Donnerstag, 28. März 2024

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Abtei Saint-Maurice
1.500 Jahre am Pilgerweg

Ein abendländisches Wunder ist es, dass das Kloster Saint Maurice im unteren Wallis bis heute durchgehend existiert. Es wurde vor 1.500 Jahren an einem alten Pilgerweg gegründet. Am Heiligen Abend wird die Mitternachtsmesse von hier aus in alle Welt gesendet.

Von Joachim Dresdner | 14.12.2014
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    Ausgrabungen St Maurice (Joachim Dresdner)
    Die Basilika wird bis auf den letzten Platz gefüllt sein. Auf ihren Bänken zu beiden Seiten des Altars sitzen die Chorherren. Sie gewähren dem Livefernsehen Einblicke in ihre Messe. Die Basilika aus dem 17. Jahrhundert wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts restauriert und vergrößert.
    Wir schauen uns um, in der Abtei und seiner Geschichte.
    Joseph Roduit, der freundlich lächelnde, würdevolle Monsignore mit kurzen grauen Haaren und schwarzem Ordensgewand. An seiner langen Halskette hängt ein silbernes Kreuz. Über seinem rechten Arm hängt der Griff eines zusammengefalteten Schirms. Es hatte geregnet! So erwartet mich der Abt am Ende der Fußgängerunterführung des Bahnhofes. Auf Höhe des Klosters rollt der Zug in den Tunnel hinein:
    Längst ist der erste Eisenbahntunnel des Kantons Wallis zu klein, um zweistöckige Züge aufzunehmen und längst sind wir im Gespräch, der Abt und ich. Er beschreibt die Lage am Fuß des Felsentors, durch das die Rhône das Wallis in Richtung Genfer See verlässt.
    Das Kloster hat in 1.500 Jahren mehrere Brände und Felsstürze überstanden:
    "Zur Zeit der Römer gab es eine große Quelle, 40 Liter pro Sekunde. Das Wasser kommt oben, von den Bergen und gutes Wasser, können trinken, sie werden es sehen, dass wir sehr gesund sind. (lacht)"
    Liebe ist das Wichtigste des Pilgers
    Der Abt von Saint-Maurice ist das Haupt der Augustiner Chorherren und der fast 6.600 Gläubigen in der Region. Sonntags sind die Chorherren oft unterwegs:
    "Wir haben Mitbrüder in verschiedenen Pfarreien. Wir bedienen 18 Pfarreien in der Umgebung."
    St. Maurice liegt an der "Via Francigena", einem alten Pilgerweg, auf halber Strecke zwischen Canterbury und Rom. Der eigentliche Weg für einen Pilger gehe vom Kopf zum Herzen, erklärt Abt Roduit:
    "Nicht durch das, was wir denken, aber was wir leben, wie denken und wie leben und wie lieben auch, das ist der wichtigste Weg des Pilgers."
    Nun geht es weit zurück in der Zeitgeschichte! Um 380 schon waren Pilger gekommen, um nahe der Gebeine der Soldaten zu beten:
    "Diese thebäischen Legion hat ihre Soldaten verloren von Italien bis in Deutschland, Xanten. Man kann die Spuren dieser Legion sehen und besonders hier. Wir wissen nicht genau, mehr als 300 Soldaten wurden getötet."
    König Sigismund gründete die Abtei
    Sie waren Christen, erzählt Abt Roduit, und bekamen den Befehl Christen zu töten. Das haben die Soldaten der Thebäischen Legion verweigert. Darum wurden sie hingerichtet und südlich von St. Maurice beerdigt. Der erste Bischof des Wallis überführte ihre Gebeine auf einen römischen Friedhof. Dort lagen sie in Sarkophagen über die später die erste Kirche gebaut wurde:
    "Um das Jahr 515, wenn das Römische Reich gefallen ist, sind die Burgunder gekommen und ein König, Sigismund, wird getauft und (nach) seiner Bekehrung gründet er hier die Abtei um das Jahr 515. Von dieser Zeit an sind wir immer da, ohne Unterbrechung. Wir sind Zwerge auf den Schultern der Älteren, der Vorgänger!"
