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Abwartend, aber auffordernd

Seit Beginn der israelischen Luftangriffe auf Gaza vor einer Woche sorgen sich die Libanesen, dass dieser Krieg auf den Zedernstaat übergreifen könnte. Alle Welt blickt auf die radikal-islamische Hisbollah und fragt sich, ob sie die Brüder und Schwestern der Hamas in Gaza militärisch unterstützen wird. Doch danach sieht es zumindest im Moment nicht aus, auch wenn unklar ist, wie lange die Schiitenbewegung das durchhalten kann. Immerhin hat sich die Hisbollah an die Spitze der arabischen Protestbewegung gesetzt.

Aus Beirut Birgit Kaspar | 03.01.2009
    "Wir stehen zu deiner Verfügung Hisbollah" skandieren Zehntausende, die nach Haret Hreik im Süden Beiruts gekommen sind, um gegen die israelischen Luftangriffe auf Gaza zu demonstrieren. Ali, ein Geschäftsmann von Mitte 40 ist stolz, bei der bislang größten Kundgebung in der arabischen Welt seit Beginn des Gaza-Krieges dabei zu sein:

    "Wir werden die Palästinenser mit allen Mitteln verteidigen, wir werden sie nicht alleine lassen. Bei den Angriffen geht es nicht um Hamas, die Israelis töten das palästinensische Volk nur weil sie Palästinenser sind."

    Auch der 16-jährige Schüler Ryan Younis beschwört die Solidarität mit den Palästinensern.

    "Wir kämpfen vielleicht jetzt nicht mit unseren Waffen, aber wir kämpfen mit unseren Worten. Hisbollah muss im Augenblick weise handeln, sie können jetzt keinen Krieg für Palästina führen."

    Die 17-jährige Maha ist in ihrer Ansicht radikaler:

    "Wir wünschen uns, dass Hisbollah Israel wegen der Attacken auf Gaza angreift. Wir haben so viel Schlimmes erlebt, wir akzeptieren einen weiteren Krieg für Palästina."

    Aus Kreisen der Hisbollah verlautet, sie wolle ihr Arsenal jetzt nicht zur Unterstützung der Palästinenser einsetzen, denn es sei zur Verteidigung des Libanon da. Berichten zufolge hat die Schiitenmiliz ihr Waffenlager seit dem Krieg gegen Israel im Sommer 2006 auf 30- 40.000 Raketen aufgestockt. Seit die erweiterte UNO-Friedenstruppe UNIFIL gemeinsam mit der libanesischen Armee den Südlibanon patrouilliert hat sich die Hisbollah-Miliz nördlich des Litani-Flusses eingegraben. Militärische Zurückhaltung sei zumindest im Moment die Entscheidung der Schiitenbewegung, meint Alastair Crooke, Co-Direktor des "Conflicts-Forum", das einen Dialog mit Islamisten propagiert.

    "Hisbollah will den Libanon nicht in einen neuen Krieg führen, für den es keinen politischen Konsens im Land gibt. Aber das hindert sie nicht daran eine herausragende Rolle zu spielen."

    Gleich nach Beginn der israelischen Luftangriffe auf Gaza haben alle in der arabischen Welt auf die Hisbollah geschaut. So als sei sie der einzige arabische Akteur, von dem ein maßgebliches Eingreifen zu erwarten sei. Genau das nutzt Nasrallah, um die Bedeutung des islamischen Widerstandes herauszustellen:

    "Was in Gaza heute passiert und was im Juli-Krieg gegen den Libanon 2006 geschehen ist, sollte genug sein um jeden Araber, jeden, der für seine Rechte und seine Heimat kämpft, davon zu überzeugen, dass es der standhafte islamische Widerstand unter Einsatz seines Blutes ist, der unser Volk schützt und seine Rechte verteidigt. Alle anderen Optionen sind reine Illusion, eine Schimäre."

    Für Nasrallah hat der Krieg in Gaza eine weitreichende Bedeutung. Es geht um einen existentiellen Kampf der Widerstandsachse, die auch Iran und Syrien einschließt, gegen die USA, Israel sowie die pro-westlichen Kräfte in der Region.

