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Abgetaucht

Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister ist nach eigenen Angaben ein totaler Talkshowmuffel. Allerdings hält er sich nicht nur im Fernsehen mit klaren Ansagen zurück, sondern auch auf der politischen Bühne. Natürlich wirft ihm die Opposition sein Schweigen vor, doch auch einige Parteifreunde wünschen sich knapp neun Monate vor der nächsten Landtagswahl klare Worte zu wichtigen Landesthemen.

Von Susanne Schrammar | 03.05.2012
    "Wer kommt zu meiner Rechten? Aygül, komm du mal zu meiner Rechten."

    Da staunten die Journalisten - gleich vier Minister und mehrere Staatssekretäre hatte Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister kürzlich im Schlepptau bei einer Pressekonferenz im hannoverschen Landtag. So viel Politprominenz auf einmal lässt normalerweise aufhorchen - geht es hier um bahnbrechende Entscheidungen? Steht etwa eine Kabinettsumbildung an? Oder soll eine neue Sparrunde verkündet werden? Nichts dergleichen. David McAllister und seine Minister stellten ein fast 70-seitiges Konzept der niedersächsischen Landesregierung vor - zum demografischen Wandel.

    "Für Deutschland wie für Niedersachsen gilt: Wir werden älter, wir werden weniger und aufgrund des wachsenden Anteils von Menschen aus zugewanderten Familien wird unsere Gesellschaft noch bunter."

    Ohne Frage - der Geburtenrückgang, die alternde Gesellschaft, das mögliche Ausbluten ganzer Regionen ist für ein Flächenland wie Niedersachsen eine enorme Herausforderung. Darüber herrscht Konsens im Land. Doch es gibt in Niedersachsen auch Probleme, die mindestens genauso wichtig sind, unbequeme Themen mit Konfliktpotenzial - der umstrittene Endlagerstandort Gorleben zum Beispiel, die von vielen kritisierte Elbvertiefung oder der Umgang mit den Landesschulden. Doch hier macht der christdemokratische Ministerpräsident keinen so großen öffentlichen Aufschlag. Wenn es brenzlig wird, tauche er ab - werfen ihm die Oppositionsfraktionen im niedersächsischen Landtag, Grüne, SPD und Linke, sogar vor. Wenzel:

    "Ich habe das Gefühl, er hat hier auch Angst, sich hier in den Konflikt zu begeben, sich tatsächlich dann auf eine Konfrontation einzulassen - da hat er sich eher als Angsthase erwiesen."

    Schostok: "Ministerpräsidenten müssen deutlich machen, dass sie eine Politik entweder gut finden, richtig finden oder dass sie für falsch halten. Selbst bei Wohlmeinen kann man zu keiner guten Bilanz bei ihm kommen."

    Sohn: "Er delegiert die Probleme weg. Er ist nicht Problemlöser, er ist Problemkneifer in diesem Land."

    Bei harten Themen fehle McAllister die Führungskraft, mäkelt die SPD, der Regierungschef verstecke sich wie ein Angsthase hinter seinen Ministern, sticheln die Grünen. Zum Beispiel in der Wulff-Affäre. Als die Opposition im Landtag von der Landesregierung Aufklärung verlangte, stellte sich nicht McAllister den vielen Fragen der Abgeordneten im Plenum, sondern ließ Finanzminister Hartmut Möllring die Kohlen aus dem Feuer holen. Oder Stichwort Elbvertiefung: Jahrelang hatte der 41-Jährige vehement gegen die geplante Vertiefung, die vor allem seinen Wahlkreis betrifft, gewettert. Als das Land jetzt doch den Plänen Hamburgs zustimmte, trat der Regierungschef die Verkündung der Entscheidung an seine Fachminister ab. "Gutwetterpräsident" - spottet die Opposition. "Mannschaftsspieler" - entgegnen hingegen Parteifreunde wie Ulf Thiele, Generalsekretär der niedersächsischen CDU:

    "Er lässt seinen Ministern durchaus Spielraum, nimmt sie aber auch in die Verantwortung. Das heißt, jedes Thema, das ein Ressort betrifft, wird von Ressortministern bearbeitet und öffentlich vertreten. Das ist bei den positiven wie bei den schwierigen Themen so. Mir ist viel lieber einen Ministerpräsidenten zu haben, der sich selber nicht so wichtig nimmt, als einen Ministerpräsidenten zu haben, der aus reiner Eitelkeit jeden Tag ne neue Schlagzeile produziert."

    Doch es gibt sogar CDU-Parteifreunde, die sich angesichts der im Januar stattfindenden Landtagswahl vom Regierungschef weniger Zurückhaltung und mehr klare Kante wünschen - zum Beispiel in Bezug auf die FDP oder die Bundesregierung. McAllister, der stets seine Loyalität zur Kanzlerin betont, könnte ruhig mal öfter auf den Putz hauen, heißt es bei einigen in der Landespartei. Konfliktlinien gäbe es durchaus: Dass McAllister zum Beispiel kein atomares Endlager in Gorleben haben möchte, gilt in Hannover als offenes Geheimnis. Deutlich aussprechen würde es der MP jedoch nicht. Stefan Schostok, Fraktionsvorsitzender der SPD:

    "Niemand in den anderen Bundesländern hätte Probleme damit, wenn man sich als Ministerpräsident klar äußern würde. Jeder hätte Verständnis nach über 30 Jahren einer solchen Debatte um das Endlager Gorleben wär es völlig klar, wenn ein Ministerpräsident sagen würde: So, jetzt reicht es. Also, grade auch vor dem Hintergrund der Lasten, die Niedersachsen dort trägt, hätte jeder Verständnis dafür, wenn er sich dort klar äußern würde und das tut er nicht."

    Was die Opposition als Harmoniesucht kritisiert, verkauft McAllister selbst als Stärke und eigenen Politstil. Obgleich zuweilen für beißenden Spott bekannt, verkneift sich der 41-Jährige öffentliche Angriffe gegen die Bundesregierung oder markige Sprüche. Stattdessen setzt der Sohn einer Lehrerin auf diplomatisches Geschick, Loyalität und das Bohren dicker Bretter. Hinter den Kulissen zu überzeugen, so McAllister, sei ihm wichtiger, als vor der Kamera den dicken Max zu machen.

    "Wenn ich unterschiedlicher Meinung bin, dann rufe ich die Bundeskanzlerin an und sag ihr das auch und sie schätzt vor allem, dass ich das im persönlichen Gespräch mache und nicht wie manche Kolleginnen und Kollegen über die Medien. Vielleicht hänge ich vielleicht jedes Thema und nicht jeden eigenen Beitrag an die große Glocke - für mich ist entscheidend, was am Ende dabei rauskommt."

    Nicht anecken, Polarisierungen vermeiden, den Amtsbonus nutzen und so für möglichst viele Niedersachsen wählbar sein, die sonst vielleicht nicht unbedingt ihr Kreuz bei der CDU gemacht hätten - mit seiner Stromlinien-Strategie versucht der junge Politiker vor allem in der Mitte der politischen Lager zu punkten. Doch ganz ohne Zuspitzungen, ohne Angriffsfläche wird es im Wahlkampf nicht gehen, das weiß auch David McAllister. Als CDU-Fraktionschef war er wegen seiner rhetorischen Angriffslust auch unter dem Spitznamen "Terrier" bekannt - die Frage ist nur, wann er als Ministerpräsident den bissigen Hund wieder von der Leine lässt.