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Abitur - fit für Beruf und Studium?

Seit Jahren schon mehren sich die Stimmen, die die Leistungen der Abiturienten beklagen. Sie könnten immer weniger und dennoch seien ihre Schulnoten stetig besser. Stimmt das eigentlich? Sind Abiturienten fit genug für Studium und Ausbildung? Was sagen Dozenten und Ausbilder? Und was sagen sie selbst dazu?

Von Stephanie Kowalewski | 23.07.2010
    Große Pause in einem Düsseldorfer Gymnasium. Viele der Schüler, die hier gerade ihr Abitur gemacht haben, werden nach den Sommerferien nicht studieren, sondern eine Ausbildung beginnen, gerne in einer Bank. Doch was halten die potenziellen Arbeitgeber von den schulischen Leistungen der Abiturienten?

    "Schulische Mängel können wir Gott sei Dank noch nicht feststellen. Wir bieten ja rund 600 Plätze pro Jahr an und wir haben ein Vielfaches an Bewerbern. Und da gelingt es uns noch, geeignete Kandidaten zu finden",

    Mangelnde Mathematik- oder Deutschkenntnisse sind laut Oliver Stoisiek, der bei der Deutschen Bank bundesweit für die Strategie und Steuerung der Berufsausbildung zuständig ist, also kein Problem:

    "Weil Mathe ist auch gar nicht so dramatisch wichtig für uns. Also für uns ist es wichtiger, dass die Leute kommunikativ sind, offen sind, auf Leute zugehen können. Das ist viel wichtiger als Mathe."

    Doch selbst bei Bewerbern, die in dieser Hinsicht die Anforderungen erfüllen, hapert es im Bereich der sogenannten Sekundärtugenden öfter als früher, meint der Ausbildungsleiter:

    "Im Auftritt und in dem Thema Pünktlichkeit und Verbindlichkeit gibt es bei unseren Bewerbern jetzt eben auch mittlerweile Menschen, die da eine andere Vorstellung haben und wo man gucken muss, ob man da noch gemeinsam einen Weg findet. Dass bestimmte Piercings nicht schlau sind, wenn man sie sehen kann, was ist geeignete Kleidung in der Bank, das machen wir in der Startwoche und holen wir nach in der Ausbildung. Und das ist auch in Ordnung so."

    Alles in allem ist Oliver Stoisiek mit der Qualität der Bewerber also noch recht zufrieden, obwohl er damit eher nicht für die Mehrheit spricht. Laut einer neuen Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags beklagen fast 74 Prozent der Betriebe, dass die Bewerber zu wenig Schulwissen mitbringen. Ganz ähnlich sieht es an den Universitäten aus. Hier wird seit Langem über die mangelnde Studierfähigkeit der Abiturienten geklagt. Manche Experten gehen gar davon aus, dass ein Drittel aller Studierenden nicht das erforderliche Rüstzeug für die Uni hat. Defizite gibt es hier vor allem bei den naturwissenschaftlichen Kenntnissen der Abiturienten, die jedoch gerade für interdisziplinäre Fächer wie Medizin oder Pharmazie nötig sind.

    "Die Physik, die hat man dann irgendwann einmal abgewählt. Und irgendwann mal ist dann meistens auch schon ganz schön lange her",

    und das bleibt nicht ohne Folgen, sagt Dieter Schumacher, Physikprofessor an der Uni Düsseldorf:

    "Wenn man hier plötzlich mitten in einem Physikhörsaal sitzt, die trifft der Schlag. Also das Physikwissen hat in den letzten Jahren stetig abgenommen."

    Wie viele andere Unis, bietet auch Dieter Schumacher deshalb spezielle Vorkurse an, in denen die Abiturienten noch vor dem eigentlichen Semesterstart ihre Wissenslücken in den jeweiligen Fächern füllen können. Dieter Schumacher versucht seit zehn Jahren, den angehenden Studierenden die Physik näher zu bringen. Mit geringem Erfolg, räumt er allerdings etwas zerknirscht ein, denn in einer Woche könne man die Defizite der Schule nicht aufholen:

    "Der Vorkurs wird von den Studierenden auch durchaus schon mal so wahrgenommen wie: Der Dozent erzählt uns, was wir alles nicht wissen. Und das ist natürlich eine sehr unschöne Situation."

    Stimmt, sagt auch Silvia Brömmling, die in Düsseldorf im zweiten Semester Medizin studiert:

    "Ich muss sagen, dass meine Schule mich halt schlecht oder weniger darauf vorbereitet hat, was jetzt so kommen wird, weil ich zum Beispiel keinen Chemieunterricht hatte. Nur in der Unterstufe ganz am Anfang. Und was man da macht, hat eigentlich mit dem, was man später braucht, nichts zu tun."

    Das Problem, sagt die 20-Jährige, sei eben, dass viele Schulen gar nicht alle Naturwissenschaften als Leistungskurse anböten. Andererseits sei das, was sie in den anderen Fächern gelernt hätte, sehr wohl ausreichend, betont sie und Christian Engelhardt, ebenfalls Medizinstudent im zweiten Semester, nickt zustimmend:

    "Der Stoff ist zwar lange her, aber ich finde dann doch, dass man die Sachen ziemlich schnell wieder rekapitulieren kann, wieder in den Kopf kriegt. Wenn ich dann so an meinen Bio-LK denke, der hat mich wirklich bestens vorbereitet. Es kommt halt drauf an, was man hatte in der Schule, da hat man dann schon eine Grundlage, und was man nicht hatte, da wird es richtig hart."

    Das haben auch die beiden Medizinstudenten erlebt. Sie geben unumwunden zu, dass die Menge an Lernstoff an der Uni sie zum Teil überfordert hat. Keine Seltenheit, bestätigt eine aktuelle Umfrage unter Studienabbrechern des Hochschul-Informationssystems. Demnach haben 31 Prozent der Studienabbrecher die Uni wegen Überforderung verlassen. Malte Kohns, fast fertiger Mediziner und Vertreter der Düsseldorfer Medizinstudenten, wundert das nicht:

    "Im Prinzip ist das das Hauptproblem, dass man durch die Schule weniger darauf vorbereitet wird, wie man sich ein Stoffgebiet selbstständiger erschließt. Das bekommt man in der Schule überhaupt nicht beigebracht und das wäre eigentlich etwas, was einem im Studium - meiner Meinung nach - halt sehr viel weiterhelfen würde, damit man von Anfang an erfolgreicher und zufriedener auch studieren kann."