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Abgründe einer kranken Gesellschaft

Der Titel ist geeignet, den Leser in die Irre zu führen. "Ändere mich", das klingt nach seichter Beziehungsgeschichte. Ein Blumenstrauß auf dem Buchumschlag verstärkt diesen Eindruck. Doch der slowenische Schriftsteller Andrej Blatnik, geboren 1963 in Ljubljana, hat anderes im Sinn.

Von Martin Sander | 28.01.2010
    Auch wenn er weder Kitsch noch Plattitüden scheut, wahrt er dazu stets Distanz durch eine hauchdünne Schicht von Ironie. Der Roman startet mit dem wohlbekannten Topos vom Mann, der nur mal Zigaretten holen will und dann untertaucht. Borut, glücklich verheiratet, wie man so sagt, Vater von zwei niedlichen Kindern, erfolgreich im Job, verlässt das Familienheim – abgesehen von ein paar Mails - ziemlich spurlos. Die Frau, Monika, lässt ihrer Empörung freien Lauf. Sie findet erst einmal einen jungen Liebhaber, sucht dann doch nach ihrem Ehemann und stößt auf immer neue Abgründe.

    Sie rief in seinem Büro an. Das tat sie sonst nie; fast nie. Die Arbeit war heilig. Das war die letzte intime Sphäre.
    "Guten Tag, hier Monika. Wissen Sie, was Borut gerade macht?"
    Boruts Sekretärin schwieg.
    "Ich meine, ich kann ihn nicht erreichen. Wissen Sie vielleicht – "
    Los, du Ziege, red' schon! Ich komme mir vor wie ein totaler Trottel, dass ich den eigenen Mann in seinem eigenen Büro suche –
    Endlich machte die Ziege doch den Mund auf.
    "Aber Monika – "
    "Ich höre."
    "Monika, wie soll ich das wissen? Borut arbeitet schon seit drei Monaten nicht mehr bei uns. Er hat sich selbstständig gemacht."
    Monika glaubte, ohnmächtig zu werden.
    Leg auf leg auf leg schnell auf –
    "Danke", sagte sie und legte auf.
    Du dumme Gans hast Danke gesagt, was für ein Fehler, du hättest zu ihr sagen müssen, oje entschuldigen Sie ich habe mich geirrt ich habe die alte Nummer angerufen oje wie bin ich zerstreut zu viel Arbeit Sie wissen ja.


    Hinter den eher alltäglichen Eheunfällen öffnen sich in diesem Roman die Abgründe einer kranken Gesellschaft. Man braucht nicht viel Zeit, um zu begreifen, dass das Geschehen in die Zukunft verlegt wurde – unserer Gegenwart wenige Jahre voraus. Es herrscht die Tyrannei des globalen Kapitalismus. Für die Festigung dieses Systems haben die Protagonisten des Romans viel geleistet. Monika arbeitet als Verwalterin menschlicher Ressourcen, sprich Personalberaterin, und lässt keinen Zweifel am tieferen Sinn ihrer Tätigkeit aufkommen. Familienvater Borut war einst ein hochbegabter Wissenschaftler an der Universität. In den Umbruchzeiten hat es ihn in die besser zahlende und interessanter wirkende Werbebranche verschlagen. Mit Slogans à la Global Player. Global Prayer. Global Payer ist er von Erfolg zu Erfolg geeilt. Dann aber steigt er aus, wirft erst den Job hin und verlässt dann die Familie. Ruhelos irrt er durch die Stadt, die einige Züge der slowenischen Metropole Ljubljana trägt. Seine Umgebung kommt Borut immer merkwürdiger vor. Allmählich begreift er, dass alles nur noch ein Element des weltweiten Warenverkehrs darstellt, sogar die Flüchtlingsströme.

