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Abhängige Justiz

Die Reform des korrupten Justizwesens in Georgien sollte das Glanzstück der Rosenrevolution werden. Seit 1995 arbeiten vor allem deutsche Juristen an dem Aufbau einer demokratischen Rechtssprechung im Kaukasusstaat. Doch auch zwei Jahre nach dem Sturz Schewardnadses entpuppt sich das georgische Rechtswesen als stärkstes Instrument der Regierung Saakaschwili. Die Unabhängigkeit der Justiz habe stark nachgelassen, kritisieren internationale Organisationen. Grit Weirauch berichtet.

20.12.2005
    Merab Turava ist Rummel um seine Person nicht gewohnt. Denn noch nie hat der Oberste Richter sich an die Öffentlichkeit getraut. Jetzt aber protestiert Turava erstmals gegen den Druck, der auf Richter in seinem Land ausgeübt wird. Die Meldung von der Pressekonferenz, die er kürzlich in Tbilisi gab, lief am gleichen Abend als Hauptnachricht in den georgischen Medien.

    "Wenn in einem Land Richter unter psychischem Zwang stehen, dann müssen wir zu so radikalen Maßnahmen greifen. Wir sind keine Politiker und sollten uns nicht einmischen, aber jetzt sind wir gezwungen öffentlich in Erscheinung zu treten. Die Gesellschaft soll erfahren, wie machtlos und schutzlos wir sind."

    Elf Richter des Obersten Gerichts wurden bereits entlassen, drei weitere sollen nun folgen. Zumindest stehen dem in Deutschland promovierten Strafrechtler Turava und zwei anderen Obersten Richtern Disziplinarverfahren bevor. Wegen angeblich fehlerhafter Rechtssprechung. Doch das sei nur ein Vorwand, meint Turavas Anwältin, Lia Mukhashavria.

    "In den Gerichten stehen die Prozesse gegen die politischen Gegner an, die von der Revolutionsregierung 2004 inhaftiert wurden. Wenn aber die Urteile nicht vorhersehbar sind, dann ist das natürlich eine beängstigende Perspektive für die Regierung. Deshalb tun sie alles, um diese unabhängigen Richter loszuwerden."

    Mukhashavria leitet die georgische Menschenrechtsorganisation "Artikel 42" und kämpft für das Recht auf einen fairen Prozess. So wie es in der Verfassung steht. Aber davon ist Georgien weit entfernt: Seit der Rosenrevolution greift der Staat mit starker Hand in die Rechtssprechung ein. Nicht selten bekommen Richter Anrufe aus den Führungsetagen der Ministerien und aus dem Umfeld des Präsidenten.

    "Was zurzeit passiert, erinnert stark an frühere kommunistische Zeiten. Wir nannten das Telefonjustiz, wenn irgendein hoher Beamter einen Richter anrufen und ihm befehlen konnte, wie er in dem Fall zu entscheiden habe."

    Seit zehn Jahren kämpft Georgien um die Reform seiner Rechtssprechung. Vor allem mit deutscher Unterstützung wurden Gesetzestexte verfasst, die sich stark am deutschen Recht orientieren. So galt die Justizreform bisher als Vorzeigeobjekt für den Demokratisierungs-Prozess. Aber Gesetze ohne unabhängige Justiz sind wirkungslos, meint die deutsche Rechtsberaterin Iris Muth, die die Reform seit fünf Jahren begleitet:

    "Es gibt wiederholt Vorfälle von Eingriffen in die Justiz. Wir hören vermehrt Klagen seitens der Bevölkerung, von Unternehmern, die immer weniger Vertrauen in die Justiz haben, weil sie keine objektiven rechtsstaatlichen Urteile erwarten."

    Viele Richter werden derzeit in Georgien vor die Wahl gestellt, entweder einen Posten in der Provinz anzunehmen oder sich früh pensionieren zu lassen. Die Folge: viele von ihnen unterschreiben ihre eigene Entlassung. Die Maßnahmen seien nötig, um die Korruption im Justizapparat zu beseitigen, verteidigt sich Konstantin Kublashwili, Präsident des Obersten Gerichts. Seiner Ansicht nach verläuft alles rechtmäßig:

    "Das steht im Gesetz und wir haben daran keine Änderungen vorgenommen, verstehen Sie. Wir haben das Recht, es so zu machen. Wir machen das strikt im Rahmen des Gesetzes."

    Willkürlich und intransparent erfolge die Aussortierung der Richter, bemängelt hingegen der lettische Rechtsexperte Uldis Kinis, der im Auftrag der Europäischen Union die Reform betreut:

    "Es gibt keine transparenten und objektiven Kriterien, obwohl in dem Strategiepapier, das die Regierung mit uns vereinbart hat, steht, dass solche Kriterien sehr wohl erarbeitet werden sollten, um Richtern das Verfahren zu machen. Niemand kann heute herausfinden, wie die Verfahren wirklich ablaufen und es gibt keine Möglichkeit, diesen gesamten Prozess zu überprüfen."

    Die Anwältin Mukhashavria hat nicht viel Hoffnung auf ein faires Verfahren gegen die drei Obersten Richter, die nun an der Reihe sind. Vielleicht wird ihnen in fünf bis zehn Jahren Recht zuteil werden. Dann nämlich, wenn ihr Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wird.