Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Abgasversuche mit Menschen
"Dieser Test ist doppelt überflüssig"

Autohersteller sollen über eine Forschungsvereinigung eine Kurzzeit-Inhalationsstudie mit Stickoxiden bei Menschen gefördert haben. SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann beschrieb die Untersuchung im Dlf als unseriös. Nun sei zu klären, warum sie nicht die Aufmerksamkeit der Aufsichtsräte erregt habe.

Kirsten Lühmann im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 29.01.2018
    Schadstoffe werden am Montag (19.02.2007) in Glinde (Kreis Stormarn) aus dem Auspuff eine Kraftfahrzeugs gepustet. Die große Koalition will unter dem Eindruck des weltweiten Klimawandels Autos künftig nicht mehr nach ihrem Hubraum, sondern nach ihrem Ausstoß an Schadstoffen besteuern.
    Inhalationsversuche mit Stickoxiden bei Menschen? SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann sieht dahinter den Plan der Autoindustrie, etwas "reinwaschen zu wollen, was man einfach nicht reinwaschen kann". (picture alliance / dpa / Ulrich Perrey)
    Jörg Münchenberg: Ein weiterer Skandal erschüttert die Autoindustrie. Nach den Abgasbetrügereien bei Dieselautos sind es jetzt Abgastests, die mit Affen und Menschen durchgeführt worden sind. Schon der Versuch an sich wird von vielen Politikern scharf kritisiert, auch von der Bundesregierung. Aber für Empörung sorgt auch, was mit diesen Tests offenbar erreicht werden sollte, nämlich zu belegen, dass Stickoxide doch nicht so schädlich seien, wie von vielen Experten festgestellt.
    Zugehört hat die Verkehrsexpertin der SPD im Bundestag, Kirsten Lühmann. Frau Lühmann, ich grüße Sie!
    Kirsten Lühmann: Hallo, Herr Münchenberg.
    Münchenberg: Frau Lühmann, wie bewerten Sie diese Abgastests mit Affen und Menschen, die da im Namen der Autoindustrie ausgeführt worden sind?
    Lühmann: Grundsätzlich lehne ich alle Tests mit Tieren und natürlich insbesondere auch mit Menschen ab, die nicht zwingend erforderlich sind, also im Sinne von gesetzlich vorgeschrieben, um ein Medikament in den Umlauf zu bringen. Auch die eben angesprochenen Tests mit Medikamenten finde ich sehr schwierig, weil ja zu vielen dieser Tests auch andere Untersuchungen vorliegen und sie überflüssig sind.
    Dieser Test hier – das hat ja der Kollege Krischer noch mal deutlich gemacht – ist deshalb noch doppelt überflüssig, weil er keine Aussage getroffen hat zu irgendwelchen gesundheitlichen Schäden, sondern er diente lediglich dazu, um irgendetwas reinwaschen zu wollen, was man einfach nicht reinwaschen kann.
    'Studie', die kaum eine Zeitungsmeldung wert wäre
    Münchenberg: Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen: die Zielsetzung der Tests. Denn da sollte ja bewiesen werden, dass Stickoxide vielleicht doch letztlich nicht so schädlich seien, wie vielfach behauptet.
    Lühmann: Das ist totaler Quatsch. Und vor allen Dingen so, wie die Tests durchgeführt wurden, sind die Ergebnisse nicht aussagekräftig. – Ich gebe Ihnen mal ein anderes Beispiel. Es gab eine große Studie zum Thema Lärm und Lärm von Fluglärm. Diese Studie umfasste über 9.000 Menschen und dauerte drei Jahre. Das waren Menschen, die in der Nähe von Flughäfen lebten, und Menschen, die weit von Flughäfen entfernt lebten. Diese Studie hatte mehrere Bereiche, die sie umfasst hat, Lebensqualität, Gesundheit und so weiter, und da kann ich irgendwo eine Aussage treffen. Das war eine Studie. Der Zeitraum und auch die Menschen, die ich da befragt habe und untersucht habe, lassen eine vernünftige Aussage zu. Aber 25 Menschen oder eine geringe Anzahl von Affen für diese kurze Zeit, das Ergebnis ist eigentlich noch nicht einmal dazu da, um eine Meldung in einer Zeitung zu produzieren, geschweige denn, um wissenschaftlicher Korrektheit zu entsprechen.