    "Es ist klar, dass es ein amerikanisch-israelisches Projekt in der Region für eine ungerechte Lösung des Nahost-Konfliktes gibt, nachdem Ägypten und Jordanien bereits so genannte Friedensverträge unterzeichnet haben. Palästina, Libanon und Syrien sind noch übrig und die Amerikaner und Israelis wollen ihnen nun ihre Bedingungen aufzwingen. Einige arabische Staaten sind direkte Partner dabei."

    Der Hisbollah-Chef hat sich deshalb für eine Mobilisierung der arabischen Strasse gegen die arabischen Komplizen-Regime entschieden - allen voran Ägypten. Durch die Schließung der einzigen nicht-israelischen Grenze zum Gazastreifen mache sich Ägypten an seiner Strangulierung mitschuldig, so Nasrallah. Er unterstützte den Hamas-Aufruf zu einer dritten Intifada - nur solle sie diesmal über die Palästinensergebiete hinausgehen. Nasrallah betreibe damit eine tief greifende Spaltung der arabischen Welt, meint Crooke:

    "Ich denke, dies ist der Beginn eines größeren Kampfes um Reform und Wechsel in der Region. Die Menschen sollen politisch und sozial mobilisiert werden, um radikale Veränderungen zu befördern, die sich wahrscheinlich in den nächsten Jahren vollziehen werden."

    Nicht nur in Beirut, auch in Kairo, in Amman, in Damaskus und in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa folgten die Menschen zu tausenden Nasrallahs Protestaufruf. Der Hisbollah-Chef ist Umfragen zufolge nach wie vor der beliebteste Politiker in der Region. Im Libanon hat die Schiitenpartei nach dem Mini-Bürgerkrieg im Mai 2008 ihren politischen Einfluss stärker institutionalisiert. Sie ist nun Teil einer Allparteien-Regierung mit Vetorecht. Diese Positionierung will sie offenbar vor den geplanten Parlamentswahlen im Frühjahr nicht verspielen. Alastair Crooke:

    "Ich denke Nasrallah verzichtet auf die Option des ersten Schlags. Doch falls der Krieg sich geographisch oder anderweitig ausdehnt, dann ist es möglich dass Libanon oder Syrien oder sonst jemand in den Konflikt gezogen werden."

    Die Lage im Südlibanon ist jedenfalls nach dem Fund vor zehn Tagen von acht auf Israel gerichteten Kurzstreckenraketen, die wahrscheinlich auf das Konto von radikalen Palästinensern gehen, sehr angespannt. Israel intensivierte seine täglichen Überflüge mit Kampfjets und versetzte die Truppen an der Nordgrenze in Alarmbereitschaft. Die libanesische Armee und UNIFIL befinden sich ebenfalls in erhöhter Bereitschaft. Und auch die Hisbollah hat ihre Kämpfer mobilisiert, bestätigt Nasrallah:

    "Wir haben keine Angst. Wir sind uns unsere Sache sicher und bereit, jedem Angriff auf unser Land und unsere Würde entgegenzutreten, egal von welcher Seite er kommt."

    Die größte Gefahr im Südlibanon geht derzeit von radikalen palästinensischen Flüchtlingen aus. Sollte ihnen eine grenzübergreifende Aktion gelingen, dann könnte das eine Spirale der Gewalt auslösen. Wie lange die Hisbollah sich zurückhalten wird, sei offen, meint die Hisbollah-Expertin Amal Saad-Ghorayeb. Denn sie könne nicht zulassen, dass Hamas besiegt werde. Bis jetzt ist sie davon überzeugt, dass Hamas Israel standhalten kann, vor allem wenn die militärischen Nachschubwege an der Grenze zu Ägypten geöffnet würden. Wie immer Hisbollah-Chef Nasrallah sich entscheidet, das grenzenlose Vertrauen seiner Anhänger ist ihm sicher, sagt der Demonstrant und Bankangestellte Hussein Ghamloush:

    "Wir folgen seinem Rat und sind bereit alles zu tun, was er sagt. Nasrallah sagte, wenn der Krieg kommt, dann wird Israel sich wundern. Das bedeutet, dass dann der Zeitpunkt gekommen ist, Israel vollständig zu zerstören."

    Andere Libanesen sind sich da nicht so sicher. Bei aller Wut auf Israel hoffen doch die meisten, dass dem Zedernstaat diesmal ein Krieg erspart bleibt.