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Abschiedsrede US-Präsident
"Obama hat den Finger in Wunden gelegt"

US-Präsident Barack Obama habe in Chicago keine beschönigende Abschiedsrede gehalten, sagte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter im DLF. Neben Rassismus und Rezession habe er auch das größte Problem der USA angesprochen: die gesellschaftliche Spaltung. Dafür machte Kiesewetter aber vor allem Obamas Nachfolger verantwortlich.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Christoph Heinemann | 11.01.2017
    Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter
    "Die amerikanische Gesellschaft ist recht tief gespalten", sagte CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. (picture-alliance/ dpa / Stephanie Pilick)
    Barack Obama habe das Land innenpolitisch aus der Rezession geführt und auch außenpolitisch habe er einiges geschafft, etwa mit Blick auf den Iran und Kuba, betonte Kiesewetter. Angesichts der Tatsache, dass Obama sechs der acht Jahre seiner Amtszeit gegen eine Mehrheit im Kongress und zuletzt auch im Senat habe anregieren müssen, falle die Bilanz erstaunlich gut aus.
    Gespaltene Gesellschaft
    Allerdings sei es Obama nicht gelungen, den von ihm angestoßenen Wandel auch in die kleineren Ecken des Landes zu tragen. Die ländlichen Räume seien vielfach abgehängt, der Zusammenhalt der Gesellschaft nicht vorhanden. Das habe Trump ausgenutzt und mit seinem Wahlkampf die Spaltung des Landes weiter vorangetrieben.
    Viele Aufgaben für Trump
    Hauptaufgabe des neuen US-Präsidenten müsse jetzt sein, den Zusammenhalt der US-amerikanischen Gesellschaft jetzt wieder herzustellen. Auch das Verhältnis zu Russland müsse neu ausgehandelt werden, dabei dürfe die Rechtsstaatlichkeit jedoch nicht verloren gehen, betonte Kiesewetter. Europa müsse die eigenen Interessen künftig klarer formulieren und den eigenen Zusammenhalt stärken, um Donald Trump in Zukunft ein starker Partner zu sein.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Roderich Kiesewetter hat Obamas Rede heute Nacht verfolgt. Wir sind mit dem Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages jetzt verbunden. Guten Morgen!
    Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Kiesewetter, welche waren für Sie die wichtigsten Akzente bei Obama?
    Kiesewetter: Zunächst hat er keine beschönigende Rede gehalten, sondern sehr klar auch Finger in Wunden. Was mich besonders beeindruckt hat war, wie sehr er auf den notwendigen gesellschaftlichen Zusammenhalt hingewiesen hat und wie stark er das Problem des latenten Rassismus in den Vereinigten Staaten hervorgehoben hat. Das war der gesellschaftspolitische Aspekt. Auf der anderen Seite, indem er deutlich gemacht hat, aus welcher Rezession er das Land geführt hat, wie sich die wirtschaftliche Lage von gegenüber 2008/2009 zu heute verändert hat. Das war, glaube ich, eine recht gute und gelungene Darstellung.
    "Die ländlichen Räume sind vielfach abgehängt"
    Heinemann: Viele fragen sich ja bis heute, was ist an dem Wahltag eigentlich passiert. Ist Trump auch das Ergebnis von acht Jahren Obama?
    Kiesewetter: Ich denke, da spielt viel mit eine Rolle hinein. Ich glaube, die amerikanische Gesellschaft ist recht tief gespalten. Ich habe selbst über viele Jahre intensiv die USA mit verfolgt, habe auch mal eine Zeit lang dort gelebt. Aus meiner Sicht ist etwas nicht gelungen. Das ist, den Wandel auch in die kleineren Ecken des Landes zu bringen. Die ländlichen Räume sind vielfach abgehängt, ganz anders als der Westen des Landes oder tief im Osten. Und es ist Obama letztlich nicht gelungen, den Zusammenhalt in vielen Bereichen der Gesellschaft wieder herzustellen. Er hat ja viele hervorragende Versuche gemacht, insbesondere im Bereich der Sozialversicherung, gegen erheblichen Widerstand. Aber man muss auch sehr deutlich herausstellen: Er hatte sechs der acht Jahre gegen eine Mehrheit im Kongress, am Schluss auch gegen den Senat anregieren müssen, und dafür fällt seine Bilanz erstaunlich positiv aus.
