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Acht Beine unter der Lupe

Am schlimmsten fand ich es einfach, wenn man diese acht langen Beine laufen sehen hat. Wenn die irgendwo saßen, war das auch gerade noch machbar, aber sobald die schnell irgendwo lang gelaufen sind und dabei noch dicke große Körper hatten, lange Beine mit Haaren dran, die dadurch auch dick aussahen. Dann war es besonders schlimm. Das sind einfach diese acht Beine. Ich kann das gar nicht beschreiben. Ich glaube, das weiß keiner so genau, warum das so ekelig ist, weil die tun ja auch nichts. Die können ja noch nicht einmal beißen.

Von Kai Toss | 08.09.2004
    Das ist mutig! Die 26jährige Biologiestudentin Anja Nioduschewski schreibt derzeit mit ihrer Kommilitonin Petra Kraayvanger ihre Examensarbeit über eine große Spinnenkolonie in Duisburg. Und das obwohl sie selber Angst vor den Achtbeinern hatte.

    Anja Nioduschewski und Petra Kraayvanger arbeiten derzeit an ihrem Staatsexamen in Biologie. Dabei haben sie sich ein Thema ausgesucht, bei dem viele die Nase rümpfen: Spinnen. Doch statt sich achtbeinige Forschungsobjekte zu suchen, bei denen Expeditionen in abgelegene Gebiete der Welt nötig sind, forschen die beiden jungen Frauen mitten in Duisburg unter den Augen staunender Passanten.

    "Strangers in the night" spielt die Kapelle im Duisburger Innenhafen. Fremde in der Nacht - wie passend. Jeden Abend kommen hunderte, oftmals tausende Menschen an die schicke Hafenmeile mit den vielen Restaurants und Kneipen. An einer beleuchteten Brücke bleiben fast alle Spaziergänger stehen.

    Tausende Spinnen haben ihre Netze gespannt. Durch das Licht werden unzählige Insekten angelockt. Forschung an der Flaniermeile - Petra Kraayvanger öffnet eine Dose mit grüner Farbe. Die so genannten Brückenspinnen sind wahrlich Fremde in der Nacht, von Biologen bisher kaum erforscht. Die Achtbeiner werden mit einem feinen Pinsel markiert.

    'Hier sitzt ein Exemplar, ganz ruhig im Netz, schön mit dem Rücken zu mir, damit ich es gut treffen kann. Jetzt versuche ich mal, den Rücken auf dem Punkt anzusetzen.' - 'Jetzt ist die weggelaufen.' - 'Das war ein kleiner Punkt. Perfekt, würde ich sagen. Klein, aber fein.'

    Die beiden Studentinnen wollen heraus finden, ob die Weibchen stets am gleichen Ort ihr Netz bauen, während die Männchen auf der Suche nach paarungswilligen Weibchen umher ziehen. Anja Nioduschewski geht ganz nah an die von großen Spinnen besetzten Netze, um die bunt markierten Brückenspinnen zählen zu können.

    Heute wollen wir mal schauen, wie viele Spinnen noch da sind, von den 33, die wir vorgestern markiert haben: Ein Weibchen sitzt hier mit orangenem Fleck, 10-13 Millimeter, da hinten noch ein Weibchen 10 bis 13 Millimeter, hier eins ohne Markierung, da ein Weibchen größer 13, ein Weibchen acht bis zehn Millimeter.

    Forschung fürs Examen, während vorbeikommende Passanten zusehen und staunen.

    Das sind schöne Tiere. Ja, ich finde die gut! Und die haben hier gute Nahrung, ne super Quelle!
    Dieser Junge hat den Tieren ausgiebig beim Beutefang zugesehen.

    Das Ungeziefer fliegt da rein. Dann müssen die ganz schnell da hin und die spinnen die ein und dann saugen sie die aus. Und dann: fertig. Dann kommt das Nächste dran.

    Petra Krayvanger dreht zwischendurch beim Beobachten den Kopf zur Seite. Hunderte Fliegen und andere kleine Insekten umschwärmen - von den Lampen angezogen - die Netze der Brückenspinnen.

    Ja, das ist total unangenehm. Vor allem, wenn das jetzt im Sommer hier krass zur Sache geht mit den Insekten. Wir sind da immer am Schnaufen, weil die uns fast in den Mund fliegen. Das ist wirklich sehr unangenehm, ja.

    Für ihr Examen nehmen die beiden das jedoch in Kauf. Außer dem Wanderverhalten interessieren sich die angehenden Lehrerinnen noch für die Frage, ob die Spinnen sozial miteinander leben, sich vielleicht sogar bei großen Beutetieren gegenseitig helfen oder ob sie nur zufällig in großer Zahl an der Brücke leben, weil das Nahrungsangebot ideal ist. Marcus Schmitt von der Universität Duisburg-Essen ist bekennender Spinnenfan. Er unterstützt die beiden Examenskandidatinnen bei ihren Spinnen-Beobachtungen im Innenhafen.

    Das ist ein Tier, das vor unserer Haustür lebt - im wahrsten Sinne des Wortes und das trotzdem relativ wenig erforscht ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Spinnen, die irgendwo in schwer erreichbaren südamerikanischen Dschungeln leben. Die sind besser erforscht. Vielleicht weil für viele die Umgebung dort reizvoller ist. Aber wir sitzen ja hier auch ganz gemütlich und man kann auch hier schöne Forschung an Spinnen betreiben.

    Gemütlich sitzen die Jungforscher nach getaner Arbeit auf der Terrasse einer der vielen Kneipen. Anfang kommenden Jahres, erzählt Petra Kraayvanger ist Abgabetermin für die Examensarbeit, dann wird es Zeit für´s Referendariat.

    Wir studieren beide auf Sekundarstufe eins und zwei, also bis Klasse 13, einschließlich. Deswegen möchten wir natürlich gerne an ein Gymnasium, wenn das möglich ist.

    Dort können sie dann als Chemie- und Biologielehrerinnen unter anderem Schülern mit die Ängste vor Spinnen nehmen. Schließlich hat Anja Nioduschewski es nicht zuletzt durch die Beschäftigung mit den Spinnen geschafft, irrationale Ängste abzubauen. Forschung als Therapie sozusagen.

    Es hat geklappt. Es ist so gut wie weg. Ich weiß nicht, ich hätte es immer noch nicht so gerne, wenn sie über die Hände krabbeln, aber wenn ist das auch nicht so furchtbar schlimm.

    Infos zu Spinnen mit zahlreichen Fotos