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Abgefackelt
Für jeden Erfolg einer Frau findet sich ein verantwortlicher Mann

Holen Sportlerinnen Olympiasiege, werden sie gerne mal mit erfolgreichen Männern verglichen - oder ihre Leistungen werden gar den Lebenspartnern zugeschrieben. Und Sportlerinnen kriegen Fragen zu Ohren, die man Männern wohl nicht stellen würde. Das muss doch nicht sein.

Von Victoria Reith | 19.08.2016
    Die US-amerikanische Schwimmerin Katie Ledecky beim 800-Meter-Freistil-Finale bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.
    Ist Katie Ledecky hier wirklich selbst zu Gold geschwommen oder waren es nicht vielleicht die beiden Herren hinter ihr? (imago sportfotodienst)
    Wenn es bei den Olympischen Spielen um Leistung geht, dann werden Vergleiche bemüht. Klar, das gehört zum Sport – sich an den Erfolgen anderer, an Rekorden, abzuarbeiten. Komischerweise werden die Leistungen von Frauen sehr häufig in Bezug zu männlichen Erfolgen gesetzt – teils auf absurde Art und Weise.
    Ehemann und Trainer "verantwortlich" für den Weltrekord?
    Die ungarische Schwimmerin Katinka Hosszú gewann insgesamt vier Medaillen in Rio, davon drei goldene. Als sie den Weltrekord über 400 Meter Lagen brach, zeigte die Kamera auch ihren Mann und Trainer Shane Tusup. Das verleitete den NBC-Kommentator zu der Aussage: "Hier sehen Sie den Mann, der verantwortlich ist für ihre Leistung." Kann ja mal passieren, im Live-TV und im Eifer des Gefechts, die Spitzenleistung einer Athletin so verkürzt darzustellen – so zumindest die Erklärung des NBC-Reporters. Soweit ich es beobachtet habe, ist Hosszú den Weltrekord geschwommen und nicht ihr Trainer und Ehemann, der für seine sehr rüden Umgangsformen gegenüber der Athletin bekannt ist.
    "Frau eines Football-Spielers" reicht offenbar als Name
    Kein Einzelfall. Corey Cogdell-Unrein gewann für die USA Bronze im Trap-Schießen. Ihren Namen kennen Sie vermutlich nicht – aber man kann auch nicht jeden Medaillengewinner kennen, es gibt ja Hunderte. Wenn es nach einigen amerikanischen Medien geht, hätte man ihren Namen aber auch nicht erfahren. Denn als Bildbeschreibung bei Twitter wählte unter anderem die Zeitung "Chicago Tribune" Folgendes: "Die Frau eines Lineman (Position im American Football) der Bears (Footballclub aus Chicago) hat heute eine Bronzemedaille in Rio gewonnen."
    Wenn Sportlerinnen es dann doch mal schaffen, Erfolge aus eigener Kraft zu feiern und nicht, weil ihr Partner so potent ist, müssen sie anscheinend wenigstens in Bezug zu männlichen Leistungen gesetzt werden – und, wie diese Zeitungsschlagzeile beweist, verschieben sich da schon einmal die Proportionen.
    Die Schwimmerin Katie Ledecky gewann in Rio viermal Gold, einmal Silber. Ihr Teamkollege Ryan Lochte, der bei den Spielen eher Schlagzeilen abseits des Beckenrands produzierte, sagte über Ledecky: "Sie schwimmt wie ein Kerl. Ihre Schwimmzüge, ihre Einstellung: Ich habe noch nie eine Schwimmerin wie sie gesehen."
    Das Gegenteil von gut ist gut gemeint
    Natürlich sind Lochtes Worte anerkennend gemeint. Und natürlich kann man es auch so sehen: Männer heben halt nun mal in der Spitze schwerer als Frauen, laufen und schwimmen vielleicht schneller. Aber es würde auch ausreichen, zu sagen: Katie Ledeckie schwimmt wahnsinnig gut. Man muss ihre Leistungen nicht unbedingt in Relation zu Männern setzen.
    Das beweist die US-Wunderturnerin Simone Biles, die auch mit den Leistungen einiger männlicher Sportler verglichen wurde, unter anderem Michael Phelps, Usain Bolt, und Michael Jordan. Ihre Replik: "Ich bin nicht der neue Usain Bolt oder Michael Phelps. Ich bin die erste Simone Biles."
    Tennis-Star Kerber muss sagen, welches Körperteil sie stört
    In deutschen Medien ist die Gleichsetzung von Leistung und Männlichkeit weniger verbreitet. Allerdings gibt es auch hier Momente, in denen man sich durchaus einen Bild- oder Tonausfall wünschen würde. Zum Beispiel beim ARD-"Ringterview" neulich, als Michael Antwerpes die Tennisspielerin Angelique Kerber interviewte. Trifft der Interviewgast mit einem Ring einen Stab, wird ihm eine "normale" Frage gestellt. Verfehlt er, erlaubt sich der Reporter eine "ungewöhnliche" Frage". Im Fall von Angelique Kerber war es die Frage: "Welche Körperteile würdest du dir schöner zaubern?" Ungewöhnlich - oder doch unverschämt?
    Die Frau ist Weltranglistenzweite und stand im Finale des Olympischen Tennisturniers. Wie kommt der Journalist überhaupt zu der Annahme, dass Angelique Kerber an ihrem Körper auch nur irgendetwas ändern wollen würde? Vor der Antwort habe ich abgeschaltet, aus Fremdscham - aber mir dann aus Neugier und für diesen Text doch noch mal in der Mediathek die Antwort angeschaut. Kerber erwiderte mit gequältem Lächeln, sie würde ihre Beine etwas dünner zaubern. Antwerpes leicht onkelige Replik, natürlich nach dem Kameraschwenk über ihre Beine: "Für den Sport sind die doch super... Aber bei der Freizeithose klemmt es dann?"
    Ich bin verleitet zu sagen: Es klemmt nicht nur in der Freizeithose.
    Neuer Ringergriff: die Geschlechterrolle
    Ein letztes Beispiel, was einzigartige Erfolge von Sportlerinnen bei diesen Olympischen Spielen betrifft: die Ringerin Risako Kawai. Ihr Jubel über Gold sagt mehr über ihre Leistung als jeglicher Vergleich mit (männlichen) Leistungen.