    Heinemann: Geht es auch um Umgangsformen? Haben die Menschen vom gesitteten Liberalismus die Nase voll?
    Kiesewetter: Das hoffe ich nicht. Es ist eher umgekehrt der Fall, er sprach es ja auch selber an, dass man in gewissen Blasen lebte und in den abgehobenen Bereichen sich selber versucht hat zu bestätigen. Aber man muss ja auch deutlich machen: Innenpolitisch ist er aus der Rezession gekommen mit dem Land. Das wurde nicht in allen Bereichen anerkannt, weil die Digitalisierung, der industrielle Wandel natürlich nicht allen zugutekommt. Das muss man sehr klar sagen. Und er hat außenpolitisch einiges bewirkt. Vielleicht können wir darauf noch kurz eingehen. Auch hier sind ja ein paar Dinge, insbesondere Iran und Kuba zu nennen. Aber es ist ganz schwierig in einer Gesellschaft, die zwischen Stadt und Land nicht den Zusammenhang hat, wie wir ihn aus Deutschland kennen, eine Infrastruktur, die allen zugutekommt, und auch ein Sozialsystem, das allen zugutekommt. Das hat dann doch zu erheblichen Protesten und empfindlichem Widerstand geführt. Und letztlich hat das Trump ausgenutzt und nicht für den Zusammenhalt der Gesellschaft gesorgt, sondern bewusst die Spaltung vertieft.
    Heinemann: Außenpolitik haben Sie angesprochen. Obama hat Russland ja als mittlere Macht bezeichnet. Er hat kürzlich noch einmal sinngemäß darauf hingewiesen, dass Russland abgesehen von Rohstoffen auf dem Weltmarkt kein Produkt zu bieten habe, das normale Menschen kaufen wollen. Beides darf man denken, aber darf ein US-Präsident so reden?
    Kiesewetter: Ich habe das für unglücklich gehalten, weil die Russen, Russland unter Putin uns allen gezeigt hat, wie auch eine Mittelmacht, wenn sie sehr fokussiert vorgeht im Nahen und Mittleren Osten, wie eine Weltmacht auftreten kann. Und ich glaube, es wird jetzt ganz arg darauf ankommen, Brücken zu Russland zu bauen und zu schauen, wo es Anknüpfungspunkte gibt. Hier geht es nicht darum, wie Trump andeutete, Einfluss-Zonen zu schaffen, Zonen unterschiedlichen Rechts, sondern dass Rechtsstaatlichkeit weiterhin die Benchmark, die Vergleichsgröße ist. Ich glaube, da gibt es noch sehr viel zu tun.
    "Europa muss deutlich mehr seine eigenen Interessen wahrnehmen"
    Heinemann: Trump und Putin können ganz gut miteinander. Sie sagen, Brücken bauen müsse man jetzt. Wäre das gut für die Regelung vieler internationaler Konflikte?
