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Absurde Bewerbungskriterien

Grafologische Gutachten und Schädeldeuten: Einige Unternehmen glauben, mit antiquierten Auswahlkriterien Bewerbungskandidaten analysieren zu können. Der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning kritisiert solche fragwürdigen Methoden.

Uwe Peter Kanning im Gespräch mit Manfred Götzke | 18.04.2012
    Manfred Götzke: Wie zeitgemäße und faire Bewerbungsverfahren funktionieren, haben wir hier gestern besprochen: anonym! Der Bewerber lässt einfach Passfoto, Name und Geschlecht weg in seiner Bewerbung, damit ein Herr Öztürk die gleichen Chancen hat wie ein Herr Müller mit ähnlichen Zeugnissen. Während sich diese Bewerbungsform allerdings erst bei ein paar Firmen herumgesprochen hat, halten einige an Auswahlkriterien aus dem vorletzten Jahrhundert fest: Da muss man dann nicht nur die richtigen Referenzen mitbringen, sondern auch die passenden Gesichtszüge. – Kein Scherz! Es gibt Personalverantwortliche, die glauben, an der Größe des Ohrläppchens das Verkaufsgeschick eines Kandidaten erkennen zu können! Uwe Kanning ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Uni Osnabrück und hat sich mit diesen fragwürdigen Methoden auseinandergesetzt. Herr Kanning, was sagt mein ausgeprägter Unterkiefer über meine Teamfähigkeit aus?

    Uwe Peter Kanning: Rein gar nichts! Es gibt natürlich Menschen, die glauben, dass das so wäre, also Personen, die heute seit wenigen Jahren eigentlich wieder aktiv werden in Deutschland, kleine Unternehmensberatungen, Ein-Mann-Unternehmen sind das, die behaupten, dass man in der Schädelform oder in den Gesichtszügen eines Menschen etwas über die Persönlichkeit eines Menschen lesen, ablesen kann. Das ist die sogenannte Psychophysiognomie oder -physiognomik, besser gesagt. Aber es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass das funktioniert, dass da was dran ist.

    Götzke: Nun ist das ja kein Beispiel aus der Nazi-Zeit: Noch heute schließen auch zum Teil namhafte Unternehmen von der Schädelform auf die kognitiven Fähigkeiten, Qualitäten ihrer Bewerber. Arbeiten in manchen Personalabteilungen der Unternehmen Rassisten?

    Kanning: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Ich glaube, es arbeiten in den Personalabteilungen mancher Unternehmen einfach nur Leute, die keine Fachkompetenz haben, das ist das Problem. Das heißt, das sind Personen, die nicht wissen, dass es seit vielen Jahrzehnten Forschung im Bereich Personalauswahl gibt, dass wir ziemlich gut eigentlich wissen, mit welchen Methoden man beruflichen Erfolg vorhersagen kann oder nicht. Das sind Menschen, die lassen sich von, ja, merkwürdigen Alltagsplausibilitäten leiten, oder das sind Menschen, die sich einfach über den Tisch ziehen lassen von Taschenspielertricks, die manche dieser, ich nenne sie unfreundlich Schädeldeuter letztendlich einsetzen. Das sind Menschen, die selbstsicher auftreten, die zum Teil ja auch im Fernsehen, in Talkshows auftreten, und dann wird der ein oder andere Personaler weich und denkt, na ja, wenn die ein Buch geschrieben haben, wenn andere Unternehmen diese Dienstleistungen auch einsetzen, dann wird ja vielleicht was dran sein, ich lad den mal ein, führe mal ein Gespräch. Und wenn die Schädeldeuter dann gute Verkäufer sind, dann kommen die so in die Unternehmen rein.

    Götzke: Wie muss ich mir so ein Bewerbungsgespräch denn vorstellen? Kommt da der Personaler mit einer Schieblehre und vermisst dann meine Schädelform?

    Kanning: Nein. Das wäre sozusagen, wenn man es jetzt zynisch ausdrückt, sogar noch besser, wenn er das machen würde, weil er dann zumindest klare Maße hätte, über die man dann redet. Sondern er macht das einfach ohne irgendein Maß. Das heißt, er würde Sie anschauen und würde dann sagen, oh, Ihre Nase ist relativ spitz und lang oder Ihr Augenabstand ist relativ groß und nutzt dann die Deutungen, die er in irgendeinem Seminar gelernt hat oder die er in der entsprechenden Literatur gelesen hat. Das heißt, da sprechen Sie schon ein wichtiges Problem an: Selbst wenn es so wäre, dass zum Beispiel ein großes Ohrläppchen einen Hinweis auf Geschäftstüchtigkeit darstellen würde – das ist zum Beispiel so eine dieser Deutungen –, dann gibt es überhaupt gar kein Maß dafür zu sagen, ja, ab wann ist denn zum Beispiel ein Ohrläppchen groß?