    Abt Roduit hatte 93 Vorgänger. Durch eine Seitentür der Kirche geht es in einem Gang aus der Römerzeit. Eine Maueröffnung gibt den Blick auf die Ausgrabungen der ersten Wallfahrtskirche frei:
    "Hier sind wir vor einem römischen Bogen vom ersten Jahrhundert. Wahrscheinlich als Eintritt der Gärten, wo die Römer hier her kamen, um eine Quelle zu verehren. Sie hatten einen Tempel in Ehren der Nymphe, Göttin des Wassers. Hier sind wir zur Zeit der Römer. Dieser (Statthalter), er war ein Germanicus, wahrscheinlich ein Römer, Offizier, der in Deutschland, Germania, von dieser Zeit war, als er hierher gekommen ist, wurde er hier Statthalter. Er war verantwortlich für vier Städte des Wallis. Die vier Städte sind: Sierre, Sion, Martigny, Saint Maurice, auf lateinisch: Sierum, Sedonum, Octodurum und Agaunum. Agaunum ist jetzt: St. Maurice."
    Bald wird ein Rundweg am Mauritius-Grab vorbeiführen, an dem Karl der Große einst gebetet haben soll:
    "Hier sind wir an einem archäologischen Ort wo fünf Kirchen nacheinander gebaut wurden. Am Anfang war hier nur ein Friedhof. Als Theodorus, der erste Bischof vom Wallis kommt, mit den Gebeinen der Soldaten, war dieser Friedhof zu klein, so machte er eine Kirche herum um das Jahr 380 mit dem Chor nach Osten und die Sarkophage der Soldaten unter dem Boden der Kirche, aber für Mauritius, der Chef, machte er ein Mausoleum an der westlichen Seite."
    Acht Jahrhunderte Gebeine des Heiligen Mauritius
    Für die Archäologen ist es ein Glücksfall, dass das Kloster mehrfach von herabfallenden Felsbrocken beschädigt und die Kirchen leicht versetzt neu aufgebaut wurden. So sind die ältesten Gemäuer heute zugänglich:
    "Hier haben sie das Mauritius-Grab von 4. Jahrhundert in einer römischen Mauer. Im 13. Jahrhundert sind viele Pilger hier her gekommen. Sie wollten das Grab Mauritius sehen. Das war ganz streng und ganz dunkel. Sie kamen mit Fackeln, um das Grab zu sehen, so hat der Abt in 1225 die Gebeine des Heiligen Mauritius in einen Schrein gelegt und diesen Schrein auf den Altar diesmal gelegt. So ist das Grab leer, aber während mehr als acht Jahrhunderte waren die Knochen des heiligen Mauritius da unten. Und die Leute sagen jetzt, warum ein leeres Grab? Ich sage immer, es ist nicht traurig, es gab einen Mann in Jerusalem, auch mit einem leeren Grab (lacht)."
    Um 380 eine erste Kirche über den Gräbern, 515 die Gründung des Klosters – Jahre vor dem bekannten Katharinenkloster auf dem Sinai. Bei der Abtei St. Maurice im Wallis machen Archäologen umfangreiche Funde, beobachtet und begleitet vom Abt:
    "Mein Vorgänger sagte, es ist schwierig mit Archäologen zu sprechen. Sie kommen zu sechst und sie haben acht verschiedene Ideen, aber wir haben sehr gut mit ihnen gearbeitet."
    Dafür, dass das Felsquellwasser sich einen neuen Weg durch die Klosteranlagen suchte, können sie aber nichts:
    "Das ist ein Unfall. Um das Jahr 1858 haben sie die Eisenbahn da gemacht und diese großen Lokomotiven vom 19. Jahrhundert haben die Wasserleitung der Zeit der Römer ganz zerstört. So konnte das Wasser nicht mehr fließen, plötzlich ist die Quelle hier unten entsprungen! Es gab Überschwemmung hier. So haben sie durch die Gräber, durch die Kirche, durch die Stadt, einen Weg gefunden und jetzt: 20 Liter pro Sekunde fließt unter unseren Füßen hier, wir sind fast in Venedig!"
