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Absturz der MH17
Niederlande arbeiten an Plan B für einen Prozess

298 Menschen kamen ums Leben, als Flug MH17 der Malaysia Airlines vor einem Jahr über dem Osten der Ukraine abstürzte. Eine Tragödie, deren Aufarbeitung nicht so recht vorankommt. Nun hat Russland auch noch ein UN-Tribunal abgelehnt. In den Niederlanden wird nun über einem Plan B diskutiert - und dafür gibt es mehrere Möglichkeiten.

Von Kerstin Schweighöfer | 04.08.2015
    Die Absturzstelle im Osten der Ukraine - der BND gibt prorussischen Separatisten die Verantwortung für den Absturz
    Absturzstelle der MH17 im Osten der Ukraine: Die Niederlande möchte die Schuld in einem Prozess klären lassen. (afp / Alexander Khudoteply)
    "Wir wollten den königlichen Weg einschlagen. Und ein UNO-Tribunal wäre die beste Möglichkeit gewesen, die Verantwortlichen für den Absturz des Fluges MH17 zur Verantwortung zu ziehen, denn es hätte alle Länder zur Mitarbeit verpflichtet. Doch Russland hat diesen königlichen Weg blockiert. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir aufgeben. Wir suchen jetzt möglichst schnell nach Alternativen."
    Der niederländische Außenminister Bert Koenders will sich nicht entmutigen lassen. Plan A ist gescheitert, jetzt wird nach Plan B gesucht. Rechtsexperten im ganzen Land kommen derzeit zu Wort, um sämtliche Möglichkeiten, die noch bleiben, durchzuspielen. "Viele Wege führen nach Rom", so Nico Schrijver, Professor für internationales Strafrecht an der Universität Leiden.
    Lockerbie-Variante als Option
    Der 2002 errichtete Internationale Strafgerichtshof in Den Haag allerdings gehört anders als viele denken nicht dazu. Weltgericht wird er auch genannt, weil er Kriegsverbrechern in aller Welt den Prozess machen soll. Doch er ist kein UNO-Tribunal, sondern ein Vertragsstaatengericht, das von Russland nicht anerkannt wird. Das macht es schwierig, so Professor Schrijvers.
    Er plädiert auf die sogenannte Lockerbie-Variante, benannt nach dem Absturz einer Pan-Am-Maschine über dem schottischen Lockerbie 1988, bei dem 270 Menschen ums Leben kamen. Die Verdächtigen waren zwei ehemalige libysche Geheimdienstagenten. Ihnen wurde vor einem schottischen Gericht mit schottischen Richtern der Prozess gemacht. Allerdings auf neutralem Boden, in diesem Falle den Niederlanden. Nur unter dieser Bedingung war der damalige libysche Staatschef Gaddafi bereit, sie auszuliefern. Es dauerte allerdings mehr als zehn Jahre, bis es soweit war. Und abgeschlossen wurde dieser Prozess erst mit dem Urteil im Berufungsverfahren im März 2002.
    "Einer der beiden Angeklagten wurde zu lebenslanger Haft wegen 270-fachen Mordes verurteilt, sein angeblicher Komplize freigesprochen"
    Übertragen auf den MH17-Absturz würde dies bedeuten, dass ein neutrales Land gesucht werden müsste, um den mutmaßlichen Tätern dort den Prozess zu machen. Das Gericht selbst müsste aus Vertretern der fünf betroffenen Länder zusammengesetzt werden - also Australien, Malaysia, der Ukraine, Belgien und den Niederlanden:
    "Diese Länder würden dann einen Vertrag schließen und die Richter und Ankläger für dieses Gericht liefern", so Professor Schrijver. "Die UNO könnte ihm ihren Segen erteilen."
    Doch anders als bei einem UNO-Tribunal, wo internationales Recht vor nationales geht, wäre Russland in diesem Falle nicht zur Mitarbeit verpflichtet. Sollte es sich bei den mutmaßlichen Tätern tatsächlich um Russen handeln, könnte sich der Kreml auf die nationale Gesetzgebung berufen, die die Auslieferung eigener Staatsbürger verbietet.
    Kambodscha-Variante als zweite Möglichkeit
    Bleibt die sogenannte Kambodscha-Variante. Vorbild ist das 2003 errichtete Kambodscha-Tribunal: Es versucht, die Verantwortlichen für den Völkermord zur Rechenschaft zu ziehen, der unter der Herrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 verübt wurde und fast zwei Millionen Menschen das Leben kostete. Den Angeklagten wird nach kambodschanischem Recht in Kambodscha der Prozess gemacht – allerdings vor einem internationalen Richterteam unter Aufsicht der Vereinten Nationen.
    Nach diesem Vorbild könnten auch Russland und die Niederlande einen entsprechenden Vertrag schließen - für ein Gericht auf russischem Boden mit russischen und niederländischen Richtern, findet der internationale Strafrechtsexperte Mischa Wladimiroff, der bereits für mehrere internationale Tribunale tätig war, darunter das Jugoslawien-Tribual:
    "Die Russen haben immer betont, den Angeklagten – wenn diese tatsächlich Russen sein sollten – selbst den Prozess machen zu wollen. Darum kommen sie eigentlich nicht mehr herum, sie stehen unter Zugzwang. Doch es ist die Frage, inwieweit ein solcher Prozess für die Angehörigen befriedigend wäre und internationale Anerkennung finden würde. Deshalb muss Den Haag seinen Einfluss geltend machen: Mit niederländischen Richtern könnte der Prozess befriedigend ablaufen. So wie in Kambodscha, wo kambodschanische und internationale Richter zusammen auf kambodschanischem Boden Kambodschaner verurteilen. Das wäre auch in Russland möglich."
    Wie und wo den Verantwortlichen für den MH17-Absturz der Prozess gemacht werden kann, bleibt abzuwarten. Fest steht bislang nur, dass Den Haag zusammen mit den vier anderen betroffenen Regierungen noch einmal bei der UNO einen Vorstoß für ein UNO-Tribunal wagen will - und zwar im Herbst, sobald der erste Untersuchungsbericht über die Unglücksursache vorliegt. Bis dahin wird hinter den Kulissen an Plan B gearbeitet.