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Abgeordnetenwatch fordert "absolute Transparenz" bei Nebeneinkünften

Bei den 89 Vorträgen von Peer Steinbrück will Gregor Hackmack, Geschäftsführer von Abgeordnetenwatch.de, genau hinschauen. Dem stehen nur fünf Vorträge im Parlament gegenüber. Er müsse sich fragen lassen, ob er seine Abgeordnetentätigkeit vernachlässigt habe.

Gregor Hackmack im Gespräch mit Christine Heuer | 30.10.2012
    Christine Heuer: Am Telefon ist Gregor Hackmack, Geschäftsführer von Abgeordnetenwatch.de. Das muss man erklären: Das ist eine Internetplattform, auf der Bürger gezielte Fragen an Politiker stellen können. Außerdem hält diese Webseite das Abstimmungsverhalten von Politikern fest.

    - Guten Tag erst mal nach Berlin, Herr Hackmack.

    Gregor Hackmack: Ja, schönen guten Tag!

    Heuer: Peer Steinbrück sagt, mehr Transparenz geht nicht. Ist damit wenigstens in seinem Fall jetzt alles okay?

    Hackmack: Zunächst einmal begrüßen wir das natürlich sehr, dass Herr Steinbrück jetzt in die Transparenzoffensive gegangen ist. Vor einigen Wochen hatte er noch behauptet, Transparenz gäbe es nur in Diktaturen, also insofern ein großer Fortschritt. Und er hat jetzt alles, vom ersten Euro bis auf den letzten Cent, offengelegt. Jetzt muss man sich die einzelnen Vorträge natürlich genau anschauen und vor allen Dingen auch bewerten, ob er in den letzten drei Jahren vielleicht sein Mandat vernachlässigt hat.

    Heuer: Gucken wir uns doch einen Vortrag mal an: den teuersten. 25.000 Euro zahlen ausgerechnet die Stadtwerke Bochum. Das ist eine Stadt im Ruhrgebiet, die Pleite ist. Was kann da dahinter stecken?

    Hackmack: Das wissen wir nicht, das muss man jetzt genau recherchieren. 25.000 Euro ist ungewöhnlich, im Schnitt hat Herr Steinbrück 15.000 Euro pro Vortrag genommen. Es gibt aber auch noch andere Vorträge, die nicht unproblematisch sind. Beispielsweise hat er einen Vortrag vor einer Rechtsanwaltskanzlei Freshfields gehalten – 2011. Die gleiche Kanzlei hatte er als Finanzminister im Jahr 2008 mit der Ausarbeitung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes beauftragt, das war ein Millionenauftrag. Auch hier muss man sich natürlich genau anschauen, was da geflossen ist, wofür es geflossen ist, um dann eben auch sämtliche Verdächtigungen auszuschließen. Da hilft nur Transparenz, deswegen begrüßen wir das wie gesagt sehr, dass Herr Steinbrück jetzt hier klaren Tisch macht und alles auf den Tisch gelegt hat.

    Heuer: Und Sie sehen sich diese Fälle aber noch mal genauer an?

    Hackmack: Wir werden uns die Fälle genau anschauen. Es sind ja immerhin 89 hoch bezahlte Vorträge. Übrigens zur gleichen Zeit hat Herr Steinbrück nur fünf Reden im Parlament gehalten. Also, da gibt es auf jeden Fall ein Missverhältnis. Und insofern muss sich Herr Steinbrück auch fragen lassen, ob er seine Abgeordnetentätigkeit in den letzten Jahren nicht vernachlässigt hat. Er hat beispielsweise auch ein Viertel der wichtigen namentlichen Abstimmungen verpasst und nachweislich auch mehrere Bundestagssitzungen geschwänzt, um am gleichen Tag eben hoch bezahlte Vorträge zu halten. Das geht nicht, das Abgeordnetengesetz ist da sehr eindeutig, danach muss die Abgeordnetentätigkeit im Mittelpunkt der Berufsausübung stehen. Ob das bei Steinbrück der Fall gewesen war in den letzten drei Jahren, das wagen wir zu bezweifeln.

