Donnerstag, 28. März 2024

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"Abgeordneter hat ein freies Mandat"

Der parlamentarische Geschäftsführer der FPD-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, ist gegen den Zwang zur Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Den Politikern müsse es möglich sein, ihre Existenz auch nach der Karriere im Bundestag zu sichern. Dies sei gefährdet, wenn Unternehmer Zahlen vorlegen müssten, auf die auch Konkurrenten Zugriff hätten, sagte van Essen.

Moderation: Stefan Heinlein | 11.10.2006
    Stefan Heinlein: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Tag der offenen Tür heute beim Bundesverfassungsgericht. Und just auch heute verhandeln die Karlsruher Richter über die Transparenz unserer Parlamentarier, über die Pflicht zur Offenlegung von Nebeneinkünften. Eigentlich ist seit Sommer vergangenen Jahres hier alles geregelt, denn nach diversen Affären verabschiedete der Bundestag einen Verhaltenskodex, der den Abgeordneten die Pflicht auferlegt, sämtliche berufliche Nebentätigkeiten und die daraus erzielten Einkünfte offenzulegen.

    Doch einige Abgeordnete klagten nun vor dem Bundesverfassungsgericht, seither liegen die neuen Vorschriften auf Eis. Und bei mir am Telefon ist nun der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen. Guten Morgen.

    Jörg van Essen: Guten Morgen aus Berlin.

    Heinlein: Ihre Fraktion, wir haben es gehört, steht geschlossen hinter der Klage. Warum sind Sie gegen Transparenz?

    Van Essen: Wir sind überhaupt nicht gegen Transparenz, sondern Transparenz ist vernünftig und ein Aspekt, der in dem Bericht gerade auch angesprochen worden ist, beispielsweise das Verbot Leistungen anzunehmen, ohne dass man dafür Gegenleistungen erbringt, ist auch richtig und findet auch unsere Unterstützung. Aber: Wir haben die große Sorge, dass die Regeln, so wie sie jetzt verabschiedet worden sind, nur eine Konsequenz haben, dass nämlich die geringe Zahl von Selbständigen, von Mittelständlern, beispielsweise von Menschen mit Meisterberufen, die wir im Bundestag feststellen müssen, dass die zunehmen wird.

    Weil die nur dann in den Bundestag gehen können, wenn ihre wirtschaftliche Existenz in ihrem ausgeübten Beruf nicht gefährdet wird. Und wer sich anschaut, wie lange jemand im Bundestag ist - ein Viertel der Abgeordneten nur eine Periode, vier Jahre, und etwa die Hälfte der Abgeordneten nur acht Jahre -, der weiß, wie wichtig es für diese Selbständigen ist, dass sie ihren Beruf weiter ausüben können, damit sie nicht nach der politischen Karriere im Bundestag dann in ein wirtschaftliches Loch fallen.

    Diejenigen, die Beamte sind, wie ich beispielsweise, die haben diese Sorge nicht, die werden in den einstweiligen Ruhestand versetzt und haben jederzeit Anspruch darauf, dann wieder in den öffentlichen Dienst aufgenommen zu werden. Und das hat in den letzten Jahren zur Konsequenz gehabt, dass wir immer mehr Beamte, immer mehr Gewerkschaftsfunktionäre im Bundestag haben. Und diese Regeln sind der Schlüssel dafür, dass dieser Prozess sich weiter fortsetzen würde. Das kann nicht richtig sein.

    Heinlein: Was haben denn Selbständige oder Anwälte denn zu verbergen? Denn es geht ja nicht darum, diese Tätigkeiten zu verbieten, sondern die Öffentlichkeit soll davon erfahren.

    Van Essen: Dass Anwälte durchaus etwas zu verbergen haben, ergibt sich zum Beispiel aus ihren Standesregeln, wo sie aufgefordert werden und wo es ihre Verpflichtung ist, beispielsweise ihre Mandanten nicht zu nennen. Und das zeigt deutlich, dass auf der einen Seite Transparenzforderungen sind, auf der anderen Seite aber auch Pflichten sind, die der Einzelne, der einen Beruf ausübt, einzuhalten hat. Und es geht unter anderem in diesem Prozess in Karlsruhe auch um dieses Nebeneinander von sehr unterschiedlichen Pflichten.