    Münchenberg: Frau Lühmann, einer der verantwortlichen Wissenschaftler für diese Tests saß offenbar auch im Untersuchungsausschuss zum Diesel-Skandal. Sie selbst waren ja auch Mitglied dieses Ausschusses. Ist Ihnen eigentlich damals was aufgefallen? Hat der Wissenschaftler versucht, hier die Schädlichkeit von Stickoxiden zu relativieren?
    Lühmann: Ich habe das eben von Herrn Krischer gehört. Ich weiß nicht den Namen dieses Wissenschaftlers. Wir hatten mehrere Experten da und keiner von ihnen hat behauptet, dass Stickoxide ungefährlich sind. Das waren verschiedene Aussagen. Wir haben auch eine Ärztin da gehabt, das war die Sachverständige der Grünen, die sehr deutlich geschildert hat, was bei Luftverschmutzungen passiert, und Luftverschmutzungen sind ja nicht nur Stickoxide, sondern es ist ja auch eine Mixtur von verschiedenen Stoffen, die wir insbesondere in Großstädten einatmen, wo wir auch gerade in der Politik dabei sind zu gucken, wie können wir diese Kontamination der Luft verringern, damit die Lebensqualität auch in unseren Städten besser wird. Ich kann mich an keinen der Gutachter erinnern, die gesagt haben, Stickoxide sind ungefährlich.
    "Zu klären ist, wer hat das veranlasst?"
    Münchenberg: Nun ist jetzt dieser Skandal publik geworden, Frau Lühmann, und es stellt sich natürlich die Frage nach Konsequenzen. Bislang hört sich das alles noch nebulös an. Es wird natürlich verurteilt. Aber die Frage ist: Was müssen denn für Konsequenzen gezogen werden?
    Lühmann: Stefan Weil hat es eben angesprochen. Er möchte gerne eine Aufklärung haben, wer diese Tests veranlasst hat. In dieser Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor, die sich meines Wissens ja auch inzwischen aufgelöst hat, war ja nicht nur VW beteiligt, sondern auch andere große Automobilherstellende. Insofern ist die Frage zu klären, wer hat das veranlasst, warum ist das nicht in den entsprechenden Aufsichtsräten thematisiert worden. Das ist aber eine Sache, die innerhalb der Automobilkonzerne stattfinden muss.
    Münchenberg: Würden Sie sagen, es muss auch personelle Konsequenzen geben? Das heißt, die Manager, die dort verantwortlich dafür waren, die müssten eigentlich ihren Hut nehmen?
    Lühmann: Das müssen die entsprechenden Aufsichtsräte klären. Ich persönlich bin der Meinung, dass sie ihren Hut nehmen müssten. Allerdings kann Politik einem Aufsichtsrat nicht vorschreiben, wie er den Vorstand überwacht. Ich halte so etwas für nicht verantwortbar und verstehe auch, ehrlich gesagt, die Automobilkonzerne nicht, denn der Schaden, der dadurch angerichtet wurde, in das Vertrauen auch von Automobilkonzernen ist immens. Das Vertrauen haben die Automobilkonzerne in den letzten Jahren ja mehrfach strapaziert und ich finde, das setzt dem Ganzen noch die Krone auf.
    Münchenberg: Das Ganze muss ja auch tatsächlich vor dem Hintergrund des Dieselskandals gesehen werden. Hat denn, Ihrer Einschätzung nach, die Industrie inzwischen aus diesem Skandal ihre Lektion gelernt?
    Lühmann: Ich wünsche mir da noch deutlich mehr. Wir haben ja als Politik hier zwei Aufgaben. Die erste Aufgabe ist, kurzfristig in den Städten für saubere Luft zu sorgen und mittelfristig unsere Mobilität so umzubauen, dass wir zu einer Dekarbonisierung, also ein Weg von den fossilen Treibstoffen, kommen. Das sind zwei herausfordernde Aufgaben, wo wir auch die Unterstützung der Automobilindustrie benötigen. Zumindest beim ersten Punkt sehe ich es überhaupt nicht, denn eine kurzfristige Lösung bringt nur eine Umrüstung von alten Dieselfahrzeugen, dass sie sofort weniger Schadstoffe in die Luft pusten, und zum Beispiel eine Umrüstung von alten Bussen, weil die teilweise auch sehr daran beteiligt sind.