    Heuer: Dann werden wir mal grundsätzlicher, Herr Hackmack. Kann irgendeine Rede überhaupt 25.000 Euro oder – das ist dann der Durchschnittswert – 14.000 Euro wert sein?

    Hackmack: Ich persönlich kann es mir kaum vorstellen, aber offenbar gibt es dort einen Markt und dieser Markt zahlt so viel. Die Frage ist natürlich, darf man das als ehemaliger Finanzminister annehmen, insbesondere dann auch Vorträge und Honorare von Firmen und Anwaltskanzleien, denen man selber Aufträge gegeben hat, teilweise auch ohne Ausschreibung. Also das ist eine Sache, die hat aus meiner Sicht auf jeden Fall Geschmäckle. Und es hat einfach schon Züge angenommen, die Höhe der Vortragshonorare, wo man sich wirklich fragen muss, ist das wirklich ein einzelner Redner in Berlin auch wert. Das müssen aber letztendlich die Bürgerinnen und Bürger beurteilen, dazu gibt es dann ja auch die nächsten Bundestagswahlen.

    Heuer: Nun hat die Koalition ein Stufenmodell, ein weiteres, ein erweitertes Stufenmodell zur Offenlegung von Nebeneinkünften von Abgeordneten vorgeschlagen. Da geht es dann darum, dass Stufen bis 250.000 Euro offengelegt werden sollen. Das wäre ein Fünftel der Nebeneinnahmen von Peer Steinbrück. Reicht ein solches Modell aus, Herr Hackmack?

    Hackmack: Aus unserer Sicht reicht das Zehn-Stufen-Modell nicht aus, denn wir haben auch schon mal nachgerechnet am Beispiel von Heinz Riesenhuber, der ja auch noch im Bundestag sitzt. Der könnte mit dem neuen Zehn-Stufen-Modell von CDU und FDP ein Drittel seiner Nebeneinkünfte verschleiern. Jedes Stufenmodell ermöglicht einem Abgeordneten, zu stückeln und zu verschleiern. Und deswegen sagen wir, Offenlegung vom ersten Euro bis auf den letzten Cent. Das, was Steinbrück jetzt geliefert hat und was CDU und FDP von ihm gefordert haben, daran muss sich jetzt auch natürlich die CDU und die FDP messen lassen. Und deswegen ist es völlig unverständlich, warum die CDU und die FDP, also die Regierungskoalition, dort weiter mauert und bislang maximal ein Zehn-Stufen-Modell haben möchte. Wir fordern Offenlegung vom ersten Euro bis auf den letzten Cent. Nur so kann man ausschließen, dass es dort Abhängigkeiten gegeben hat. Denn es ist ja auch so: Heutzutage werden ja Schmiergeldzahlungen nicht mehr in bar bezahlt, mit dem Bargeldkoffer, sondern die laufen in der Regel über Beraterhonorare oder Vortragshonorare. Und deswegen ist es ganz wichtig, dass man da Transparenz walten lässt, um sämtliche Verdächtigungen von vornherein auszuschließen, so wie das Herr Steinbrück ja jetzt auch getan hat.

    Heuer: Wir haben heute Vormittag wirklich lange versucht, Politiker von Union oder FDP für ein solches Interview heute in unserer Sendung "Informationen am Mittag" zu gewinnen. Die hatten alle keine Zeit. Halten Sie das für einen Zufall?

