Samstag, 20. April 2024

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Ach, du fröhliche

* Musikbeispiel: Gaida-Hartmann - "Leise rieselt der Schnee" Vorweihnachtliches Liedgut und die musikalische Sprache des Pop? Für Supermarkt-Kunden und Warenhaus-Wanderer gewiss kein Problem. Sie kennen dieses Rezept schon seit Jahren. Namentlich in Gestalt engelhaft schwebender synthetischer Streicher und schmeichelnd-betörender Chöre - der Inkarnation also jenes herzergreifenden Weichspüler-Sounds, der übers Ohr die menschliche Seele aufwühlt und einmal im Jahr gern tief ins Portemonnaie greifen lässt. Jene erfolgverheißende Kombination aus Sentiment und Konsum war es in unserem Fall, die den Kölner Musiker und Komponisten Ernst-Gaida Hartmann animierte, die traulichen Songs noch weiteres Mal zu bearbeiten. Allerdings weniger unter dem Aspekt des Verkaufs, sondern vielmehr zum Zweck einer musikalischen Alternative. Das Resultat lässt aufhorchen, zuhören gar. Denn wenn Sänger Dietmar Bonnen seine Stimme erschallen lässt, dann klingt etwas an, was im Konsumrausch der Unterhaltungsmusik in den vielen viel zu leicht konsumierbaren Versionen ganz verloren gegangen ist. * Musikbeispiel: Gaida-Hartmann - "Zu Bethlehem geboren" Jesu Geburt und der Rhythmus des Blues? Über die musikalische Form lässt sich im Zweifelsfall streiten - Friedrich von Spee's 1635, als im 30jährigen Kriege geschriebenes Strophenlied, das drei Jahre später im 'Kölner Psalter' erschien, wird in dieser Version jedoch nicht verklärt, sondern falscher Hüllen entkleidet und ins Heute geholt. Nicht, ohne auch inhaltlich auf ein gewisses Reibungsmoment zu verweisen. Denn im Namen des Blues funktioniert das besungene Fest nicht mehr als Gipfel des Kaufrauschs, sondern gibt Anlas, bescheiden zu glauben: in Zeiten der Armut beispielsweise an eine gerechtere Welt. Sozialhistorie zu erwecken, ist jedoch eher ein Nebeneffekt. Ernst Gaida-Hartmann war in erster Linie darauf bedacht, auf musikalische Spurensuche zu gehen. Zwölf historische Lieder der Weihnacht hat er in jahrelanger Arbeit nach ihren Quellen befragt und diese - kitscharm - in verschiedenen Tanzmusik-Sounds revitalisiert. Das musikalische Spektrum der CD, die unter dem Titel "Ach, du fröhliche" beim Kölner Kleinlabel Obst erschien, reicht weit und weist den Arrangeur als versierten, sensiblen Musiker aus, der auch des Humors nicht entbehrt. Unerlässlich deshalb, dass ganz zuletzt, als Bonustrack sozusagen und ein wenig verjazzt, Erich Kästners nicht ganz zahnlose Weihnachtslied-Parodie erklingt, die auf einer alten Berliner Weise beruht. * Musikbeispiel: Gaida-Hartmann - "Morgen, Kinder, wird's nicht geben" Weihnachten aus Erich Kästners Perspektive - musikalisch neu arrangiert von Ernst Gaida-Hartmann.

Frank Kämpfer | 28.11.1999