Freitag, 19. April 2024

Archiv

Ackerbau
2.000 Quadratmeter für einen Menschen

Getreide, Kaffee, Baumwolle: Rund 2.000 Quadratmeter Ackerfläche hat jeder Mensch rechnerisch auf der Erde zur Verfügung. Auf dieser Fläche muss alles wachsen, was ein Einzelner zum Leben braucht. Die sogenannte Weltacker-Initiative hat den weltweiten Anbau in Berlin maßstabsgetreu angelegt - und nun erstmals geerntet.

Von Sven Kästner | 16.10.2014
    Mähdrescher in Illinois (USA) auf einem Maisfeld.
    Viele Bereiche der Landwirtschaft werden mittlerweile von wenigen hochgezüchteten sogenannten Hybridpflanzen dominiert. (picture alliance / dpa / Brian Kersey )
    Erntezeit auf einem Feld am Berliner Stadtrand: Zwei Frauen sensen lange Stängel mit weinroten Dolden ab. Amarant Pflanzen, die hier stellvertretend für Reis stehen. Der gedeiht im norddeutschen Klima nicht, ist aber weltweit gesehen eine der wichtigsten Kulturpflanzen. Deshalb gehört er auch hier her, auf den "Weltacker" der ökologisch orientierten Zukunftsstiftung Landwirtschaft.
    "Es gibt 1,4 Milliarden Hektar Ackerland. Also nicht Grünland, nicht Wald, sondern reines Ackerland auf dieser Erde. Und wie wir alle wissen, sind wir mittlerweile etwas mehr als sieben Milliarden geworden. Das heißt, 2.000 Quadratmeter stehen jedem Menschen, klein oder groß, zur Verfügung. Und darauf muss alles wachsen."
    Benedikt Härlin hatte die Idee, auf diesen 2.000 Quadratmetern alles anzubauen, was im selben Verhältnis auch weltweit wächst. Schon ein Blick auf das dicht bewachsene Feld zeigt: Die Abschnitte für Kartoffeln oder anderes Gemüse sind relativ klein. Auf fast der Hälfte der Fläche aber wächst Getreide - also Roggen, Weizen, Mais oder eben der Reis-Ersatz Amarant:
    "Und dann kommt natürlich die Frage: Ja, essen wir denn so viel Brot? Und das tun wir natürlich nicht. Sondern wir verfüttern dieses Getreide an Tiere. Und wir machen auch – gerade hier in Deutschland – einen nicht unerheblichen Teil unseres Getreides zu Energie, zu Sprit. Also hauptsächlich Mais."
    Nicht den Bezug zur Natur verlieren
    Dass mittlerweile auf drei bis vier Prozent der weltweiten Felder Pflanzen für die Energieproduktion wachsen; das auf einem Drittel der globalen Ackerfläche nur Tierfutter angebaut wird; oder dass die Europäer mit ihren 2.000 Quadratmetern nicht auskommen – um diese Themen geht es beim Weltacker-Projekt. Gerade zur Erntezeit stellen sich manche Fragen auch ganz konkret:
    "Wir haben im Moment eine unglaubliche Menge an Kartoffeln und müssen die loswerden. Das ist ja auch eine Erfahrung: Wenn es dann an die Ernte geht, ist plötzlich viel zu viel da."
    An einem Vormittag im September haben Berliner Grundschüler gemeinsam mit Christian Heymann auf dem Acker Möhren geerntet. Der Bauer berät die Weltacker-Organisatoren fachlich und wünscht sich, dass gerade Großstädter nicht den Bezug zur Herkunft ihrer Lebensmittel verlieren.
    "Holt die Kinder auf den Acker zurück. Zeigt den Kindern ab dem Kindergartenalter, wie eine Möhre schmeckt, wie eine Möhre geerntet wird, wie eine Möhre gesät wird. Die Bauern müssen ihre Tore einfach öffnen und wieder die Bevölkerung, die Interessierten, die Gäste aufs Feld lassen und auch transparent arbeiten."
    Bedrohte Pflanzenvielfalt
    Viele Bereiche der Landwirtschaft werden mittlerweile von wenigen hochgezüchteten sogenannten Hybridpflanzen dominiert. Weil das die Vielfalt der Kulturen bedroht und die Abhängigkeit der Landwirte von den Saatgut-Konzernen steigt, hat Bauer Heymann für den Weltacker nur traditionelle samenfeste Sorten ausgewählt.
    "Es ist ja nicht nur der Hintergrund, dass wir hier ein Zeichen setzen wollen. Dass wir hier auf unser Saatgut achten müssen. Sondern es hat einfach unwahrscheinliche Vorteile. Dass sie sich anpassen an schweren Boden, an leichten Boden. Dass sie einfach robust sind, dass da nichts dran verändert worden ist. Wir brauchen robuste Sorten, die auch mal bei etwas trockenerem Wetter wachsen."
    Doch nicht überall auf dem Weltacker haben sich die traditionellen Sorten gegen das Unkraut durchsetzen können. Und die Roggenernte wurde von einem Schimmelpilz vernichtet. Für Städter auch eine Lehre aus dem Projekt: Landwirtschaft ist immer auch mit dem Risiko einer Missernte verbunden.