    Den Eingang zur weitläufigen, hohen Basilika schmücken Namen: Menschen verschiedenster Weltanschauungen, die – wie einst Mauritius –für ihre Überzeugung sterben mussten:
    "Hat man die Namen von 270 Märtyrer dargestellt, in Bronze. In chaldäisch, isaarchisch, aramäisch, griechisch, armenisch, chinesisch, japanisch, koreanisch und so weiter und die meisten sind von der Katholischen Kirche, aber einige sind nicht katholisch, aber Christen, wie Martin Luther-King oder auch Bonhoeffer sind hier. Dann einige, die nicht Christen waren, wie Gandhi , die Leute sind ein wenig erstaunt, aber er war auch ein Märtyrer!"
    Die Kirchenfenster erzählen die Geschichte der Thebäischen Legion. – Die oberen Fenster bebildern den biblischen Text: "Sie haben ihr Gewand im Blut des Lammes gewaschen."
    "Wenn der Künstler diese Fenster gemacht hat, haben die Leute gesagt, ja, es ist schrecklich, nicht so viel Blut! Vor zwei Jahren war ich mit einem Ägypter, Bischof und einem Mönch und erzählte diese Geschichte und er sagte, wir waren einmal in einer Prozession in Luxor (früher Theben) und plötzlich haben sie über uns geschossen. Sie sagten, wir wissen was ein Martyrium heißt, auch heute".
    Für den Abt zieht sich die Spur derer, die für ihren Glauben, ihre Lebensart, leiden, oder gar sterben mussten, bis in unsere Tage:
    "Da, unter dem Altar sind die Reste einiger Märtyrer. Vor zehn Jahren hatte ich die Gelegenheit, das zu sehen und zu prüfen und diese Gebeine wurden geprüft und sie haben gesagt, Ende des 3. Jahrhunderts, Typ Mediterranien, das heißt, am Mittelmeer. Das ist ganz wahrscheinlich aus Ägypten. "
    Ein Schwarzafrikaner in römischer Rüstung
    Es könnten Gebeine von Thebäischen Legionären sein, jener Soldaten der römischen Armee, die aus Afrikanern bestand und fernab der Heimat zugrunde ging. Die Hinweise zur vielleicht bedeutendsten Reliquie verlieren sich in der deutschen Domstadt Magdeburg:
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    Dom zu Magdeburg (Joachim Dresdner)
    "Wir sind verbunden mit Magdeburg. Dort haben sie eine schöne Statue von Maurice als Schwarzer. Und hier kommen auch die Afrikaner auf die Wallfahrt".
    Ein paar Tage später und fast 1.000 Kilometer weiter nördlich, im Hohen Chor des Magdeburger Domes, blicken der Kirchenoberbaurat i.R. Michael Sußmann und ich hinauf zur Skulptur des Heiligen Mauritius. Ein Schwarzafrikaner in römischer Rüstung mit wulstigen Lippen und breiter Nase:
    "Hier haben wir ihn, den Heiligen Mauritius. Es gab um 1240 eigentlich nördlich der Alpen qualitätsmäßig nichts Vergleichbares und die Frage ist ja bis heute unbeantwortet: Woher wusste der Steinmetz damals, dass der Mauritius sozusagen ein Schwarzer, so aussah?""
    Unter den Ottonen nahm die Mauritius-Verehrung eine besondere Stellung ein. Otto I. dehnte sein Reich in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts bis nach Süditalien aus. In Rom ließ er sich zum Kaiser krönen. Und im Norden, in Magdeburg am Westufer der Elbe, gründete Otto ein Erzbistum. Es wurde entscheidend für die Christianisierung der Slawen östlich der Elbe. Kirchenoberbaurat Sußmann weist auf die fast 30 Mauritius-Darstellungen im Dom, aus verschiedenen Stilepochen:
    "Verteilt an der Kanzel, am Lettner, an Epitaphien und dergleichen. Insgesamt also eine hohe Zahl, was ja auch bedeutet, dass diese Verehrung für das Erzstift und hier für den Dom eine ganz besondere Rolle gespielt hat."
