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Abkehr vom Klischee des Bilderbuch-Skinheads

Der rechte Rand hat sich seit Jahren tiefgreifend gewandelt: Er hat sich zugleich radikalisiert und verbürgerlicht, so die These von der beiden Journalisten Toralf Staud und Johannes Radke. Beide beschäftigen sich seit Jahren mit der rechtsextremen Szene.

Von Claudia van Laak | 20.08.2012
    Wen sehen Sie vor sich, wenn Sie das Wort "Neonazi" hören? Einen muskelbepackten, tätowierten jungen Mann mit Glatze, schwarzen Springerstiefeln mit weißen Schnürsenkeln und Bomberjacke, in der Hand einen Baseballschläger? Genau dieses Bild dient Zeitungen, Zeitschriften, Online-Medien und dem Fernsehen immer wieder zur Bebilderung, wenn es um das Thema NPD oder Rechtsextremismus geht. Ein abgegriffenes Bild, das eingängig, aber längst überholt ist. Gut, dass die Journalisten Toralf Staud und Johannes Radke in ihrem Buch "Neue Nazis" mit diesem Klischee aufräumen.

    "Kaum ein Neonazi sieht noch so aus. Den Bilderbuch-Skin mit solchen Springerstiefeln gibt es praktisch nicht mehr. Weil aber Fotoredakteure weiterhin uralte Bilder zeigen, erkennt heute die Öffentlichkeit viele Rechtsextremisten nicht mehr. Der rechte Rand hat sich seit den Neunzigerjahren tief greifend gewandelt: Er hat sich zugleich radikalisiert und verbürgerlicht."

    Zum Konzept des Buches gehört es, den gesamten politisch rechten Rand zu beleuchten. Von den Autonomen Nationalisten auf der einen Seite über die NPD bis hin zu islamfeindlichen und rechtspopulistischen Bewegungen wie "Pro Deutschland". Eine Verengung der politischen Debatte auf die NPD, auf das Pro und Kontra eines Parteienverbots hält Toralf Staud – zu Recht – für ungenügend.

    "Die NPD-Verbotsdebatte ist zum Großteil symbolische Politik. Mein Eindruck ist, dass immer, wenn es opportun erscheint, von Politikern gesagt wird, "Wir wollen jetzt aber doch das NPD-Verbot", es oft eine Ersatzhandlung ist für eine wirklich adäquate Herangehensweise an das Thema Rechtsextremismus."

    Die sogenannten Autonomen Nationalisten sind für Toralf Staud die gefährlichste Gruppierung innerhalb des rechtsextremen Spektrums. In ihrer Bereitschaft zur Gewalt stehen die jungen Männer den meist betrunkenen Skinheads der 1990er-Jahre nicht nach. Sie sehen allerdings anders aus, haben sich äußerlich den Links-Autonomen des Schwarzen Blocks angeglichen. Autonome Nationalisten tragen schwarze Kapuzenpullover, Sonnenbrillen, Baseballkappen. Sie hören schnelle, hämmernde Beats mit Gewalt- verherrlichenden, rassistischen, antisemitischen Texten.

    "Die Autonomen Nationalisten sind eine relativ neue Strömung im rechtsextremistischen Spektrum, sie sind die jüngste Strömung im Moment, sie sind die dynamischste Strömung, die sich am rasantesten entwickelt und sie sind zweifellos auch die gewalttätigste."

    Die Autoren beschreiben, wie wenig der "Autonome Nationalist" mit dem ordentlich gescheitelten, rechtsextremen Burschenschaftler gemein hat, auch nicht mit den Anhängern der völkischen Blut- und Boden-Bewegung, die Zeltlager veranstalten und deren weibliche Mitglieder lange Zöpfe und Dirndl tragen. Nein, die "Autonomen Nationalisten" sind eine Großstadtbewegung von gewalttätigen, sich kompromisslos gebenden jungen Männern, die zielgerichtet ihre politischen Gegner angreifen.

