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Abrechnung mit Mario Barth und Co

Serdar Somuncu ist eigentlich Schauspieler und Kabarettist. In den 90er-Jahren kam er auf die Idee, mit Hitlers "Mein Kampf" auf Lesetour zu gehen. Nun macht er auch Musik. Sein Debütalbum heißt "Dafür kommt man in den Knast" und erinnert an Pop mit ein bisschen Hip-Hop und Soul Einflüssen.

Von Ina Plodroch | 25.11.2011
    "Es gibt da ein paar Sachen, die ich noch loswerden will. Dinge die mir auf den Sack gehen, die ich hasse oder die ich liebe." / "Hier ist der Skinhead vom Bosporus" (Song: Pussy)

    Als Kabarettist trat er mit kugelsicherer Weste auf: Serdar Somuncu ein Tabubrecher, provokant und vulgär. So definierte er die Grenzen des Humors neu, doch damit war nicht jeder einverstanden. Mal kamen Drohungen aus der Rechtenszene, dann wieder aus der Linken. Nun will er raus aus der Comedy-Schublade. Als Musiker.

    "Nachdem ich jetzt jahrelang immer wieder Comedy gemacht habe, und da aber auch an die Grenzen gestoßen bin. Und wenn man immer wieder, gerade in Deutschland, den Leuten erklären muss, was Humor ist, und worüber man lachen darf und nicht, denkt man sich auch irgendwann, kommt, 'leckt mich', ich mache was anderes."

    Auf seinem Debütalbum "Dafür kommt man in den Knast" rechnet Serdar Somuncu gewohnt schonungslos mit Mario Barth und Co ab und beschreibt seinen eigenen Wandel in den letzten Jahren. Vom Komiker zu einem, der nicht mehr der "Mein Kampf"-lesende Türke sein möchte.

    "Comedy" / "In Deutschland gab es noch nie viel zu lachen, was soll am als Nazi-Homeboy auch schon machen." / "Den Leuten war eine Zeit lang alles gut genug, denn die Zeit verging durch Ablenkung schnell wie im Flug"/ "Comedy, wenn dicke Frauen auf Prinzessin machen" "Kennt ihr den, kennt ihr dat"/ "Hahaha" / "Das pointierte Wort verkam zur stumpfen Waffe" /"Hahaha" / "Comedy"/ "Wenigstens hab ich ihnen die Wahrheit gesagt, hab Kanacke gespielt und auf Durchbruch gezielt" / "Comedy" (Song: Comedy)

    Theaterspielen ist seine eigentliche künstlerische Heimat. In Maastricht und Wuppertal hat er Schauspiel und Musik studiert, doch seit seinem Studium hatte er der Musik den Rücken gekehrt.

    "Es hat mich ein bisschen Anstrengung und Selbstüberredung gekostet um meinen Zugang wieder zu finden, weil ich nach meinem Studium eigentlich durch war mit der Musik. Das klingt paradox, aber gerade mein Studium hat mir die Freude und den Spaß am Musikmachen verleidet, hat's kaputtgemacht. Erst nach zehn bis zwölf Jahren kam das wieder und ich habe gesehen, welch eine kostbare Sache ich da verschwendet habe."

    Sein Debütalbum hat er selbst geschrieben und alleine eingespielt. Funk-Soul Stücke mit sexuellen Anspielungen, die eher platt als witzig sind, stehen neben unaufgeregtem Pop und kitschigen Liebesliedern.

    "Wo willst Du hin, wenn Du jetzt gehst. Weißt Du wer ich bin und ob Du mich verstehst. Wo willst Du hin, wenn Du verlassen bist." (Song Wo willst Du hin)

    "Ich hätte ja auch die Möglichkeit gehabt, eine Platte zu machen, die das komplett erfüllt, da hätte ich nur Punk singen müssen und die ganze Zeit "Leck mich Leck mich Leck mich", wäre ja easy gewesen."

    Beim zweiten Hinhören entdeckt man hinter der soften Pop-Fassade fast obligatorisch auch provokante Songs: "Der Mann mit dem Bart" zum Beispiel ist ein satirisches Stück über Hitler. "Atemnot" schildert den 11. September aus Sicht eines Attentäters, bevor dieser in die Hochhäuser fliegt. Und in der Hip-Hop-Nummer "Kopftuchlady" fordert er eine muslimische Frau auf, ihr Kopftuch abzunehmen.

    "Kopftuchbaby, du bist ein hübsches Ding. My Orientbaby, keiner weiß, warum es mit uns zu Ende ging. Komm zieh Dein Kopftuch aus" (Song: Kopftuchlady)

    "Ich bleibe bei den Inhalten, die ich habe, ich stülpe ihr nur eine andere Form über. Und dieses Mal ist die Form genau so irritierend. Alle Leute, die die ersten Songs hören sagen: Was ist denn jetzt los?"

    Denn die Musik plätschert dann doch oft genug vor sich hin. Stilistisch schwimmt er unbeholfen durch die Genres; kommt nirgendwo richtig an. Hier und da werden Rockklänge angedeutet, flache Beats schmiegen sich an Hip-Hop-Floskeln. An seine Qualität als Schauspieler oder Kabarettist kommt er als Musiker nicht heran. Am Ende ist es nur allzu banaler Pop.

    "Ich muss als Künstler immer gucken, dass ich meine wahre Kunst so verpacke, dass der Rezipient nicht merkt, was ich ihm eigentlich alles unterjuble."

    "Dafür kommt man in den Knast, dafür gibt es das Gesetz, wenn Du es einmal gebrochen hast, bist Du auf Ewigkeiten festgesetzt." (Song: Dafür kommt man in den Knast)

    Album:
    Serdar Somuncu – "Dafür kommt man in den Knast"
    Label: Groove Attack
    VÖ: 25.11.11
    (Produziert von Andre Fuchs)