    Ein Chronist überlieferte, dass der deutsche Kaiser Otto I. zum Weihnachtsfest 960 vom König von Burgund Reliquien von Mauritius erhielt, für den Dom in Magdeburg. Das belegt auch ein Dokument im Archiv der Abtei im Wallis. Im Hohen Chor des Magdeburger Domes, berichtet Michael Sußmann, von jenem Schädelknochen des Mauritius:
    "Im 13. Jahrhundert ist mir eine Nachricht bekannt, wo eine Kopf-Reliquia genannt wird, zur Verehrung dann ganz besonders am 22. September, also dem Tag des Heiligen Mauritius eben hier auch aufgestellt wurde, auf dem Altar und auch dem Volk gezeigt wurde. Also dieser Kopf-Reliquia ist bekannt."
    Und verloren gegangen, in der Reformation, im Dreißigjährigen Krieg oder anderen Wirren jener Zeit. Der Dom zu Magdeburg aber ist dem Heiligen Mauritius noch immer geweiht.
    Die Reliquien haben offenbar nichts von ihrer Bedeutung verloren. Wieder zurück in Saint Maurice schildert mir Abt Roduit diese Begebenheit:
    "Wenn ich einmal in dem Santa Katharina in dem Sinai war, habe ich eine Reliquie gegeben und der Abt weinte. Warum er weinte als ich ihm das gab? Er sagte, sie können nicht verstehen, jetzt bekomme ich Gebeine von einem jungen Soldaten, der hier geboren ist, jetzt, 17 Jahrhunderte später kommt er zurück nach Hause."
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    Abtei St Maurice Notiz zu Magdeburg (Joachim Dresdner)
    Kreuzgang - Ort der Stille
    Am Ende unseres Rundganges durch die Abtei Saint Maurice kommen wir am Kreuzgang des Klosters vorbei. Der sieht richtig alt aus– doch er entstand nach dem jüngsten Felssturz in den 1940er Jahren:
    "Das Wort "Kreuzgang", das ist ein Kreuz in der Mitte, aber auf Englisch sagt man Cloister, französisch: cloître, in italiano: chiestro, das heißt: geschlossen nach außen, offen nach innen. In jedem Kloster ist so ein Ort der Stille. Wir sind unter einem Dach, aber doch draußen. Sehr angenehm, auch wenn es regnet, man kann hier spazieren und beten."
    Manche Stunde verbrachte Josef Roduit hier, während seiner 54 Jahre in der Abtei. Mit leiser Stimme erklärt er mir vor unserer Verabschiedung, dass er die Jubiläumsfeierlichkeiten im September 2015, zu denen vielleicht sogar der Papst anreist, nicht mehr leiten wird:
    "Jetzt bin ich 75, aber Abt 15 Jahre im Dienst! Im nächsten Frühling werden die Mitbrüder einen neuen Abt wählen."
    1500 Jahre! König Sigismund rief 515 einige Mönche an diesen Ort mit der Aufgabe, das Chorgebet zum Lob der Märtyrer zu sichern. Das Kloster im Wallis gilt als älteste, ununterbrochen betriebene Abtei des Abendlandes.
    Die Funde der Archäologen lassen das Kloster in neuem Licht erscheinen. Abt Roduit freut sich, wenn St. Maurice als kirchliche Kultstätte gefeiert wird.
    Eine neue Internetseite ist freigeschaltet und offiziell angekündigt worden, dass man die Schätze des Klosters besser erschließen und zum Fest präsentieren möchte. Der Kirchenschatz von Saint-Maurice gilt als der "bedeutendste" der Schweiz.
    "Nicht die ganze Welt wird hersehen, aber vielleicht werden wir ein wenig berühmter. Ich meine, es ist es auch wert das zu zeigen. Die Treue von diesen Leuten. Generationen sind gekommen, haben gebetet und gelebt - es ist ein gutes Zeugnis."