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Abwehrschlachten im Äther

Seit 1968 strahlt der staatliche syrische Rundfunk ein Programm in deutscher Sprache aus – informiert aus der Sicht der in Damaskus Regierenden über die syrische arabische Republik. In der Rubrik "Nachrichten" wird das, was im syrischen Alltag geschieht, weitgehend ausgeblendet. Das Wort "Krieg" kommt gar nicht vor.

Von Henning von Löwis | 07.09.2013
    So meldet sich jeden Abend um 19.00 Uhr Mitteleuropäischer Zeit Radio Damaskus. Seit 1968 strahlt der staatliche syrische Rundfunk auf Kurzwelle ein Programm in deutscher Sprache aus – informiert aus der Sicht der in Damaskus Regierenden über die syrische arabische Republik.

    "Liebe Hörerinnen und Hörer, die Generalorganisation für Lebensmittellagerung und Vermarktung hat in dieser Saison ca. 40 Tonnen Birnen von der diesjährigen Birnenernte des südsyrischen Bezirks Oueida aufgekauft. Die Generalorganisation zahlte den Bauern 23 syrische Pfund pro Kilogramm für die Extrasorte und elf syrische Pfund für die normale Sorte."

    Birnenernte in Syrien 2013. Vier Minuten Sendezeit widmet Radio Damaskus der Birnenernte in Syrien, Birnen in der Geschichte, Birnen weltweit und dem richtigen Umgang mit Birnen.

    Gegenüber 2012 sei die Birnenernte in dem erwähnten Bezirk um etwa 300 Tonnen zurückgegangen.

    "Das ist aber verständlich, denn die gegenwärtige akute Krise im Lande beeinträchtigt nicht nur die Landwirtschaft in allen syrischen Provinzen, sondern auch alle anderen Bereiche im Leben der Syrer."

    Fazit des Beitrags über die Birnen:

    "Wildbirnen sind gegenüber Fäulnis sehr anfällig."

    Das, was Radio Damaskus "akute Krise" nennt, bekommt auch der syrische Rundfunk zu spüren. Da werden Kurzwellenfrequenzen angesagt, die seit geraumer Zeit nicht mehr benutzt werden, Satelliten aufgezählt, deren Betreiber die Sendungen aus Syrien nicht mehr verbreiten.

    Die tägliche Programmvorschau erwähnt Sendungen, die – aus welchen Gründen auch immer – derzeit unter den Tisch fallen. So bleibt der beliebte "Hörerbriefkasten" im Moment geschlossen. Einige Mitarbeiter von Radio Damaskus, die viele Jahre lang das Gesicht des deutschen Programms prägten, haben Syrien offenbar den Rücken gekehrt.

    Und die verbleibenden Mitarbeiter tun sich zuweilen sichtlich schwer, die aus dem Arabischen übersetzten Inhalte in halbwegs fehlerfreiem – und stolperfreiem – Deutsch zu vermitteln.

    "Zum Auftakt jeden Abend: ellenlange Nachrichten."

    Aufmacher der Nachrichten: selten Präsident Baschar al-Assad, zumeist weniger namhafte Kräfte und Mächte.

    "Damaskus. Die Bewegung der arabischen Sozialisten in Syrien verurteilte die amerikanischen Drohungen mit einer militärischen Aggression in Syrien und betonte die Bereitschaft der Bewegungsmitglieder das Heimatland zu verteidigen."

    Thema Nummer eins, das sich wie ein roter Faden durch die Sendung zieht: die Verteidigung des Heimatlandes, die Abwehrgefechte im Lande und weltweit gegen den von Präsident Obama angekündigten Angriff auf Syrien.

    "Tausende Demonstranten in der britischen Hauptstadt London wiederholten die Parole 'Hände weg von Syrien!' aus Protest gegen die ausländischen Pläne für die Aktion gegen Syrien."

