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Abspaltung mit Katastrophenrisiko

Vermutete riesige Ölreserven unter Grönland könnten dem Land die Unabhängigkeit von Dänemark bescheren. Doch Umweltschützer mahnen, in der Arktis nicht nach Öl zu bohren – eine Katastrophe wie im Golf von Mexiko hätte im abgeschiedenen Norden verheerende Konsequenzen.

Von Marc-Christoph Wagner | 15.09.2010
    Tobias Ignatiusen ist Anfang 50. Er ist Fischer und kennt die grönländische Küste genau. Stolz zeigt er seine Gewehre, die stets geladen im Boot liegen. Falls ein Wal oder eine Robbe auftaucht, muss es schnell gehen.

    Schon als kleiner Junge hatte Tobias sein eigenes Boot. Seit seinen Kindheitstagen aber hat sich vieles verändert. Das Meer sei aufgrund des Klimawandels unberechenbarer, der Walfang geächtet, die Preise für Robben im Keller – und das vor allem wegen der weltweiten Kampagnen von Umweltorganisationen wie Greenpeace.

    "Als ich jung war, konnten wir hier alle vom Meer leben. Wir konnten unsere Boote und Motoren bezahlen. Heute ist das anders. Die Küstenorte verfallen, wir schlagen uns irgendwie durch. Das ist eine traurige Entwicklung."

    Tobias Ignatiusen hofft auch deshalb auf Öl und Gas, das man in ungeahnten Mengen vor den Küsten der weltweit größten Insel vermutet. Doch auch in dieser Frage macht Greenpeace Ignatiusen und seinen Landsleuten einen Strich durch die Rechnung. Denn die Umweltorganisation will die Ölförderung in der Arktis gänzlich verhindern. Der Generalsekretär des dänischen Verbandes, Mads Flarup Christensen:

    "Das ist die Region in der Welt mit den meisten Eisbergen. Wer sich Sonarbilder anguckt, der sieht, welche enormen Furchen diese Kolosse auf dem Meeresboden hinterlassen. Die Eisberge würden jedes Bohrloch vernichten."

    Ein Argument, dass man von grönländischer Seite nicht nachvollziehen kann. Jede Bohrung nach Öl sei mit hohen Sicherheitsauflagen verbunden, berichtet der Chef der zuständigen Behörde, Jörn Skov Nielsen:

    "Um jede Ölplattform herum ist eine weitläufige Sicherheitszone definiert. Wenn ein Eisberg hier hineinkommt, müssen die Ölfirmen die Bohrungen stoppen und ihre Gerätschaften sichern – über dem Wasser wie am Meeresboden. Und zwar, bis der Eisberg passiert ist."

    Und auch der grönländische Regierungschef Kuupik Kleist mahnt zur Gelassenheit. Die ersten konkreten Hinweise auf Öl und Gas habe er mit großem Interesse vernommen. Noch aber stehe man erst ganz am Anfang einer womöglich vielversprechenden Entwicklung. Einmischung von außen aber in grönländische Angelegenheiten möchte sich Kleist verbitten:

    "Natürlich gibt es Risiken. Dessen sind wir uns bewusst. Doch wer sagt, man solle in der Arktis nicht nach Öl suchen, der muss sich einmal anschauen, wo sonst in der Welt Öl gefördert wird. Wir Grönländer wollen unsere Wirtschaft entwicklen, wollen unsere Ressourcen nutzen – und da gehören Öl und Gas dazu."

    Mit diesem Ton scheint Kleist die Stimmung im Volke zu treffen. Als Greenpeace kürzlich in der Hauptstadt Nuuk über die Gefahren der arktischen Ölförderung aufklärte, demonstrierten vor dem Gebäude etwa zehn Mal so viele Grönländer gegen die Umweltorganisation, wie sich Zuhörer im Saal informierten. Denn Öl und Gas werden von den Grönländern nicht allein als Wirtschaftsfaktor betrachtet. Sie sind gleichzeitig der Schlüssel für eine mögliche Unabhängigkeit von Dänemark – ein Wunsch, den die Mehrzahl der Grönländer hegt, der bisher aber – aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Kopenhagen – nicht realisierbar schien. Kuupik Kleist:

    "Ein jedes Volk hat den Wunsch, über sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Wir Grönländer sind da keine Ausnahme. Überall auf der Welt sehen wir blutige Unabhängigkeitskriege, doch zwischen Dänen und uns Grönländern läuft das anders. Wir haben in der Vergangenheit friedlich miteinander verhandelt und werden das auch weiter tun."