    Heinlein: Wie will man denn sicherstellen, aus Sicht Ihrer Fraktion, dass Abgeordnete durch ihre Nebentätigkeiten nicht in Interessenskonflikte geraten oder gar korrumpiert werden, ohne diese jetzt auferlegte Pflicht zur Offenlegung dieser Nebentätigkeiten? Denn genau darauf zielen ja diese Neuregelungen ab.

    Van Essen: Dass es hier keine wirklich ehrliche Diskussion gibt, sehen wir doch daran, dass wir über Jahrzehnte im Deutschen Bundestag Gewerkschaftsvorsitzende hatten, zum Teil mit bekannten Namen - Georg Leber, um nur ein Beispiel zu nennen -, ohne dass deren gleichzeitige Tätigkeit für die Gewerkschaften und dem Deutschen Bundestag zu irgendeiner kritischen Bemerkung geführt hat.

    Niemand hat deswegen Verstrickungen der jeweiligen Gewerkschaftsführer als gefährlich angesehen. Interessant ist doch, dass offensichtlich ausschließlich eine wirtschaftliche Tätigkeit in den Geruch kommt, mit dem freien Mandat nicht vereinbar zu sein. Und diese Auffassung teilen wir mit Nachdruck nicht.

    Heinlein: Glauben Sie, Herr van Essen, dass ein Abgeordneter wie Friedrich Merz in Gewissenskonflikte gerät, wenn er gleichzeitig für gute Honorare als Anwalt für den Ruhrkohle-Konzern RAG berät und im Parlament dann über die künftige Energiepolitik entscheiden muss? Die Öffentlichkeit muss doch zumindest das Recht haben, über diese prekäre Konstellation in Kenntnis gesetzt zu werden.

    Van Essen: Das teilen wir mit Nachdruck. Ganz selbstverständlich. Die Öffentlichkeit muss wissen, ob es möglicherweise Verbindungen gibt - übrigens nicht nur die Öffentlichkeit, auch die Kollegen müssen es wissen..

    Heinlein: Warum stützen Sie dann die Klage?

    Van Essen: ...weil natürlich dann, wenn wir intern in der Fraktion diskutieren, ich schon wissen möchte, ob jemand die bestimmte Meinung vertritt, weil er beispielsweise in einem Dienstverhältnis mit einem Verband oder mit einer Firma steht. Weil ich seine Argumentation dann ganz anders gewichte. Also von daher sind wir gegen diese Transparenz überhaupt nicht.

    Heinlein: Dann verstehe ich nicht, warum Sie die Klage unterstützen.

    Van Essen: Wir haben deshalb als Fraktion diese Klage nachdrücklich unterstützt, was aber nicht geht, ist, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse offengelegt werden. Wir haben beispielsweise einen Kollegen, der zusammen mit seinem Bruder über viele Generationen inzwischen eine mittelständische Firma führt. Und wenn der verpflichtet wird, beispielsweise die Einkünfte aus dieser Firma dann auch öffentlich zu machen, dann ist für jeden Konkurrenten abzulesen, wie die wirtschaftliche Situation dieser Firma ist.

    Und im Übrigen auch das Einkommen seines Bruders, der mit ihm zusammen diese Firma führt, der überhaupt nicht in der Politik ist. Das heißt, auch in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seines Bruders wird eingegriffen. Und das ist etwas, was zu Recht in Karlsruhe vorgetragen wird und über das das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben wird.

    Heinlein: Aber es geht, Herr van Essen, doch nicht darum, die Einkommenssteuererklärung offenzulegen, sondern es wird doch ein ganz grobes Raster erwartet, bis zu 7000 Euro und darüber hinaus. Das muss auch für einen Selbständigen möglich sein.

