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ACTA im Stimmungstest

2,8 Millionen Menschen haben sich einer Massenpetition gegen das umstrittene Handelsabkommen ACTA angeschlossen, das heute in Brüssel auf der Tagesordnung des Handelsausschusses steht. Dessen Votum könnte ein entscheidender Stimmungstest für das Europäische Parlament werden, das voraussichtlich Anfang Juli über das Piraterie-Abkommen abstimmt.

Von Sina Fröhndrich | 21.06.2012
    Schwarze T-Shirts mit gelbem Schriftzug: "Act on ACTA. Say no." Sag Nein zu ACTA. Anfang der Woche im Petitionsausschuss in Brüssel: Eine Handvoll Europaparlamentarier sendet mit ihrer Kleidung eine klare Botschaft. Der Ausschuss diskutiert über eine Massenpetition: 2,8 Millionen Menschen haben unterschrieben, gegen das umstrittene Handelsabkommen ACTA. Das lehnen inzwischen auch viele EU-Politiker ab - zum Teil durchaus beeindruckt von den Protesten im Internet und auf der Straße. Dabei seien aus früheren ACTA-Befürwortern sogar ACTA-Gegner geworden, berichtet der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary. Seine EVP-Fraktion steht jedoch weiterhin hinter ACTA. Allerdings nicht bedingungslos:

    "Auch unsere Fraktion hat klare Bedingungen, unter welchen wir ACTA zustimmen könnten und da müsste die Europäische Kommission erst noch Hausaufgaben erledigen."

    Hausaufgaben erledigen, das heißt: Klarheit schaffen, ob die Freiheit im Internet auch mit ACTA gewahrt bleibt. Die Formulierungen im Abkommenstext dazu sind schwammig. Der CDU-Europaabgeordnete will der Kommission Zeit für Zusatzvereinbarungen geben und auf eine Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs warten. ACTA jetzt abzulehnen, so, wie es viele Sozialdemokraten, Linke, Grüne und Liberale tun werden, kommt für den Christdemokraten nicht infrage. Die Europäische Union brauche dringend ein internationales Handelsabkommen, findet Daniel Caspary, als Schutz vor gefälschten Produkten.

    "Lehnen wir ACTA ab und machen wir damit ACTA de facto tot, oder bringen wir einen Patienten, der eine leichte Erkältung hat, nicht lieber zu einem Arzt und versuchen ihn zu kurieren?"

    Ob die Konservativen sich mit dieser Auffassung im Europaparlament durchsetzen, ist ungewiss. Inzwischen gibt es auch in ihren Reihen ACTA-Gegner. Vor allem polnische Abgeordnete lehnen das 52 Seiten lange Vertragswerk ab. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung in Warschau angesichts von Massendemonstrationen gegen ACTA die Ratifizierung ausgesetzt. Das hat selbst den langjährigen ACTA-Kritiker und konservativen Europaparlamentarier Rafael Trzaskowski überrascht.

    "Ich war nicht sehr glücklich darüber, wie sich die Debatte durch die Proteste entwickelt hat. Die Diskussion ist aus dem Ruder gelaufen. Es ging plötzlich nicht mehr um Argumente, sondern nur noch darum, wie Regierungen versuchen, ihre Bürger zu überwachen."

    Die Kritik, die die ACTA-Gegner in Brüssel üben, klingt anders als die, die sich oft im Internet findet oder die man auf der Straße hört.

    Viele EU-Parlamentarier treten offen gegen eine Umsonstkultur im Internet auf, gegen das illegale Herunterladen von Musik oder Filmen. Allerdings findet der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht, ACTA sei in diesem Punkt gefährlich vage:

    "Wenn ich zum Beispiel im Kino sitze und mal eben mit meiner Kamera mitschneide, um das bei Facebook meinen Freunden zu zeigen, und dann in den gleichen Umfang komme wie jemand, der das bei kino.to reinstellt, das ist absolut unverhältnismäßig."

    Der grüne Abgeordnete Albrecht kritisiert zudem, wie ACTA verhandelt wurde: Die EU-Kommission habe Informationen nur selektiv an das Parlament weitergegeben. Jahrelang wurden die Gespräche tatsächlich hinter verschlossenen Türen geführt.

    An den geheimen Verhandlungen stört sich die liberale Parlamentarierin Marietje Schaake nicht. Handelsabkommen wirkten sich auf die Märkte aus, deswegen dürfe nicht alles öffentlich besprochen werden, findet die niederländische Liberale. Schaake kritisiert vor allem eines: dass ACTA die Frage des geistigen Eigentums im Internet zusammen mit dem Schutz vor Markenpiraterie regelt.

    "Wir müssen die Debatte über gefälschte Waren auf der einen Seite und die über illegales Herunterladen im Internet auf der anderen Seite voneinander trennen. Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge, auf die wir auch unterschiedliche Antworten finden müssen."

    Ob die ACTA-Gegner heute im federführenden Handelsausschuss eine Mehrheit erreichen? Marietje Schaake hofft es. In den vergangenen Wochen ist das Abkommen bereits in drei anderen Ausschüssen abgelehnt worden. Das Stimmungsbild der Parlamentarier geht klar in eine Richtung, sagt die niederländische Liberale. Aber in der Politik, das sagt sie auch, da wisse man ja nie.