Werk in Wolfsburg (Niedersachsen).
    Ein Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz mit dem Verwaltungshochhaus vom VW Werk in Wolfsburg (Niedersachsen). (dpa)
    Tobias Armbrüster: Der Abgasskandal in der deutschen Autoindustrie, er weitet sich aus. Ein Mann, der diese Industrie seit Jahrzehnten intensiv beobachtet, ist der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Professor an der Universität Duisburg-Essen. Ich habe vorhin, kurz vor dieser Sendung, mit ihm gesprochen. – Schönen guten Abend, Herr Dudenhöffer.
    Ferdinand Dudenhöffer: Guten Abend!
    Armbrüster: Herr Dudenhöffer, sind alle deutschen Autohersteller Betrüger?
    Dudenhöffer: Wenn man das wortwörtlich nimmt und als Betrüger Defeat Devices, also Schummel-Software sieht, dann muss man leider Gottes sagen, angefangen von Porsche über BMW, über VW, über Audi, alle haben da schlecht gearbeitet und haben Fahrzeuge, die jetzt nachgebessert werden müssen.
    Armbrüster: Und müssen wir uns darauf einstellen, dass da noch mehr rauskommt, vielleicht auch Schummeleien in ganz anderen Bereichen?
    Dudenhöffer: Man muss sich darauf einstellen, dass auch in der Zukunft Fahrzeuge zurückgerufen werden, dass auch in der Zukunft wieder Auffälligkeiten sind, denn die Autobauer überprüfen zwar die Fahrzeuge, aber das ist zeitaufwendig und eigentlich auch überraschend, denn die Fahrzeuge werden weiter verkauft. Die Kunden kaufen im guten Glauben Fahrzeuge und plötzlich heißt es, bei ihnen ist ein Defeat Device drin, das ist eine Schummel-Software, bei ihnen wird die Umwelt schlechter behandelt, als es vorgeschrieben ist.
    Armbrüster: Woher kommt bei den Autoherstellern, bei den deutschen Autoherstellern, muss man ja sagen, diese Energie, diese Schummel-Software einzubauen und überhaupt erst zu entwickeln?
    Dudenhöffer: Wenn man ehrlich ist, haben alle diese Schummel-Software oder am Rande der Gesetze gearbeitet. Das liegt aber an den Gesetzen. Wir haben unendlich schlechte Gesetze und Verordnungen gemacht – von der einen Seite in Berlin beim Verkehrsministerium, auf der anderen Seite in Brüssel. Die Fahrzeuge müssen nur bei einem bestimmten Testzyklus, der im Prinzip im Labor gefahren wird, die Umweltwerte einhalten. Man hat das einfach alles in Kauf genommen. Ein Argument ist sicherlich, man glaubte damit von der Politik her, der deutschen Automobilindustrie einen Gefallen zu tun. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben Grenzbereiche in unseren Gesetzen definiert, offene Löcher in unseren Gesetzen definiert und wundern uns, dass die ausgenutzt werden.
    "Problem wird uns noch zehn Jahre begleiten"
    Armbrüster: Und würden Sie dann sagen, ist die Bundesregierung da jetzt aufgewacht, wenn sie da so ernst macht, zum Beispiel beim Fall Daimler?
    Dudenhöffer: Ich glaube, sie ist nicht aufgewacht. Sie ist ein bisschen alarmiert, aber sie geht weiter im bisherigen Trott. Das sieht man auch dadurch, dass die Bundesregierung bisher sich renitent weigert, zum Beispiel Hardware-Nachrüstungen den Kunden anzubieten, die Autobauer dazu zu zwingen, Hardware-Nachrüstungen zu zertifizieren. Man macht einfach die Augen zu und sagt, Software ist eine schöne Sache, das kriegen wir irgendwie hin, in drei, vier Jahren ist das Problem gelöst. Das ist alles gelogen, das ist falsch, das Problem wird uns noch mehr als zehn Jahre begleiten. Die Bundesregierung macht die Augen zu.
    Armbrüster: Macht sie sich mitschuldig?
    Dudenhöffer: Ja sicher, von Anfang an, denn die Bundesregierung hat ja die Gesetze mit unterstützt in Brüssel und sie wusste von Anfang an, welche Risiken sie eingeht. Übrigens ein schönes Beispiel: Jeder Politiker wird Ihnen sofort zugestehen, dass sein Fahrzeug mehr verbraucht, als im Prospekt drinsteht, und genau da fängt es an. Dieser Mehrverbrauch, der gilt im normalen Fahrbetrieb, aber im Prospekt hat man Laborwerte gemacht. Das wissen alle Politiker und trotzdem sagen alle Politiker, jedes Auto braucht doch ein bisschen mehr, das ist normal. Man geht da mit einer Ignoranz heran an die Themen, die wirklich zum Kopfschütteln sind.