    Van Essen: Ja das ist natürlich für einen Selbständigen möglich. Und trotzdem ist für einen Konkurrenten die wirtschaftliche Situation absehbar. Wir haben beispielsweise einen Kollegen in unserer Fraktion gehabt, dessen Firma es fürchterlich schlecht ging, der in der Situation war, seine Firma neu zu strukturieren. Und jeder Konkurrent hätte ablesen können, dass diese Firma in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten war. Aber das ist nicht Aufgabe von Transparenzregelungen, das dem Konkurrenten jeweils zu zeigen. Und auch das ist ein Punkt, der deshalb zu Recht in Karlsruhe vorgetragen wird und über den das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben wird.

    Heinlein: Können Sie denn in etwa nachvollziehen, dass die Weigerung, diese Klage einiger Abgeordneter Nebentätigkeiten und die dafür kassierten Honorare offenzulegen, in der breiten Öffentlichkeit, beim Wähler auf Unverständnis und Skepsis stößt?

    Van Essen: Das ist so, das weiß ich selbstverständlich auch aus verschiedenen Diskussionen. Aber wenn ich dargelegt habe, wie die Situation ist, merke ich immer wieder, dass die Leute sehr nachdenklich werden. Und ich glaube auch, dass mancher Hörer, der diese Argumentation hört, nachdenklich wird - ich hoffe es jedenfalls sehr.

    Heinlein: Aber das Vorurteil, Politiker haben eine Selbstbedienungsmentalität und nutzen ihr politisches Mandat, um Nebentätigkeiten in Aufsichtsräten et cetera an Land zu ziehen, das wird dadurch geschürt.

    Van Essen: Das wird natürlich geschürt und wird von der einen oder anderen Boulevard-Zeitung ja auch intensiv unterstützt. Wer sich aber anschaut, wie die Verhältnisse der Abgeordneten tatsächlich sind, der stellt fest, dass ein großer Teil keiner weiteren Erwerbstätigkeit nachgeht.

    Aber das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass sie in einer günstigen Situation sind. Ich selbst, als Beamter, ich brauche beispielsweise keiner wirtschaftlichen Tätigkeiten neben meinem Mandat nachzugehen. Ich tue das auch nicht. Aber jemand, der aus einem freien Beruf kommt, ist in einer anderen Situation. Und ich habe dafür Verständnis.

    Heinlein: Ist es denn zu viel verlangt von den Abgeordneten, dass sie - zumindest für die Zeit ihres Mandates - ihre Arbeit im Parlament in den Vordergrund stellen und alle anderen Tätigkeiten nebensächlich sind? Denn auch dagegen, gegen diese Regelung, richtet sich ja die heutige Klage.

    Van Essen: Die Aussage des Grundgesetzes ist eindeutig: Der Abgeordnete hat ein freies Mandat und kann frei gestalten, wie er sein Mandat ausübt. Es erlebt jeder in seinem Beruf, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die besonders schnell, die besonders konzentriert arbeiten, und jeder kennt Kolleginnen und Kollegen, die für eine Tätigkeit sehr viel mehr Zeit brauchen. Und deshalb gibt es das auch bei uns, dass der eine oder andere schneller, konzentrierter arbeitet und deshalb Zeit dann auch noch für das eine oder andere zusätzlich hat. Und es gehört zur Freiheit des Mandates, das zu tun.

    Der Entscheider ist der Wähler. Und Sie haben vorhin Friedrich Merz angesprochen mit seinen vielen Nebentätigkeiten, die in der Öffentlichkeit Kritik gefunden haben - auch in seiner eigenen Fraktion Kritik gefunden haben. Aber er hat sich als Abgeordneter in seinem Wahlkreis zur Wiederwahl gestellt, die Wähler haben beurteilt, was er getan hat, und sie haben ihn mehrfach wiedergewählt. Die Wähler sehen das ganz offensichtlich anders als die Kritiker. Und wir sollten keine Wählerbeschimpfung vornehmen.

    Heinlein: Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Van Essen: Danke.