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"Absichtserklärungen haben alle unterschrieben"

Hans Eichel, Bundesfinanzminister der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung, geht davon aus, dass die Teilnehmer des G20-Gipfels die Finanzmärkte umfassend regulieren werden. Der Teufel stecke aber im Detail, so Eichel: Wie viel Regulierung es geben werde und in welchen Bereichen, das werde davon abhängen, ob die Amerikaner und die Kontinentaleuropäer an einem Strang ziehen.

Hans Eichel im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 01.04.2009
    Tobias Armbrüster: Offiziell beginnt der G20-Gipfel in London erst heute Abend, aber die ersten Gespräche in der britischen Hauptstadt laufen bereits. Am Vormittag hat sich US-Präsident Obama mit dem britischen Premierminister Gordon Brown getroffen. Am Telefon bin ich jetzt mit Hans Eichel verbunden, dem ehemaligen Bundesfinanzminister. Guten Tag, Herr Eichel!

    Hans Eichel: Guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Eichel, Sie haben an vielen internationalen Gipfeln teilgenommen. Wie muss man sich das vorstellen, wenn da alle zusammensitzen? Bleibt da überhaupt Zeit für konstruktive Gespräche?

    Eichel: Das Wesentliche ist die Vorbereitung. Die ist ja sehr intensiv gewesen und die ist bei guten Konferenzen auch sehr intensiv. Dann bleiben immer ein paar wenige Streitpunkte, die auch klar herausgearbeitet sind, offen, und die entscheidende Frage ist, ob da dieses Mal ein grundsätzliches Einvernehmen erzielt wird, damit dann weiter gearbeitet werden kann. Die Gipfel alleine können das nicht richten.

    Armbrüster: Ganz zentral im Mittelpunkt steht ja hierbei die Regulierung der Finanzmärkte. Welche Veränderungen erhoffen Sie sich von diesem Gipfel?

    Eichel: Das geht sehr weit. Zum einen - der Grundsatz ist allen gemeinsam: Es darf keine unregulierten Bereiche, keine unregulierten Orte, keine unregulierten Teilnehmer und keine unregulierten Instrumente mehr geben. Das ist ein riesiger Fortschritt. Nun wird allerdings der Teufel im Detail stecken, nämlich wie viel an Regulierung soll sein, zum Beispiel bei Hedgefonds, bei Private-Equity-Fonds, wie viel an Eigenkapitalunterlegung wird verlangt, wie genau wird die Finanzmarktaufsicht dort in die Bücher hineinsehen können. Genauso bei den Steueroasen: kommen wir, was wir eigentlich müssen, wenn wir Schluss machen wollen mit der Steuerflucht, zum automatischen Informationsaustausch, oder bleiben wir, was die Steueroasen natürlich wollen, ein Stück vorher stecken. Das hängt aber sehr davon ab, ob die Amerikaner und die Kontinentaleuropäer an einem Strang ziehen.

    Armbrüster: Nun haben Sie schon gesagt, es soll keine unregulierten Bereiche mehr geben in den Finanzmärkten. Für wie wahrscheinlich halten Sie es denn, dass es da tatsächlich zu einer konkreten Regelung kommt, denn das ist ja tatsächlich schon sehr eng gefasst?

    Eichel: Wie gesagt, die Absichtserklärungen haben alle unterschrieben. Jetzt wird es auf die Einzelheiten ankommen. Die werden ganz sicherlich nicht jetzt auf dem Gipfel festgelegt werden, aber der Gipfel wird schon sagen, bis hierher etwa wollen wir gehen, und wird dann an die Finanzminister das zurückverweisen, um das gemeinsam mit dem IWF, mit dem Forum für Finanzstabilität zu bearbeiten, denn das wird nicht der letzte - das ist der zweite Gipfel dieser Art, aber es wird ganz gewiss nicht der letzte sein.

    Armbrüster: In Ihrer Zeit als Finanzminister, da wurde Ihnen ja gerade von britischer Seite immer wieder geraten, die Finanzmärkte auch in Deutschland von der Leine zu lassen und stärker zu deregulieren. Was denken Sie, wenn Sie jetzt zum Beispiel von Ihrem damaligen Kollegen Gordon Brown hören, der sich jetzt für eine stärkere Kontrolle der Finanzmärkte einsetzt?

    Eichel: Ja, das macht er seit einiger Zeit. Ich sage, Gott sei Dank, aber es hätte natürlich auch viel früher sein sollen, denn dass zum Beispiel, auch wenn das nicht in dieser Krise der Fall war, Hedgefonds sehr gefährlich sein können, wussten wir doch seit 1998, als wegen eines Hedgefonds und seiner Schieflage fast das Weltfinanzsystem zusammengebrochen wäre. Da war von den Briten und den Amerikanern noch keinerlei Bereitschaft, über irgendeine Form von auch nur Transparenz, geschweige denn Regulierung zu reden. Da ist man durch Schaden klug geworden. Die Frage ist, wie klug ist man geworden. Hoffentlich nicht so, dass jetzt unter der anderen Überschrift - die richtig ist: Wir müssen unbedingt die Wirtschaft wieder in Gang bringen, damit die Krise nicht zu tief und zu lang wird -, dann vergessen wird, was wir an Finanzmarktregulierung dringend machen müssen.