    Armbrüster: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe: Das, was wir da jetzt heute in Berlin erlebt haben, dass da der Daimler-Chef zum Rapport einbestellt wird und dass man ihm sagt, in zwei Wochen bitte wieder antreten und dann bitte möglichst bald eine Lösung präsentieren, das alles ist Augenwischerei?
    Dudenhöffer: Das ist Theaterdonner. Es ist Theaterdonner, bei dem man zeigen will bei der Öffentlichkeit, dass man wirklich aktiv ist. Wie mit einem kleinen Kind schimpft man dann, aber das Thema läuft eigentlich weiter. Bisher gibt es von der Bundesregierung für die ganzen Themen wie Dieselfahrverbote oder Nachrüstungen, aber auch die Frage, macht es wirklich Sinn, steuerlich zum Beispiel den Diesel weiter zu subventionieren, über Jahrzehnte, was zu immensen Steuerausfällen führt, keinerlei Antwort.
    "Der Diesel ist verbrannt"
    Armbrüster: Würden Sie heute noch einen Diesel kaufen?
    Dudenhöffer: Wenn, dann ausschließlich Euro sechs D. Bei Euro sechs – das ist das, was üblicherweise derzeit verkauft wird – sollte man sehr, sehr vorsichtig sein, denn da kann man nicht ausschließen, dass eine Schummel-Software drin ist. Die Daten bei den Umweltwerten sind oft viel schlechter im Fahrbetrieb, als sie sein müssten. Sie sind im Test gemacht worden. Ich persönlich würde keinen Diesel mehr nehmen, denn ich glaube, der Diesel ist verbrannt, und ich will meinen Nachbarn und den Kindern in unserer Umgebung nicht antun, dass man mit dem Diesel weiter in die Zukunft geht.
    Armbrüster: Herr Dudenhöffer, wenn das jetzt tatsächlich alles so ist, so schlimm ist, wie Sie es darstellen, wie Sie es bestätigen, mit Schummeleien in der Automobilwirtschaft, mit einer Bundesregierung, die darüber die schützende Hand hält, wie groß, muss man dann sagen, ist der Schaden für die deutsche Industrie insgesamt?
    Dudenhöffer: Das hat ja angefangen mit VW in Amerika. 25 Milliarden hat man bisher dafür bezahlt. Die deutsche Automobilindustrie war mal stolz auf ihren Diesel. Man wollte mit dem Diesel in die Zukunft gehen. Das hat man richtig vermasselt. Das funktioniert nicht mehr. Die Bundesregierung, die Politik auch in Brüssel hat der deutschen Automobilindustrie wirklich einen Bärendienst erwiesen. Strenge Gesetze und strenge Kontrollen so wie in den USA helfen der Industrie mehr, als einfach die Augen zuzumachen und zu beten und zu sagen, wir schützen Arbeitsplätze.
    Armbrüster: Ist das möglicherweise auch ein Image-Verlust, den die deutsche Wirtschaft da erlebt, zum Beispiel auch im Ausland, dass auf einmal deutsche Produkte mit Schummel-Software gleichgesetzt werden?
    Dudenhöffer: Es sind ja nicht nur deutsche Produkte, wenn man ehrlich ist. Alle, die den Diesel haben, haben diese Probleme. Auch die Franzosen haben die Probleme. Der Motor bei Daimler, der kommt ja von Renault, und die Abgasreinigung mit hoher Wahrscheinlichkeit dann auch. Also es ist niemand, der mit Diesel mit einer weißen Weste durch die Gegend fährt. Deshalb hat Volvo auch gesagt, wir steigen aus aus dem Diesel. Deshalb hat Toyota gesagt, wir werden keine Diesel mehr anbieten, wir gehen auf die Hybrid-Technologie. Es gibt saubere Diesel in der Zukunft. Die sind Euro sechs D. Aber die sind teurer, die sind komplexer und da muss man wirklich schauen, ob man mit dem Benziner oder mit dem Elektroauto besser aufgestellt ist.
    "Die Leute haben die Nase voll vom Diesel"
    Armbrüster: Hat dann der Diesel überhaupt eine Zukunft?
    Dudenhöffer: Er wird im Lkw-Bereich weiter sein. Die sind übrigens auch deutlich sauberer als die PKW. Dort hat man viel strenger agiert. Man hat sicherlich im Busbereich den Diesel. Man hat ihn bei dem einen oder anderen großen Fahrzeug vielleicht in der Zukunft. Aber bei den privaten Kunden in Deutschland hat heute der Diesel noch einen Anteil von 20 Prozent und sogar bei diesen SUV ist der Dieselanteil mittlerweile auf 35 Prozent heruntergesackt. Er war mal bei 80 Prozent. Die Leute haben die Nase voll vom Diesel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.