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Actionreiche Meditation über das Böse

Der Titel ist nicht untertrieben. In seinem Debütroman ist Donald Ray Pollock dem Bösen auf der Spur. Im trockenen Stil inszeniert er Grausamkeiten in der Tristesse des Mittleren Westens Amerikas. Dieser untypische Thriller bietet dem Leser garantiert keine Gelegenheit für Müßiggang.

Von Sacha Verna | 09.05.2012
    Selbst des Teufels Großmutter wäre entsetzt über das Ausmaß des Unheils, das ihr kleiner Liebling in Donald Ray Pollocks Debütroman anrichtet. Ein Mann bringt Blutopfer, um seine Frau zu retten. Ein Pärchen mordet sich die Highways entlang. Ein Priester verführt Minderjährige, ein anderer frisst Spinnen und macht Tote, um sie wieder aufzuwecken. Gewalt aus Wut, Verzweiflung und reiner Perversion pflastert die Seiten dieses täuschend schmalen Buches.

    "Das Handwerk des Teufels" spielt während der zwei Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg im Mittleren Westen Amerikas. Die Figuren bewegen sich zwischen heruntergekommenen Kohlestädten mit Namen wie Knockemstiff und Meade, zwischen Ohio und West Virginia. "Trostlos" ist, was literarische Kulissen betrifft, zum Synonym dieser Landschaft geworden. Auch "gottvergessen" würde gut passen, wäre der Allmächtige nicht so verdammt präsent. Die mehr oder weniger falschen Prediger sind das eine und mit ihnen die Kirchen, die zu jener Zeit in den meisten ländlichen Gegenden noch die wichtigsten Gemeinschaftszentren bildeten. Das andere oder besser, der andere ist der Gekreuzigte. Der hängt überall, in Stuben und Küchen, und auch wo er nicht hängt, hat man den Dornenkönig ständig vor dem inneren Auge. Ohne Leiden keine Erlösung, so die Botschaft. Mit Leiden auch nicht, so die Fußnote dazu.

    Donald Ray Pollock lässt mehrere Handlungsfäden sich zu einem explosiven Knäuel verdichten. Dabei ist "Das Handwerk des Teufels" kein Thriller im klassischen Sinn. Eher eine mit Action gespickte Meditation über das Unwesen des Bösen und die Verlorenheit des Menschen im Diesseits. Spannungselemente setzt Pollock darin geschickt ein. Dazu gehören abrupte Szenenwechsel und das Verengen oder Erweitern der narrativen Kameralinse, je nachdem, was die Geschichte am wirkungsvollsten vorantreibt. Der Leser weiß immer ein bisschen mehr als die Figuren, aber nie so viel wie der Autor.

    Er weiß von den tödlichen Folter-Pornos, die Carl und Sandy während ihrer ausgedehnten Autofahrten mit Anhaltern inszenieren und dass der korrupte Sheriff, Sandys Bruder, den beiden irgendwann auf die Spur kommen wird, bloß um diese Spur sofort wieder zu verwischen. Der Leser ahnt, dass Arvin, eine der wenigen positiven Gestalten in dieser negativen Utopie, den Killern begegnen und sich die Tatsache auszahlen wird, dass ihm sein Vater das Schlachten und Beten zugleich beigebracht hat. Manche Leute würden nur geboren, um begraben zu werden, bemerkt einmal jemand in diesem Roman. Das gilt hier für fast alle.

    "Das Handwerk des Teufels" hat die Form einer Charakter-Collage. Die Perspektive verschiebt sich von Akteur zu Akteur, manchmal mehrfach in einer einzelnen Szene, was erzählerisch nicht immer aufgeht. Hard-boiled könnte man Donald Ray Pollocks Prosa nennen, hartgesotten mit weichen Stellen. Sachlichkeit und Präzision überwiegen, ohne dass die Anschaulichkeit dabei auf der Strecke bleibt. Pickel verunzieren Gesichter, auf dem Boden liegt Staub. Licht und Schatten wandern, ein Hackbraten ist trocken. Coca-Cola vertreibt den fauligen Geschmack im Mund nicht, denn gegen den Tumor, der den Menschen in der Seele hockt, hilft weder Zucker- noch Weihwasser.

    Die Kombination von Heiligenscheinen und Horror hat in der amerikanischen Literatur Tradition. Vor allem der Süden ist für seine gesegneten Schauerepen bekannt. Doch während die Romane und Kurzgeschichten einer Flannery O'Connor eine Art christlicher Realismus prägt und darin zumindest die Illusion des Guten aufrecht erhalten wird, herrscht der Satan bei Daniel Ray Pollock unangefochten. Cormac McCarthy in besonders apokalyptischer Stimmung eignet sich besser als Pate. In Pollocks Kabinett des Grauens spielt die Erbsünde zum Totentanz auf, und alles, was noch lebt, schunkelt im Takt dazu. Das sorgt für packende Lektüre, gewiss. Gleichwohl stellt sich am Schluss die Frage: wozu das ganze Gemetzel? Was soll das Kreuz mit dem Kreuz, wenn die Fiktion sich als Nullsummenspiel entpuppt? Die Antwort darauf bleibt Pollock dem Leser schuldig. Und das ist vermutlich gar nicht schlecht. Denn nach so einem Roman wenigstens einem Schuldiger zu vergeben, ist ein wahres Glücksgefühl.

    Literaturhinweis:

    Donald Ray Pollock: "Das Handwerk des Teufels". Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg. Liebeskind Verlag, München 2012. 303 Seiten. 19.80 Euro.