    Armbrüster: Es ist ja gerade diese Unterscheidung zwischen Wirtschafts- und Finanzkrise, die uns auch in diesen Tagen immer wieder beschäftigt. Was würden Sie denn sagen? Was steht hier im Mittelpunkt? Geht es darum, die Wirtschaft anzukurbeln oder die Finanzmärkte zu deregulieren?

    Eichel: Ich glaube, es ist kein Entweder-oder, aber man wird die Wirtschaft nicht in Schwung bekommen, wenn das Problem der Finanzmärkte nicht gelöst wird. Da steht im Mittelpunkt etwas, wofür es noch keine richtige Lösung gibt; das sind nämlich die ganzen toxischen Papiere, diese Papiere bei den Banken, in den Bankbilanzen, die verhindern, dass zwischen den Banken wieder richtig Kreditgeschäfte gemacht werden. Dafür muss dringend eine Lösung gefunden werden, und das kann nicht so sein, dass das alles den Staaten aufgehalst wird. Und zweitens: Ja, die Wirtschaftskrise wird jetzt sehr rasch sehr tief werden, und ich kann schon verstehen - zumal die Chinesen und die Amerikaner riesige Anstrengungen machen -, dass man noch mal darüber reden muss, ob man mit den jetzigen Anstrengungen alleine zurecht kommt.

    Armbrüster: Aber wenn wir jetzt zum Beispiel hören, dass sich Barack Obama bereits jetzt dafür einsetzt, dass man stärker auf wirtschaftliche Impulse Wert legen sollte, deutet sich hier nicht an, dass sich auch bei diesem G20-Gipfel eigentlich jeder Staat, jeder Teilnehmer eher wieder selbst der Nächste ist?

    Eichel: Das wäre nicht gut. Wir haben es mit einer globalen Krise zu tun, sowohl an den Finanzmärkten wie wirtschaftlich, und in Wirklichkeit ist jeder Versuch, dass jeder für sich etwas tut, zum Scheitern verurteilt. Im Gegenteil, er macht eher die Krise größer und teuerer.

    Armbrüster: Wie optimistisch sind Sie, dass die Teilnehmer das begriffen haben?

    Eichel: Also ich bin ein gnadenloser Optimist am Schluss, obwohl ich schon viele internationale Konferenzen, die sehr nichtssagend ausgegangen sind, erlebt habe. Ich glaube aber, dass diesmal die Krise so tief ist und dass die Gefährdungen auch für die Regierungen so groß sind, dass diesmal alle begreifen, dass sie nur zusammen etwas erreichen können, und das heißt beides: die Wirtschaft ankurbeln, aber auch grundlegend die Finanzmärkte in Ordnung bringen.

    Armbrüster: Ich möchte noch mal zurückkommen auf Ihre Amtszeit als Bundesfinanzminister. In dieser Zeit bis zum Jahr 2005 hat ja unter anderem dieser riesige Boom an den Finanzmärkten eingesetzt, da sind auch die vielen toxischen Papiere auf einmal aufgetaucht, mit denen wir uns heute befassen. Wenn es jetzt um das Krisenmanagement und um die Schadensbegrenzung geht, machen Sie sich da manchmal Vorwürfe?

    Eichel: Nein. Wenn Sie die Zahlen angucken, sind diese enormen Auswüchse erst in den letzten Jahren entstanden und nicht in der Zeit - und das ist auch erklärlich, denn wir hatten ja den 11. September 2001.

    Armbrüster: Na ja, und in dessen Zuge hat ja dieser Boom an den Aktienmärkten eingesetzt, nach dem damaligen Absturz.

    Eichel: Ja, ja, aber doch erst nach dem Jahr 2003 fing das langsam an. Die Boom-Entwicklung ist doch wesentlich später eingesetzt. Aber nein, ich mache mir da keine Vorwürfe. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Wir haben die Hedgefonds in Deutschland zugelassen, und sie werden ja jetzt auch gar nicht verboten werden, was auch gar nicht geht. Aber die Folge ist, dass von den über 9000, die es weltweit vor der Krise gab, ganze 40 in Deutschland saßen und kein einziger, weil wir sie reguliert haben, irgendwie auffällig geworden ist. Und das ist ja das Thema an den Finanzmärkten: die richtige Regulierung. Da waren wir, glaube ich, ein ganzes Stück besser, weil wir immer davon ausgegangen sind, dass es unregulierte Teile nicht geben darf.