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"Achtung! Wir haben Smog-Alarm!"

Am Morgen des 17. Januar 1979 unterbricht der WDR plötzlich sein Radioprogramm: In mehreren Sprachen wird auf überhöhte Schwefeldioxid-Werte hingewiesen. Im Ruhrgebiet und am Niederrhein wird Smog-Alarm der Stufe eins ausgerufen - das erste Mal in Deutschland. Die Bürger reagieren gelassen.

Von Martin Hartwig | 17.01.2009
    "Und welche Auswirkungen hat das auf Sie? Sie kriegen Kopfschmerzen, Sie müssen 'göbeln'!"

    "Ja, indem dass ich Herzschmerzen habe, obwohl ich gar nichts am Herz habe!"

    "Kopfschmerzen und so was alles!"

    "Na ja, etwas, ja. Ich hab auch die Bronchien und das ist schon zu spüren, nicht."

    Am Morgen des 17. Januar 1979 gegen viertel vor zehn unterbrach der WDR plötzlich sein Radioprogramm. Auf Deutsch, Türkisch, Spanisch, Griechisch und Jugoslawisch wurden die Hörer aufgefordert, ihre Wagen stehen zu lassen und keine Gartenabfälle zu verbrennen. Herz- und Lungenkranke sollten zu Hause bleiben.

    "Ja, hab ich gestern schon gemerkt. Man hat auch einen eigenartigen Geschmack auf der Zunge, im Mund. Und man kann schlecht atmen und merkt doch, dass die Luft schlechter wird. Man wird schneller müde."

    Über dem Ruhrgebiet hing eine Glocke aus Industriequalm, Autoabgasen und dem Rauch aus den Kaminen der Wohnhäuser. Dazu herrschte seit Tagen eine sogenannte "austauscharme Wetterlage", mit anderen Worten: Es war windstill, der Qualm konnte nicht abziehen.

    "Ausschlaggebend für die Auslösung des Smogalarms war der hohe Schwefeldioxidwert heute Morgen. In der Zeit von fünf bis acht Uhr war an drei Messstationen im westlichen Ruhrgebiet der Grenzwert für die Auslösung des Smog-Alarms Stufe eins überschritten und wir mussten den Smog-Alarm auslösen."

    Erklärte Elmar Pielow, Leiter der Umweltschutzabteilung im nordrhein-westfälischen Arbeitsministerium. Es war der erste Smog-Alarm in Deutschland und das Wort dafür war noch nicht sehr geläufig. Smog, das englische Kombinationswort aus "Smoke" - Rauch, und "fog" - für Nebel, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in London geprägt. Dort war der "Rauchnebel" eine häufige Erscheinung, die vor allem in den 50er Jahren viele Opfer forderte.

    Auch in Deutschland hatte es schon Tote gegeben. Es wird geschätzt, dass allein während der fünftägigen Smogperiode im Ruhrgebiet im Dezember 1962 150 Menschen an den Folgen der verpesteten Luft starben. Doch damals gab es noch kein Immissionsschutzgesetz, also noch keinen Smogalarm und vor allem gab es auf Seiten der Bevölkerung kein Bewusstsein für Umweltverschmutzung. Man war schlechte Luft einfach gewohnt und nahm sie hin.

    "Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei. Wir haben Smog-Alarm."

    Im April 1973 strahlte die ARD Wolfgang Menges Fernsehfilm "Smog" aus.

    "Autofahrer ersticken hinter ihrem Steuer. Was ist denn ihrer Meinung nach die Todesursache? Ja, die blau-rote Gesichtsfarbe. Fußballspieler werden röchelnd vom Platz getragen."

    Menges Film war einer der Fernsehschocker der 70er Jahre. Nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Erregung über diesen Film wurde eineinhalb Jahre später die nordrhein-westfälische "Verordnung zur Verhinderung schädlicher Umwelteinwirkungen bei austauscharmen Wetterlagen", kurz "Smog-Verordnung", erlassen.

    Am 17. Januar 1979 war es dann soweit. Im westlichen Ruhrgebiet wurde tatsächlich zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte Smog-Alarm ausgerufen. Gegenüber dem Film, der Massenpaniken und Chaos vorausgesagt hatte - und darauf waren einige Behörden eingestellt - nahm sich die Wirklichkeit dann doch etwas unspektakulärer aus. Es passierte - fast gar nichts, wie der "Spiegel" berichtete:

    "In Oberhausen wurden Kommunalbeamte von Bürgern traktiert: 'Was soll der Quatsch? Hier stinkt's doch immer.' So, als sei nichts geschehen, ließen Autofahrer, wie saisonüblich (und unnötig, weil technisch schädlich), den Motor im Stand warmlaufen. Allerorten rollte der Kraftverkehr, laut Polizeiauskunft 'normal, wie immer'."

    Der Smogalarm war ein Alarm der Stufe eins - auch Vorwarnstufe genannt, weil er keine Verbote und Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorsah. Für drastischere Maßnahmen wie Fahrverbote oder einen Stopp der Industrieproduktion war die Belastung mit 0,8 mg Schwefeldioxid pro Kubikmeter Luft zu niedrig.

    Für die Smog-Stufen zwei und drei, bei denen solche Maßnahmen ergriffen worden wären, hätte es deutlich höherer Werte bedurft. Auch diese Marken sollten in den folgenden Jahren erreicht und überschritten werden. Dennoch war der erste Smog-Alarm, genauso wie die folgenden, im Grunde kein Zeichen für eine generelle Verschlechterung der Luft im Ruhrgebiet, sondern vor allem eines für die gestiegene Sensibilität der Gesellschaft gegenüber der Umweltbelastung.

    1985 gab es den letzten Smogalarm im Ruhrgebiet. Das liegt zum einen an den verschärften Umweltauflagen für Fabriken und Kraftwerke, vor allem jedoch an der weitgehenden Deindustrialisierung der Region.