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Abschied vom Wachstumscredo

Mehr Wachstum, mehr Arbeit, mehr Wohlstand, lautet die ökonomische Erfolgsformel der Wachstumsprediger. Diese ist für den Volkswirtschaftler Niko Paech keine Lösung für die Zukunft. In seinem Buch entwickelt er ein Gegenmodell: eine Postwachstumsökonomie.

Von Sonja Ernst | 06.08.2012
    Auch in der anhaltenden Euro-Krise sind sie wieder am Werk: die Wachstumsprediger. Mehr Wachstum, mehr Arbeit, mehr Wohlstand – so lautet ihre ökonomische Erfolgsformel. Doch nicht alle wollen an die reine Lehre des Wachstums glauben. Auch nicht Niko Paech. Der Volkswirtschaftler - der als einer der profiliertesten Wachstumskritiker Deutschlands gilt - hinterfragt in seinem Buch das Credo wachsender Wirtschaftsleistung, das Ausmaß materiellen Konsums in den Industrieländern und das Versprechen einer nachhaltigen Wirtschaft.

    Viele dieser Punkte sind nicht neu. Aber Paech denkt sie konsequent zu Ende und: Er liefert konkrete Antworten darauf, wie eine Gesellschaft aussehen kann, die sich vom Wachstum verabschiedet. Dafür fordert der Autor, die Regionalisierung der Wirtschaft. Dass Wirtschaftsleistung und Arbeitszeit um die Hälfte reduziert werden sowie eine vom Markt unabhängige Eigenversorgung aufgebaut wird. Denn die Bürger sollen wieder reparieren statt wegwerfen, selbst herstellen statt konsumieren und: Sie sollen tauschen – und dabei ihre Nachbarn wieder kennenlernen:

    "Mein Nachbar ist jemand, der kann sehr gut Fahrräder reparieren. Dafür backe ich ihm ein Brot. Oder gebe ihm Dinge, die aus einem Garten stammen, an dem ich beteiligt bin, weil meine substanziellen und manuellen Kompetenzen sich mehr auf diese Bereiche erstrecken. Das alles ist nicht steinzeitlich, sondern kann sehr modern sein. Weil wir in diesem Modell der Postwachstumsökonomie die wissensintensiven Industrieprodukte nicht einfach verbannen, wir reduzieren nur deren Output."

    Reduktion lautet also das Gestaltungsprinzip einer Postwachstumsökonomie. Die Bürger sollen nicht weniger konsumieren, aber weniger industriell produzieren. Indem sie selbst Hand anlegen, die Nutzungsdauer industrieller Produkte verlängert wird und Produkte gemeinschaftlich genutzt werden: von der Waschmaschine, über den Bohrer bis hin zum Auto.

    Manches mag im Kleinen funktionieren: Zum Beispiel ist Gärtnern in den Städten wieder hoch im Kurs. Ob sich dafür aber die Massen begeistern können, ist überaus fraglich. Für solch eine Subsistenzwirtschaft benötigen die Menschen viel Zeit. Diese ergibt sich automatisch aus dem Rückbau der nationalen Wirtschaftsleistung um fünfzig Prozent. Diese Reduktion der Wertschöpfung: Eine zentrale Forderung des Autors. Nur so sind für ihn die aktuellen Herausforderungen – nämlich Klimawandel, Umweltschäden und Ressourcenkrise – tatsächlich zu bewältigen.

    Doch fraglich ist, ob man solch einen Rückbau der Wirtschaft bei 50 Prozent anhalten kann oder eine unkontrollierbare Abwärtsspirale droht, die eben nicht zu stoppen ist. Auch liefert der Autor keine Antwort, wie solch ein Rückbau ganz konkret umzusetzen ist – und zwar weltweit. Wie lassen sich Sozialsysteme anpassen, wenn nur noch die Hälfte der Sozialabgaben fließen? Und fällt Deutschland dann auf einen Lebensstandard von 1960 zurück? Ob der Wandel möglich ist, bleibt auch nach der Lektüre offen.

    Für Paech bedeutet die Reduktion der Wertschöpfung nicht den totalen Verzicht. Subsistenzwirtschaft oder auch der gemeinschaftliche Gebrauch von Produkten sollen Konsum und gesellschaftliche Entwicklung weiterhin ermöglichen. Doch in welchem Ausmaß bleibt fraglich. Dafür bietet der Autor, wie bereits der Buchtitel verheißt, die "Befreiung vom Überfluss". Darin liegt für Paech die Antwort darauf, wieso sich die Bürger auf eine Postwachstumsökonomie einlassen sollten. Für den Autor sind die Menschen in einem Hamsterrad aus Konsum und Leistung gefangen, vollgestopft mit Wohlstandsschrott.

