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Abwesende Väter können Jungen schaden

Kinder brauchen für eine ideale Entwicklung möglichst beide Eltern. Unter Mitwirkung des Wissenschaftszentrums Berlin wurde eine Studie über Väter in Australien durchgeführt. Ergebnis: Extrem lange Arbeitszeiten von Vätern schaden besonders den Söhnen.

Von Anja Nehls | 29.08.2013
    Die fünf Söhne von Sibylle Langenkamp aus Berlin sind weitgehend ohne Vater aufgewachsen. Und wer sich als Frau bemüht, auch und besonders den Söhnen gerecht zu werden, merkt irgendwann, dass ein Vater eben doch nicht ersetzbar ist, meint die Mutter:

    "Es gibt eben einfach Bereiche, wo man als Mutter an Grenzen stößt, Sport, Technik oder eben ganz alltagsrelevante Dinge, ob der Vater oder die Vaterfigur auf der Toilette steht oder sitzt, das sind alles Dinge, wo ich sage okay das sieht man eben nur bei einem Mann, das kann man als Mutter einfach nicht leisten."

    Besonders Söhne leiden, wenn die Väter lange arbeiten oder im Alltag sogar ganz fehlen. Allein am fehlenden Vorbild auf der Toilette lässt sich das das Leiden natürlich festmachen. Aber eine neue Studie, die 1400 Kinder zwischen fünf und zehn Jahren mehrere Jahre lang beobachtet hat, zeigt deutliche Defizite - vor allem männlicher Nachkommen. Sie wurde zwar in Australien durchgeführt, aber in Deutschland würden die Ergebnisse ähnlich sein, vermutet die Jianghong Li, die Leiterin der Untersuchung vom Wissenschaftszentrum Berlin. Kinder zeigen deutlich mehr Verhaltensprobleme, wenn sie nicht ausreichend mit einem gleichgeschlechtlichen Elternteil interagieren können, sagt die Wissenschaftlerin. Bei Jungen seien aber die Auswirkungen eines weitgehend abwesenden Vaters wesentlich auffälliger als bei Mädchen:

    "Besonders das Vater-Sohn-Verhältnis ist sehr wichtig, mit Jungs etwas zu unternehmen ist sehr wichtig für ihre Entwicklung, sportliche Aktivitäten, angeln gehen, Camping, Spiele spielen, die müssen sich austoben und ihre Energie loswerden können, und wenn sie solche Dinge nicht machen können, dann frustriert sie das."

    Typische Jungs- oder typische Mädchenaktivitäten sind für die Wissenschaftlerin keine Klischees, sondern geschlechtsspezifische Bedürfnisse, die von den Eltern bedient werden sollten. Die Frustration ihrer Söhne hat deshalb auch Sibylle Langenkamp bereits gespürt. Dennoch habe sie als Frau einfach andere Interessen, als Männer – oder eben auch Jungs:

    "Ich kann eben nur von mir sagen, dass ich eben häufig doch keine Lust habe, auf der Straße einfach mal stehenzubleiben, weil da eben ein Maserati oder Ferrari steht, auch wenn das toll anzugucken ist, mir ist das egal. Meine Söhne würden dann vielleicht gerne dieses Interesse mal teilen."

    Wenn sie das nicht können, weil der Vater nicht da ist und die Mutter auch auf einem Fußballplatz oder vor dem Computer eben doch eine Mutter ist und kein Vater, kann das zu auffälligem Verhalten der Jungen führen. Wenn zudem körper- und kraftbetonte Aktivitäten zwischen Vater und Sohn fehlen, sieht die Studie darin ein weiteres Problem. Jianghong Li:

    "So etwas führt zu einem aggressiven und einem Täter-Verhalten, damit ist gemeint: Leute schlagen, Gegenstände kaputtmachen, Leute beschimpfen, also nach außen gerichtetes Verhalten. Einige wenige Jungs in unserer Studie reagierten nicht aggressiv, sondern zogen sich zurück, das nennen wir nach innen gerichtetes Verhalten."

    Das kann Sibylle Langenkamp bestätigen. Einer ihrer Jungs zog sich zurück, die anderen vier kabbelten und prügelten sich – hauptsächlich untereinander. Unbewusst hätten allerdings alle eine Vaterfigur gesucht:

    "Ich habe beobachtet, dass Männer der passenden Generation gesucht werden von den Söhnen, gesucht werden von den Jungs, dass sie sich teilweise eher an die Väter von Spielkameraden, an die Väter meiner Freundinnen gehangen haben und dahingehend orientiert haben, dass sie sich dann auch eine Vaterfigur versucht haben zu suchen. Und das ist alleine schon ein Zeichen dafür, dass es eben doch nicht so einfach ist, dass ein Vater eben unersetzlich ist."

    Bei Söhnen sieht man die Auswirkungen eines abwesenden Vaters deutlicher, bei Mädchen schwächer, aber eventuell dann später, vermuten die Wissenschaftler. In Australien arbeiten fast 20 Prozent der Väter mit kleineren Kindern länger als 55 Stunden, in Deutschland immerhin 15 Prozent. Welche Auswirkungen besonders lange Arbeitszeiten von Müttern auf ihre Kinder haben, wurde nicht erforscht.. Es gab einfach nicht genug entsprechende Mütter für eine repräsentative Untersuchung.