    Hackmack: Das halte ich für keinen Zufall, denn die CDU und die FDP hat sich ja so ein bisschen in die Nesseln gesetzt, indem sie an Steinbrück andere Maßstäbe angelegt hat noch vor einigen Wochen, als sie sie für sich selber gelten lässt. Und insofern ist das aus unserer Sicht kein Zufall. CDU und FDP sind eben nicht für die Transparenzoffensive bekannt und versuchen, da natürlich sich jetzt wegzuducken. Und versuchen, mit ihrem Zehn-Stufen-Modell durchzukommen. Wir denken, das sollte nicht reichen. Und wir fordern auch die Opposition auf, da die Regierung jetzt nicht aus der Pflicht zu nehmen, und insbesondere auch Rot-Grün, in den Landtagen jetzt zu liefern, wo sie eine eigene Mehrheit haben, um so die Bundesebene unter Druck zu setzen.

    Heuer: Nun kommt aus der CSU vom Generalsekretär Dobrindt der Vorschlag, zur Not könne man bei diesen Nebeneinkünften unterscheiden zwischen beruflichen Nebeneinnahmen, zum Beispiel als Anwalt oder Arzt - da gilt ja ein gewisser Geheimnisschutz für die Mandanten oder Patienten -, und sonstigen Tätigkeiten. Das wäre doch eine Möglichkeit, oder?

    Hackmack: Wir finden Offenlegung vom ersten Euro bis auf den letzten Cent selbst für Anwälte, denn es ist ja so, dass sie als Bundestagsabgeordneter voll bezahlt werden und in der Regel gar keine Zeit mehr haben sollten für Nebentätigkeiten. Wenn Sie sie doch annehmen wollen, dann müssen Sie praktisch die komplett offenlegen, um den Verdacht auszuschließen, dass Sie für ganz andere Sachen bezahlt werden. Denn was nicht sein darf, ist, dass Sie zu einem Anwalt gehen, der gleichzeitig im Bundestag sitzt, und sich ihr eigenes Gesetz kaufen können. Das darf auf keinen Fall passieren und deswegen hilft nur absolute Transparenz.

    Heuer: Transparenz und möglicherweise vielleicht auch eine Deckelung der Höhe von möglichen Nebeneinkünften.

    Hackmack: Darüber kann man natürlich reden, aber zunächst einmal muss alles auf den Tisch und dann muss man schauen, werden möglicherweise auch unangemessene hohe Nebeneinkünfte gezahlt, ohne Gegenleistung. Dann liegt der Verdacht der Bestechlichkeit oder der Vorteilsnahme nicht weit. Deswegen fordern wir ja auch von der Bundesregierung, endlich die entsprechende UN-Konvention gegen Korruption umzusetzen und Abgeordnetenbestechung auch in Deutschland strafbar zu machen. Das, was für Richter und Beamte gilt, sollte unserer Meinung selbstverständlich auch für Abgeordnete gelten. Und dann haben sie sozusagen schon einen ganz großen Teil von Nebentätigkeiten, die anrüchig sind, ausgeschlossen, weil dann würden sie praktisch die Staatsanwaltschaft ermitteln lassen können.

    Heuer: Zum Schluss und bitte kurz, Herr Hackmann. Ich möchte Sie aber doch fragen: Wir haben an diesem Wochenende gelernt, dass der Versicherungskonzern AXA CDU-Abgeordneten fünf Prozent Rabatt gewährt. Haben Sie sich schon mal überlegt, für die CDU in den Bundestag zu gehen?

    Hackmack: Nein, ich habe mir persönlich weder für die CDU noch für die SPD das überlegt, weil ich denke, dass das, was ich jetzt mache mit der Initiative Abgeordnetenwatch, viel wirkungsvoller ist. Hier geht es darum, Strukturen zu verändern. Und insofern macht das keinen Sinn, für uns in den Bundestag zu gehen. Aber noch mal zu der eigentlichen Thematik: Es ist natürlich unanständig, wenn Parteimitglieder Vorteile bekommen und letztendlich vielleicht eine Politik beschließen, von der diese Versicherungsunternehmen direkt profitieren.

    Heuer: In der Tat Mitglieder, nicht Abgeordnete von der CDU bekommen diesen Rabatt gewährt. Das war Gregor Hackmack, Geschäftsführer von Abgeordnetenwatch.de. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Hackmack: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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