    Wer sich elegant eines ausufernden Konsum- und Mobilitätsballastes entledigt, ist davor geschützt, im Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung orientierungslos zu werden. Laut Angabe des Bundesministeriums für Umwelt besitzt jeder Bundesbürger durchschnittlich 10.000 Gegenstände. Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht.

    In seinem Buch widerspricht Paech vehement der Vision einer grünen und nachhaltigen Wirtschaft, für die sich auch der Rio+20-Gipfel aussprach. Ihre Fürsprecher setzen auf Wachstum, nur eben umwelt- und ressourcenschonender. Für Paech der falsche Weg:

    "Es geht nicht darum, technische Lösungen zu verteufeln. Es geht auch nicht darum, Prozesse des Suchens und Findens neuer Lösungen auszusetzen. Es geht nur darum, sich klar zu machen, dass diese neuen Lösungen niemals dazu führen können, dass das Bruttoinlandsprodukt weiter wachsen und gleichzeitig eine Entlastung der Ökosphäre dabei herauskommen kann."

    Ein grünes Wirtschaftswachstum: Für Paech ist das schlichtweg ein Mythos und begründet seine Haltung an verschiedenen Beispielen: Die Elektromobilität lässt den Bedarf an Seltenen Erden steigen. Der Ausbau von Windkraftanlagen verbraucht Flächen. Der Bau von Passivhäusern führt zu neuen Baugebieten für Einfamilienhäuser, das heißt Landstriche werden versiegelt und der Wohnraum pro Person bleibt viel zu hoch – auch wenn das neue Eigenheim auch noch so umweltfreundlich geplant wurde.

    Die Geschichte des technischen Fortschritts war niemals etwas anderes als eine Abfolge von Übergängen zu höheren Ebenen des Energieverbrauchs.

    Auf den 150 Seiten verfällt Paech nicht in Groll oder Alarmismus. Im Ton sachlich entwirft er sein Modell einer Postwachstumsökonomie, das er für alternativlos hält. Pointiert macht er klar: Entweder Politik und Bürger gestalten selbst den gesellschaftlichen Umbau oder künftige Energie- und Umweltkrisen werden sie dazu zwingen.

    Im Gegenzug verspricht der Volkswirt mehr Freiheit und Selbstbestimmtheit. Indem die Bürger ihren Wohlstandsballast abwerfen, befreien sie sich vom Zwang des Konsums und erfahren dabei auch noch Glück:

    "Vielleicht ist mein Glück etwas bescheidener gemessen an den materiellen Inputs. Aber dafür kann ich von mir sagen, dass die Art von Glück, die ich empfinde, insoweit ehrlich ist, als andere Menschen im selben Rahmen genauso versuchen können, glücklich zu werden. Die Übertragbarkeit meines Glücks ist mir dabei wichtig und vor allem, dass mein Glück nicht das Resultat von Plünderung ist."

    Doch wie ehrlich will eine moderne Konsumgesellschaft sein? Reduktion klingt nicht sexy – Subsistenzwirtschaft nach Strickpullover und Sandalen. Da klingt das Versprechen einer nachhaltigen Wirtschaft attraktiver: Nicht teilen, sondern die Geländelimousine mit Biosprit fahren. Spottbillig in den Süden fliegen und zur Beruhigung dafür ein paar Euros für ein Nachhaltigkeitsprojekt spenden.

    Es ist gerade Paechs radikale Position, die bei der Lektüre des Buches dazu anregt, ehrlich über den eigenen Konsum, die eigene Wohlstandsanhäufung nachzudenken. Und so liefert Paech mit seiner "Befreiung vom Überfluss" ein sehr kompaktes sowie wichtiges Buch. Der Leser mag bei der Lektüre ab und an den Kopf schütteln und sich fragen, wie realistisch eine Postwachstumsökonomie ist. Doch das Buch bietet mit seinen konsequenten Forderungen mehr Anregungen als manche "Weiter-So-Literatur".


    Nico Paech: Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie
    Oekom Verlag
    155 Seiten, 14,95 Euro
    ISBN: 978-3-865-81181-3

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