    "Das Gefährliche an den Autonomen Nationalisten ist, dass sie wirklich ihre Ziele auskundschaften, Adressen von Gegnern auskundschaften. Also, da braut sich was zusammen, was man wirklich im Auge behalten muss."

    Von "Patchwork-Identitäten" sprechen Toralf Staud und Johannes Radke, wenn sie versuchen, das oft widersprüchliche Weltbild der Autonomen Nationalisten zu beschreiben. Aus vielen Ideologien und Weltsichten klauben die jungen Männer sich das zusammen, was ihrem momentanen Lebensstil entspricht, verdeutlicht Co-Autor Johannes Radke:

    "Die Strategen dahinter selbstverständlich, das sind überzeugte Nationalsozialisten, die denken, wir machen einen poppigen Style und versuchen darüber die Jugendlichen zu radikalisieren. Aber tatsächlich gibt es auch innerhalb der Szene inzwischen Stimmen, die sehr enttäuscht sind, dass viele zu ihnen kommen, weil sie nur Action und Gewalt wollen und die Ideologie nur zweitrangig ist."

    Wer das Buch "Neue Nazis" liest, dem wird schnell klar: Die beiden Autoren verfügen - stärker als viele andere selbst ernannte Rechtsextremismus-Experten - über Insider-Wissen, berichten auch über Konflikte innerhalb der Szene. Toralf Staud beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem politisch rechten Rand, hat mehrere erfolgreiche Bücher zum Thema veröffentlicht. Sie erreichen hohe Auflagen, richten sich nicht an Politologen, sondern an ein breites Publikum.

    Auch das neue Buch ist eingängig geschrieben, ohne zu sehr zu vereinfachen, kenntnisreich und detailliert. Dabei erscheint der politisch rechte Rand nicht als monolithischer Block des Bösen, sondern wird in seiner ganzen Widersprüchlichkeit beschrieben. In gewisser Weise gelingt den beiden Autoren dadurch eine Art Entzauberung, etwa wenn sie über Auseinandersetzungen zwischen Rechtspopulisten und der NPD berichten.
    Kranken doch viele Publikationen zum Rechtsextremismus daran, dass sie von eifernden, politisch weit links stehenden Autorinnen und Autoren verfasst werden, die eine grundsätzliche Bedrohung des Rechtsstaats und der Demokratie herbeischreiben. Doch wer zum Beispiel die Propaganda der NPD für bare Münze nimmt, nur um Aufmerksamkeit für dieses Thema zu wecken, der tappt in die rechtsextreme Falle. Toralf Staud und Johannes Radke dagegen bleiben wohltuend sachlich, weder über- noch unterschätzen sie die Gefahr von Rechts.

    Weil es der extremen Rechten in Deutschland an halbwegs fähigen Kadern fehlt und sie sich ständig zerstreitet, hat sie in den letzten Jahrzehnten relativ wenig zustande gebracht. Deshalb sollte man nie in Angststarre verfallen, wenn Rechtsextremisten irgendwo großspurige Ankündigungen machen.

    Die beiden Autoren belassen es nicht bei einer Analyse, am Ende des Buches geben sie Tipps zum Umgang mit Rechtsextremen, verbunden mit weiterführenden Links und Literaturhinweisen. Auf den ersten Blick wirken die Tipps banal. Zum Beispiel: "Nicht einschüchtern lassen", "Neonazis kein Podium bieten" oder "Informieren und selber nachdenken". Aber wer schon einmal in der Sitzung eines Stadtrats saß und gesehen hat, wie sich Kommunalparlamentarier von NPD-Funktionären vorführen lassen, der weiß diese Tipps zu schätzen. Und natürlich dieses Buch.

    Toralf Staud, Johannes Radke: Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts
    Kiepenheuer & Witsch
    250 Seiten, 9,99 Euro,
    ISBN: 978-3-462-04455-3