    Kiesewetter: Das kommt ganz darauf an. Hier, glaube ich, wird Trump daran zu messen sein, ob es ihm gelingt, Rechtsstaatlichkeit weiterhin aufrecht zu erhalten, oder ob es um simple Interessenaufteilung und Interessensphären geht. Die Maßgrößen werden sein der Umgang mit der Ukraine und der Krim und der Umgang mit Syrien und letztlich auch der Wiederaufbau in Syrien und Irak. Wenn Trump es dazu kommen lässt, dass Russland dort schalten und walten kann, dann werden wir einen Rückfall in Zonen unterschiedlicher Sicherheit und Zonen unterschiedlichen Einflusses haben. Ich glaube, Trump hat jetzt noch die Chance, auf Rechtsstaatlichkeit hinzuweisen, auf Einhaltung von Verträgen oder auch auf Wiederherstellung von Verträgen, Budapester Vertrag mit Blick auf die Krim. Hier will ich jetzt nicht negativ über Trump reden. Das Hauptproblem von Trump wird sein, den Zusammenhalt der US-amerikanischen Gesellschaft wiederherzustellen. Er hat das Land gespalten, nicht Obama. Er hat vieles im Wahlkampf zerstört, was an Vertrauen in die staatlichen Institutionen vorhanden war. Ich glaube, das wird der erste Meilenstein sein, den er erreichen muss. Und außenpolitisch wäre es natürlich eine große Hilfe. Das bedeutet dann aber auch für Europa, dass Europa deutlich mehr seine eigenen Interessen wahrnehmen muss, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik genauso wie in der Sicherheitspolitik.
    Heinemann: Ein Regierungsvertreter in Washington - Thilo Kößler hat eben am Schluss seines Berichts darauf hingewiesen - hat gesagt, Russland verfüge über kompromittierende Informationen über Donald Trump. Den US-Geheimdiensten läge entsprechendes Material vor. Trump selbst hat gesagt, er sei Opfer einer politischen Hexenjagd. Das Thema ist nicht ganz neu. Wird der Verdacht der Erpressbarkeit diese Präsidentschaft begleiten?
    Kiesewetter: Zumindest ist der Beginn der Regierungsbildung von Trump und der Art und Weise, wie er sich seine Berater auswählt, schon fragwürdig. Und Trump, glaube ich, muss, auch was jetzt die Zusammenarbeit mit den Staaten der Europäischen Union angeht, hier für sehr viel Vertrauen werben. Ich halte es für zu früh, jetzt schon in diese Kerbe zu hauen, aber Trump hat zumindest Anlass zur Sorge in der Art und Weise, wie er sich im politischen Vorgehen verhält, insbesondere, dass er immer über Deals spricht statt über Einhalten von Verträgen, und auch, wie er sein persönliches Umfeld auswählt. Das erfüllt mich mit Sorge.
    "Deutschland und die EU müssen handlungsfähiger werden"
    Heinemann: Worauf müssen wir uns einstellen oder Europa oder Deutschland, die Außenpolitik? Wie kann man die wesentlichen Unterschiede zwischen Obama und Trump beschreiben, jetzt mal abgesehen von der Frisur?
    Kiesewetter: Mir geht es jetzt weniger um die Unterschiede, sondern Deutschland und die EU muss handlungsfähiger werden. Wir müssen unsere eigenen strategischen Interessen klarer formulieren. Es wird darum gehen, dass Europa in seinem Umfeld, insbesondere im nördlichen Afrika - da geht es nicht nur um Flüchtlinge, sondern auch um Entwicklung der Region - sich stärker engagieren muss und auch mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten. Obama ist es ja gelungen, die USA vom Öl unabhängig zu machen, vom Import von Öl, und Europa ist in einer Art Zerfaserung. Putin ist es gelungen, Europa in vielen Teilen untereinander uneinig zu machen, siehe Ungarn, siehe baltische Staaten, siehe auch Northstream II, wo Deutschland mit beteiligt ist. Wir müssen gucken, dass wir mehr Zusammenhalt in Europa erreichen, unsere Interessen stärker wahrnehmen. Das kann ja auch nur im Interesse einer Trump-Regierung sein und Trump braucht einen starken Partner an der Seite und dazu muss er auch mehr mit vertrauensbildenden Maßnahmen beitragen.
    Heinemann: Roderich Kiesewetter (CDU), Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Kiesewetter: Vielen Dank! Schönen Tag noch.
    Heinemann: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.