    Götzke: Das klingt alles ziemlich seltsam und gruselig, aber sind solche Methoden überhaupt zulässig?

    Kanning: Soweit ich das beurteile, ist es so, dass der Gesetzgeber sagt, ich darf in einem Personalauswahlverfahren nur solche Merkmale messen, die berufsrelevant sind. Der Gesetzgeber sagt aber nicht, welche Methoden ich einsetze, um diese Merkmale zu messen.

    Götzke: Also, kräftige Statur, wenn es eine körperlich anstrengende Arbeit ist, festzustellen, das ist erlaubt?

    Kanning: Das macht Sinn, das macht sicherlich Sinn. Oder es ist auch sinnvoll bei jemandem, der sich vielleicht bei mir bewirbt auf eine Ausbildung zum Goldschmied, sein feinmotorisches Geschick beispielsweise zu untersuchen. Das ist ja zielführend, das ist sinnvoll. Die Frage ist, ob ich, wenn ich beispielsweise jetzt Teamfähigkeit oder Durchsetzungsstärke messen möchte, weil ich das für einen bestimmten Beruf brauche, vielleicht ein Polizeibeamter, beispielsweise, ob ich dann so eine absurde Methode wie die Schädeldeutung nehmen sollte. Und da ist die Antwort, die aus der Forschung kommt, eindeutig natürlich: Nein, das sollte ich nicht.

    Götzke: Welche fragwürdigen Methoden werden noch angewandt in Bewerbungsgesprächen?

    Kanning: Also, eine ganz klassische fragwürdige Methode ist natürlich das grafologische Gutachten. Da geht man davon aus, dass in der Handschrift eines Menschen sich die Persönlichkeit dieses Menschen spiegelt. Ich schaue mir also an, ob jemand zum Beispiel tiefe Bögen nach unten macht oder ob die Buchstaben in die Länge gezogen sind und Ähnliches, da gibt es ganz viele solcher Kriterien. Das ist so eine Pseudowissenschaft, die so gut 250, 300 Jahre alt ist. In dem Fall ist es so, dass es sehr viele Studien gibt. Also, bis in die 60er-Jahre hinein hat man so was auch an Universitäten, in der Psychologie untersucht, ist da aber zu dem Ergebnis gekommen, dass es halt keine Zusammenhänge gibt zwischen der Handschrift eines Menschen und der Persönlichkeit. Da gibt es also weit über 200 Studien, die unterm Strich zu dem Ergebnis kommen, man kann das nicht, man kann nicht die Persönlichkeit in der Handschrift sehen und man kann auch mithilfe solcher grafologischen Gutachten beruflichen Erfolg nicht vorhersagen.

    Götzke: Wenn sich ein Unternehmen dieser schädeldeuterischen Methoden bedient, haben Sie ja gerade schon gesagt, kann ich das möglicherweise gar nicht erkennen im Bewerbungsgespräch. Wenn es aber nun ein Unternehmen gibt, das handschriftliche Bewerbungen fordert, sollte ich dann schon skeptisch werden?

    Kanning: Ja, da würde ich in jedem Falle skeptisch werden. Das hat man ja in den 50er- oder 60er-Jahren immer gemacht, weil da die meisten Menschen wahrscheinlich auch gar keine Schreibmaschine hatten. Heute hat jeder einen Computer, heute erwartet man ja auch, dass beispielsweise Lebensläufe tabellarisch abgegeben werden. Und sobald ein Unternehmen von mir einen handschriftlichen Lebenslauf oder irgendwas Ähnliches haben möchte, würde ich hellhörig werden und ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen, ich würde eigentlich den Bewerbern sagen, dass sie so was nicht mit sich machen lassen sollten. Also, ich würde dann mir wünschen, dass Bewerber dann auch selbstbewusst auftreten, das mache ich nicht, ich muss nicht jeden Mist mit mir machen lassen.

    Götzke: Schreibschrift und Schädeldeuten bei der Bewerbung – das wird von einigen Unternehmen in Deutschland praktiziert – ist natürlich völliger Unsinn, sagt der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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