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Abstimmung über neue Gesetze
Portugal schwenkt weiter nach links

Heute stimmt das portugiesische Parlament über den Nachtragshaushalt für 2016 ab. Die sozialistische Minderheitsregierung und die kleinen Linksparteien wollen ein Ende des Sparkurses. Fern der finanzpolitischen Fragen bringt das Linksbündnis außerdem eine Reihe von Gesetzen auf den Weg, die die portugiesische Gesellschaft grundlegend verändern könnten.

Von Tilo Wagner | 23.02.2016
    Joana Pires hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf der Zuschauertribüne des portugiesischen Parlaments gesessen und auf ein Abstimmungsergebnis gewartet. Die Rechtsanwältin ist Vorstandsmitglied von ILGA Portugal, einer Organisation, die sich für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen einsetzt. Seit 2010 ist die Homo-Ehe in Portugal in einem Gesetz verankert – doch in einem Paragrafen wurde explizit das Recht ausgeschlossen, Kinder zu adoptieren. Joana Pires hat sich seitdem für die Anerkennung des Adoptionsrechts eingesetzt. Doch die gesellschaftliche Streitfrage ist zum Spielball einer Auseinandersetzung zwischen den linken und rechten Parteien in Portugal geworden.
    Vor zwei Jahren lehnte die damalige Mitte-rechts-Koalition nach einer wochenlangen Kontroverse und trotz interner Streitigkeiten eine Gesetzesänderung ab, die es Homosexuellen zumindest erlaubt hätte, die Kinder ihrer Partner zu adoptieren. Und noch bevor die sozialistische Minderheitsregierung vor drei Monaten im Amt bestätigt wurde, stimmten die Linksparteien für ein volles Adoptionsrecht.
    "Viele Meinungsmacher haben kritisiert, dass das neue Gesetz von den Linksparteien so schnell verabschiedet worden ist. Damit habe die Linke ein sensibles Thema benutzt, nur um im Parlament ihre neue Machtposition zu demonstrieren. Ich sehe das aber anders. Es kann nie zu früh sein, um Gesetze zu verabschieden, die die Menschenrechte stärken. Denn wir haben schließlich lange genug auf eine Gleichstellung gewartet."
    Kampf gegen Diskriminierung
    Das sah der konservative Staatspräsident jedoch anders. In einer seiner letzten Entscheidungen, bevor er im März aus dem Amt scheidet, legte Cavaco Silva sein Veto ein, weil er sich eine ausführlichere Diskussion über das Thema gewünscht hätte. Die Linksparteien zeigten sich unbeeindruckt, billigten das Gesetz im Parlament erneut und zwangen den Präsidenten so dazu, seine Unterschrift unter den Text zu setzen. Für die Aktivistin Joana Pires ist dies ein klares Zeichen, das die neue portugiesische Regierung das Land vor allem gesellschaftspolitisch verändern will:
    "Die Linksregierung ist erst seit Kurzem im Amt, und trotzdem ist jetzt schon klar, dass sie sich für den Kampf gegen Diskriminierung einsetzen will. Ich hoffe, das bleibt in den nächsten Jahren ein Hauptthema. Die Linksregierungen haben sich in Portugal immer sehr viel mehr um die Menschen bemüht. Portugal besteht eben nicht nur aus Wirtschafts- und Finanzthemen. Wir, die Menschen, die hier leben, bewegen uns in dem rechtlichen Rahmen, der vom Parlament geschaffen wird. Und wir hoffen, dass diese Linksregierung der Tradition gerecht wird und sich für die Bürgerrechte einsetzt."
    Legalisierung von Sterbehilfe
    In den Reihen der Linksparteien diskutiert man bereits das nächste kontroverse Thema. Eine Gruppe von 112 Prominenten aus Politik und Kultur hat in der Wochenzeitung "Expresso" ein Manifest veröffentlicht, in dem nun auch die Legalisierung der Sterbehilfe gefordert wird. José Pureza, Abgeordneter des Linksblocks und Vizepräsident des portugiesischen Parlaments, ist einer von ihnen:
    "Das Thema Sterbehilfe war in Portugal lange Zeit Tabu. Diese Initiative ist nun der Versuch von einer Gruppe ganz unterschiedlicher Personen, das Thema ins Zentrum zu stellen. Es ist kein Projekt meiner Partei, sondern es kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Dass wir jetzt darüber reden, hat damit zu tun, dass in den vergangenen vier Jahren eben nicht darüber gesprochen worden ist. Die damalige konservative Regierung hat sich fast ausschließlich nur mit finanzpolitischen Fragen beschäftigt, vor allem mit der Umsetzung des Sparkurses. Jetzt erlebt Portugal den Beginn einer neuen politischen Ära und diese Themen werden ganz natürlich behandelt."
    Die Diskussion über die Legalisierung der Sterbehilfe will der Linksblock noch in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetzentwurf positiv beenden. José Pureza lässt keinen Zweifel daran, dass die Zusammenarbeit zwischen der sozialistischen Minderheitsregierung und den drei kleinen Linksparteien sich dezidiert auch auf gesellschaftspolitische Projekte konzentrieren will.
    "Die Abkommen, die zwischen den Sozialisten und den drei kleinen Linksparteien geschlossen wurden, behandeln fast ausschließlich wirtschafts- und haushaltspolitische Fragen wie zum Beispiel eine neue Lohnpolitik und das Ende des Sparkurses. Das ist es, was die Linksparteien auf dem Papier zusammenbringt. Aber es gibt auch eine ganze Reihe gesellschaftspolitischer Frage, wo die Positionen der Linksparteien in Portugal sich sehr ähnlich sind. Und die sind uns jetzt genauso wichtig."