    Ob Heiliger Vater oder Venezuelas Präsident Maduro, ob tunesische Schriftsteller oder slowakische Kommunisten – Radio Damaskus zitiert jede Stimme, die sich irgendwo auf dem Globus gegen eine militärische Intervention in Syrien erhebt.

    "Die slowakische kommunistische Partei betont auch ihre Ablehnung der vorgesehenen amerikanischen Intervention in Syrien."

    Radio Damaskus nennt Freund und Feind beim Namen. In vorderster Front der Freunde: Russland und China.

    "Moskau. Das russische Außenministerium betonte erneut, dass eine militärische Aggression gegen Syrien ohne Zustimmung des Weltsicherheitsrates eine aggressive Aktion ist."

    Die fernen Freunde in China bemüht man, um an einen anderen Krieg der USA im Nahen Osten zu erinnern, an dessen Beginn eine Lüge stand.

    "Peking. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua erklärte gestern, die Durchführung eines Angriffs auf Syrien wird gefährliche Folgen haben und unverantwortlich sein. Die Welt muss sich daran erinnern, wie der Krieg gegen den Irak durch falsche amerikanische Behauptungen begann."

    Deutschland kommt im deutschen Programm aus Damaskus höchst selten vor. Immerhin, unter ferner liefen in den Nachrichten, eine Stimme aus Berlin:

    "Berlin. Der deutsche Experte für die Angelegenheiten des Nahen Ostens und Islams Peter Scholl-Latour betonte, die syrische Regierung werde keine chemischen Waffen, wie es die Opposition behauptet, einsetzen. Er wies darauf hin, dass die terroristische Organisation Al Kaida mit Giftgas gut umgeht und es einsetzt. Er sagte, die bewaffneten extremistischen Gruppierungen in Syrien, die mit Al Kaida verbunden sind, ist die Seite, die Chemiewaffen einsetzte, um die USA in der Krise in Syrien direkt zu verwickeln, ausgehend von der Verpflichtung des Präsidenten Barack Obama seiner Versprechen diesbezüglich nachzukommen."

    Das alles läuft bei Radio Damaskus in der Rubrik "Nachrichten". Das, was im syrischen Alltag geschieht, wird weitgehend ausgeblendet. Das Wort "Krieg" kommt nicht vor. Radio Damaskus sendet keine Reportagen, keine Interviews und nicht einen einzigen Original-Ton – ausschließlich knochentrockene mehr oder minder lange Wortstrecken unterbrochen durch arabische Musik.

    Wichtigste Botschaft: der angeblich erfolgreiche Vormarsch der Armee.

    "Damaskus. Einheiten der syrischen arabischen Armee setzten gestern und heute ihre Verfolgung der bewaffneten terroristischen Gruppierungen in den Städten Aleppo, Dara und Homs sowie im Landkreis Homs fort. Sie fügten den Terroristen große Verluste an Menschen und Kriegsmaterial zu."

    Will man Radio Damaskus Glauben schenken, so hat Syrien den Krieg fast schon gewonnen. Und weil das so sei, stünden die USA jetzt Gewehr bei Fuß, um ihren Schützlingen durch Militärschläge den Rücken zu stärken.

    Das Ziel jener "teuflischen Allianz", die sich gegen Syrien verschworen hätte, und in der Israel eine maßgebliche Rolle spiele, sei die Zerstörung des syrischen Staates, behauptet Radio Damaskus - nicht in den Nachrichten, sondern im täglichen Kommentar, der auch deutlich als "Kommentar" ausgewiesen wird.

    Ein amerikanischer Angriff auf Syrien hätte – laut Radio Damaskus – verheerende Folgen:

    "Dieser unbedachte Beschluss wird die gesamte Region in Brand stecken. Syrien wird sich selbst verteidigen. Die Verbündeten Syriens werden nicht mit gefesselten Händen zuschauen. Hat Washington mit seinen Alliierten die Folgen ihrer Aggression gegen Syrien aber berechnet?"

    Fragt Radio Damaskus – und sendet patriotische Musik.