    In der nächsten Baracke lebten Afroserben. Als auf ihre Hauptstadt Bomben gefallen waren, hatten sie das Land, den Kontinent verlassen, waren nach Süden aufgebrochen und hatten sich in der Heimat eines freundlich gesinnten Diktators angesiedelt. Er hatte ihnen Heimatscheine verkauft und ihnen erlaubt, Anwesen zu erwerben, die von den weißen Ureinwohnern verkauft wurden, die in ihre Urheimat zogen, wo sie niemanden kannten und wo niemand sie kannte. Doch waren dem Diktator die Einkünfte aus diesen Verkäufen nicht genug gewesen, um mit ihnen seine ausländischen Konten zu füllen, seine umfangreiche Kontrollmaschinerie in Gang zu halten und zugleich den wachsenden Hunger zu stillen, und so hatte er beschlossen, das Land ein zweites Mal zu verkaufen, diesmal an seine Bewohner. Den Afroserben erlaubte er gnädig, sich Ausreisevisa zu kaufen. ( ... ) Und so hatten sich etliche bis hierher durchgeschlagen, in diese sahneweiß gestrichenen Baracken, die von der Konditorenindustrie gesponsert wurden ( ... ).
    Die schöne neue Welt des 21. Jahrhunderts ist natürlich modern und auch ein bisschen human. Der Hunger scheint dank der Massenproduktion von Kunstpflanzennahrung durch einen Konzerngiganten namens Synthesa weitgehend besiegt. Wer Kontakt zu seinen Mitmenschen aufnehmen möchte, benötigt ein ominöses Gerät namens Kontakter. Wer sich bedroht fühlt, drückt einfach auf einen nicht näher beschriebenen Neutralisator. Sozialer Unruhe begegnet der Staat mit Loyalitätsprogrammen. Wem langweilig wird, der kann per Pay-TV das Programm einer städtischen Überwachungskamera verfolgen. Es ist weniger politische Absicht denn allgemeines Unbehagen, was Borut schließlich zum Angriff gegen das System treibt. Noch einmal kommt er in die alte Firma. Sein ehemaliger Chef, der Generaldirektor des Marketingkonzerns, hat ihn zu sich gerufen. Dieser Generaldirektor, kurz GD, bietet Borut einen großen Auftrag an.

    "Was verkaufen wir, Chef?"
    GD holte tief Luft und fixierte den Punkt an der Wand.
    "Krieg", sagte er. "Krieg."
    "Welchen Krieg?"
    "Den kommenden."
    "Was für einen Krieg?"
    "Den, der kommen wird. Das ist unser letztes Geschäft."
    "Es kommt Krieg?"
    "Krieg", GD sah an die Decke, "kommt immer."
    "Und wir sollen ihn in den Verkehr bringen –"
    GD lächelte triumphierend.
    "Genau das. Krieg. Als Inklusivpaket."

    Das ist die Schlüsselszene. Statt den angeblichen Auftrag seines Lebens zu übernehmen und dem Krieg zu einem positiven Image zu verhelfen, greift der empörte Borut nach einer Sichel, Erinnerungsstück des GD's aus seiner Zeit als kommunistischer Funktionär, und pflanzt sie diesem ins Knie. Während das Blut auf den Teppich spritzt und die untergebenen Mitarbeiter des Konzerns überlegen, wie sie den ungeliebten GD vollends fertig machen können, verlässt Borut die Szene, um seinen persönlichen Aufstand gegen das System fortzuführen. Am Ende verübt er mit einem Weinöffner einen Anschlag auf den Zentralrechner des Konzerns für künstliche Nahrungsmittel Synthesa.

    Der Anschlag verpufft jedoch. Die Rebellion bleibt folgenlos, Borut kehrt zu seiner Familie zurück. Hinter diesem Happy-End steckt tiefe politische Resignation und zugleich Erleichterung über das Ende des Selbstverwirklichungsabenteuers. Andrej Blatnik spielt in "Ändere mich" souverän mit den Genres des Trivialen, er bedient sich der Wirkungen des Kitsches ebenso wie einiger Elemente des Science-Fiction. Dabei versteht es dieser Autor, mit seiner feinen, nahezu unmerklichen Ironie ein Gefühl von Beklemmung herzustellen – angesichts einer völlig absurden Welt, die unserer Wirklichkeit immer wieder verdächtig nahe kommt.

    Andrej Blatnik: "Ändere mich". Roman. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag Wien - Bozen 2009, 240 Seiten, 22,50 Euro