    SPD hält an Nachrüstung für Schmutzdiesel fest
    Münchenberg: Aber, Frau Lühmann, da sind wir doch auch wieder bei der Politik, denn es stellt sich schon die Frage, ob auch die Politik ihre Lektion gelernt hat, denn in den aktuellen Koalitionsverhandlungen ist von strengeren Auflagen für die Industrie keine Rede. Sie haben diese Nachrüstung angesprochen. Da konzentriert man sich offenbar weiter auf die Software. Aber es gibt von der Politik meines Wissens zumindest keine Forderung, dass auch bei der Hardware nachgefordert werden muss.
    Lühmann: Das stimmt nicht. Die SPD fordert das schon seit über einem Jahr und wir haben auch bei den Sondierungsergebnissen das deutlich reingeschrieben, dass wir eine Nachrüstung machen wollen. Die Koalitionsverhandlungen laufen ja, wo wir auch eindeutig diese Forderung aufstellen, dass es eine Hardware-Nachrüstung geben muss.
    Münchenberg: Auch diese teure Lösung, die tatsächlich auch für die Industrie relativ teuer käme – da ist die Rede von 1.500 bis 2.000 Euro –, die SPD will das haben und versucht das auch, dass die Industrie dazu verpflichtet wird?
    Lühmann: Dass die Industrie sich zumindest daran beteiligt. Denn wenn Sie sich das anschauen, das was die Industrie uns jetzt verkauft und sagt, bei den neueren Fahrzeugen machen wir eine Software-Umrüstung und bei den älteren Fahrzeugen, da geht es nicht, dann sollen die Leute sich moderne Fahrzeuge kaufen – wer kann das denn. Ich weiß nicht, wie alt Ihr Fahrzeug ist, aber könnten Sie morgen mal eben kurz bei einem fünf Jahre alten Fahrzeug das in die Ecke stellen und sagen, ich kaufe mir mal ein neues. Wer das glaubt, dass das funktioniert, das ist doch weltfremd, so was.
    "Einzige Möglichkeit, auch Fahrverbote zu vermeiden"
    Münchenberg: Frau Lühmann, wir reden ja im Augenblick, wenn wir über die Koalitionsverhandlungen reden, vor allen Dingen über diese drei Nachforderungen, die die SPD auch gestellt hat auf ihrem Parteitag, dass man jetzt auch sagt, wir wollen bessere Luft – das betrifft ja Millionen von Menschen – und fordern auch Nachbesserungen bei der Hardware, wollen die Industrie hier vor klare Verpflichtungen stellen. Davon hört man in der öffentlichen Debatte eigentlich ziemlich wenig.
    Lühmann: Das haben wir aber, ich wiederhole es, seit zwölf Monaten fordern wir das. Und wir haben es auch in Interviews und in unseren Papieren überall stehen. Im Moment sind in der Öffentlichkeit vielleicht andere Themen präsenter, aber diese Forderung von uns halten wir weiterhin aufrecht, weil sie aus unserer Sicht die einzige Möglichkeit ist, zum Beispiel auch um Fahrverbote zu vermeiden. Denn ansonsten werden wir in sehr kurzer Zeit die Situation haben, dass Menschen mit ihren relativ neuen Autos in gewisse Städte nicht mehr reinfahren können, nicht mehr zur Arbeit fahren können, nicht mehr zu ihrer Wohnung fahren können. Das müssen wir vermeiden und das ist aus unserer Sicht kurzfristig die einzige Möglichkeit, die hilft. Mittelfristig müssen wir natürlich andere Dinge machen, die Umrüstung von Flotten, Umrüstung von Bussen zum Beispiel auf Elektromobilität. Aber das sind alles Dinge, die ein, zwei, drei Jahre dauern werden. Das hilft den Menschen, die jetzt zum Beispiel in Stuttgart oder München wohnen, natürlich nicht.
    Münchenberg: … sagt Kirsten Lühmann, Verkehrsexpertin der SPD im Bundestag. Frau Lühmann, besten Dank für das Gespräch.
    Lühmann: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.