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Abschiebung nach Afghanistan
Erzwungene Rückkehr

Menschen aus Afghanistan sind in den vergangenen Tagen wieder stärker in den Fokus gerückt - auch weil Bundesinnenminister Thomas de Maizière ernst machen will mit der Rückführung von Afghanen in ihre Heimat. Mitte nächster Woche soll der erste Flug seit Monaten nach Kabul gehen, mit Dutzenden von Afghanen an Bord. Was aber erwartet sie?

Von Martin Gerner | 08.12.2016
    Ein Kind trägt während einer Kundgebung gegen die Abschiebung nach Afghanistan am 22.10.2016 in Hamburg in der Innenstadt ein Schild mit der Aufschrift "Stop zu Abschiebung" in der Hand. Das Land am Hindukusch stellt nach Meinung der Protestler kein sicheres Herkunftsland dar.
    Protest gegen Abschiebung nach Afghanistan (dpa / picture alliance / Axel Heimken)
    Ein Souterrain in Widdersdorf bei Köln. Eine vierköpfige afghanische Familie wohnt hier zur Untermiete. Und seit elf Monaten in Deutschland. Obaid, der Vater, zeigt mir ein Schreiben, das er vor wenigen Tagen bekommen hat. Aufforderung zur Rückkehr nach Afghanistan binnen 30 Tagen, steht dort:
    "Mein Brief vom BAMF. Familie alles zurück von Deutschland. 30 Tage, jetzt zwei Wochen. Zurück nach Afghanistan. Aber in Afghanistan viele Probleme.
    Viel geschlagen. Terrorismus. Taliban. Daesh kommt. Viele Probleme in Afghanistan."
    Obaid hat einen Anwalt eingeschaltet. Die angedrohte Abschiebung ist damit erst einmal vom Tisch. Sorgen bleiben: "Frau Merkel. Ich kann nicht schlafen. Ich ..."
    "Er hat Angst, hat Albträume, kann nicht schlafen. Was soll er mit den Kindern machen?" Das sagt Ehsan, ein Helfer, der auch da ist.
    Der scheidende afghanische Botschafter Hamid Sidig, wie sich seine diplomatische Vertretung in Berlin in den letzten Monaten in eine Stätte für Hilfesuchende verwandelt hat. Nicht nur wegen Abschiebung.
    "Wir haben in den letzten zwei Jahren 4.000 junge Afghanen, die freiwillig zurückgegangen sind. Die sind hierhergekommen durch die Empfehlung der Eltern, der Familie. Und wenn sie hier sind, sehen sie nicht das, was sie sich erwarten haben."
    Es fehlt die soziale Begleitung für die Jungen, die kulturellen Unterschiede sind groß.
    "Hier kommen sie an und fühlen sich allein und die Langeweile. Und haben auch nicht die Möglichkeit, in die Schule zu gehen sofort. Und sie beschließen, einfach zurückzugehen."
    Selbstmord aus Verzweiflung
    Manche, so der Botschafter, griffen zum letzten Ausweg: "Wir haben mehr als 25 Leute inzwischen in den letzten zwei Jahren, die aus Verzweiflung, aus Krankheit und Depressionen sich umgebracht haben. Einige sind auch hier begraben."
    Ob Alleinsein oder drohende Abschiebung: Unverändert spielt offenbar auch die Art der Verfahren eine Rolle.
    "Verzweiflung über das Nicht-Wissen, ihr ungewisses Schicksal in Deutschland und die lange Dauer der Anhörung . Und keine Möglichkeiten, zur Schule zu gehen."
    Der Botschafter gesteht zu, viel habe sich inzwischen verbessert in Deutschland.
    "Angst vor Abschiebung haben jene, die in Afghanistan nichts haben. Das sind sehr viele Frauen mit Kindern, alleinstehende Frauen mit Kindern, die sehr stark Angst haben zurück zu gehen. Entweder sind sie geschieden oder von der Familie vertrieben worden. Oder der Ehemann ist gestorben. Und wenn sie zurück sind, erwartet sie ein gefährliches Leben."
    Nur "unter Fragezeichen", meint der Botschafter etwas doppeldeutig, könne man zur Zeit abschieben. Bundesinnenminister de Maizière und ein Teil der Bundesländer wollen in jedem Fall ein Zeichen setzen angesichts der vermuteten Stimmung im Land. Verantwortbar? Alexej Yusupov, Afghanistan-Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul:
    "Das ist nicht nur humanitär sehr schwierig. Ich finde es auch leicht zynisch. Es ist auch kontraproduktiv im Sinne der eigenen entwicklungspolitischen Ziele: Da streiten sich zwei Agenden: die innenpolitische und die außenpolitische Entwicklungsagenda."
    Bilaterales Rückkehrabkommen unterzeichnet
    Immerhin, so Yusupov, liege jetzt eine rechtliche Grundlage vor: "Die Bundesrepublik und Afghanistan haben bilaterales Rückkehrabkommen in Brüssel unterschrieben. Jetzt geht das. Davor wäre es rechtlich gar nicht möglich gewesen. Es gibt eine Nennung von 50 Personen pro Flug. Es gibt Flüge, die terminiert sind. Im Oktober/November hat kein Flug stattgefunden. Auch aufgrund des Angriffs auf das Generalkonsulat in Mazar. Wenn man dort von einem der sichersten Gebiete spricht, und gleichzeitig eine diplomatische Einrichtung verloren wird, ist das ein Widerspruch."
    Die Bundesregierung hat Städte wie Kabul und Mazar in Afghanistan für Rückkehrer trotzdem für sicher genug erklärt. Gegen vielerlei Protest. Wirtschaftliche Gründe reichten – was das Kommen angeht - nicht aus, um zu bleiben, so de Maizière.
    "Die fliehen ja nicht nur aus einem Grund, sondern da kommt vieles zusammen. Das sind 40 Jahre Krieg, die sozial-ökonomische Lage, die sich für die meisten nicht verbessert hat. Der Krieg liegt auch hinter Motiven, die wir vielleicht für Wirtschaftsflucht halten", sagt Thomas Ruttig, vom Afghanistan Analysts Network in Kabul. Er vermisst offenbar ein Einwanderungsgesetz, dass nicht alle ins politische Asyl drängt:
    "Politisches Asyl ist, wenn man wirklich von Taliban bedroht wird. Das ist sicher bei vielen Afghanen nicht der Fall. Aber sie sind als Person von Kriegshandlungen und Terrorismus bedroht. Und teilweise von Kräften, die mit der Regierung zu tun haben, etwa Milizen."
    Für Ruttig ist die Debatte vor allem hausgemacht: "Für mich ist das kühle Politik, die offenbar versucht, den neuen rechtspopulistischen Bewegungen den Wind aus den Segeln zu nehmen."
    In der 2-Zimmer-Kellerwohnung in Köln-Widdersdorf erzählt Obaids Frau von der Fahrt über das Meer, von der Türkei nach Griechenland. Sie war schwanger mit der Tochter. Die Angst vor den Wellen, dem Meer, seien noch immer da. Jetzt kämpft die Familie gegen einen 30-seitigen Bescheid aus Paragrafen. Ob der Anwalt etwas ausrichten kann? Ehsan, vom Forum Afghanischer Migranten:
    "80 Prozent der Afghanen, die ich kenne, haben eine Ablehnung von BAMF bekommen. Sie machen sich alle Sorgen. Sie wollen nicht zurück. Die Afghanen haben auch nicht die gleichen Rechte für die Integrationskurse. Aber wir kämpfen hier für unsere Rechte."