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ADAC zu Dieselfahrverbot
"Der Staat ist jetzt in der Verpflichtung"

Um die Stickoxid-Belastung in Städten zu minimieren, müssten Diesel-Fahrzeuge nachgerüstet werden, so ADAC-Vizepräsident Ulrich-Klaus Becker im Dlf. Finanziert werden sollten diese durch staatliche Fördertöpfe. Es gebe keinen rechtlichen Ansatz, die Automobilindustrie zur Übernahme der Kosten zu verpflichten.

Ulrich-Klaus Becker im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 28.02.2018
    Ein Hinweis auf die "Euro 4"-Norm und "Diesel" ist in einem Fahrzeugschein zu sehen.
    Ältere Dieselfahrzeuge müssten nachgerüstet werden, weil sie zu viele Stickoxide ausstoßen. (picture alliance/ dpa/Kay Nietfeld)
    Jörg Münchenberg: Auch einen Tag nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für Diesel-Fahrverbote herrscht große Ratlosigkeit. Die verantwortlichen Politiker wollen Fahrverbote unbedingt verhindern. Die Union ist weiter gegen eine blaue Plakette. Die Städte wiederum sehen sich mit dem Problem im Stich gelassen und die Autoindustrie mauert konsequent weiter. Eine finanzielle Beteiligung an den Kosten für eine Hardware-Nachrüstung lehnt sie ab, während sich wiederum viele Autofahrer fragen, was ihr alter Diesel eigentlich noch wert ist.
    Zugehört hat Ulrich-Klaus Becker. Er ist Vizepräsident des Automobilclubs ADAC. Herr Becker, ich grüße Sie.
    Ulrich-Klaus Becker: Guten Tag, Herr Münchenberg.
    Münchenberg: Herr Becker, bislang lassen die Deutschen auf ihr Auto ja nichts kommen. Jetzt drohen Fahrverbote. Die Dieselautos mit Euro fünf und darunter dürften erheblich an Wert verlieren. Dazu überhaupt die Unsicherheit, wie es jetzt weitergeht. Droht da eine ernsthafte Beziehungskrise der Deutschen zum Auto?
    Becker: Die Beziehungskrise ist im Grunde genommen schon da, verschuldet im Grunde von Politik und Automobilindustrie. Ich denke an die Diskussion, an die Werbeaussagen, clean Diesel, was war alles mit dem Diesel verbunden, obwohl die Grenzwerte ja nicht unbekannt waren. Man wusste in der Politik, dass Grenzwerte existieren. Man wusste, dass Grenzwerte einzuhalten sind und dass im Realleben sozusagen die Grenzwerte schon lange überschritten wurden. Und es wurde weder von der Politik, noch von der Automobilindustrie reagiert.
    Man hat dann im Rahmen der Dieselkrise, als es anfing mit den Betrügereien bei VW, ja diese Software-Updates nachgereicht. Das reicht aber nicht. Wir müssen – und das haben wir auch untersucht – zu einer echten Nachrüstung kommen, die eine Reduktion von 70 Prozent innerorts und 90 Prozent außerorts und, wenn man es flächendeckend betrachtet, 25 Prozent Reduktion NOX bringt. Das wäre hilfreich.
    "Man muss den Nahverkehr stärken"
    Münchenberg: Dazu kommen wir gleich noch mal. Ich würde gerne mal bei dem Punkt bleiben: diese Unsicherheit beim Diesel. Da steht ja letztlich jetzt auch die individuelle Mobilität unter Beschuss. Wird da nicht auch das Fahrzeug, das Auto an Attraktivität verlieren?
    Becker: Das Auto ist notwendig. Es ist für viele, wenn Sie an die ländlichen Räume denken, das einzige Mittel, um jetzt in die Städte, an die Arbeitsplätze zu kommen. Es ist für viele Handwerker die einzige Möglichkeit, ihrer Tätigkeit nachzugehen, für Unternehmen, Waren zu bekommen, zu beschaffen und so weiter. Das heißt, es wird immer automobile Mobilität geben und geben müssen. Aber natürlich – und diese Konzepte gibt es ja. Man wird intermodale Verkehre mehr stärken müssen. Man muss die Flotten in den Kommunen stärken. Man muss den Nahverkehr stärken. Man muss den Radverkehr stärken. Das sind ja alles Themen, die nicht neu sind. Nur keiner hat es bisher angepackt und insofern kann man vielleicht sogar froh sein, dass jetzt eine solche Entscheidung getroffen worden ist. Das klingt jetzt schon fast makaber aus Sicht eines Automobilclubvertreters.
    Münchenberg: In der Tat.
    Becker: Aber es ist in der Tat so. Es muss jetzt wirklich was passieren und es darf nicht auf dem Rücken der individuellen Automobilfahrer, die notgedrungen auf ihre Fahrzeuge angewiesen sind und die auch Spaß an dem Auto haben, auf deren Rücken darf es nicht ausgetragen werden.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Becker, weil immer nur auf die verwiesen wird, die auf das Auto angewiesen sind: Es gibt ja auch viele, die das Auto aus Bequemlichkeit einfach nutzen werden. Wird es da vielleicht jetzt einen Umdenkungsprozess geben?
    Becker: Bequemlichkeit ist ja mit vielen Dingen verbunden. Denken Sie an die ganzen touristischen Bereiche. Wollen Sie das unter Bequemlichkeit fassen? Wie wollen Sie mit der Bahn heute an die Ostsee, an die Nordsee kommen? Da gibt es keine Möglichkeiten. Das heißt, es sind ja auch Wohltaten damit verbunden. Es ist staatliches Einkommen damit verbunden. Es sind Steuern damit verbunden. Es ist ja nicht so, dass das nur selbstlos ist, sondern im Gegenteil: Die Automobilindustrie, die Arbeitsplätze, all das führt zu einem Einkommen, zu Steuereinnahmen, und insofern darf man das nicht verteufeln und sagen, okay, die Freizeitmobilität ist eine Mobilität, die wir nicht mehr wollen.
    Wir müssen dazu kommen – und diese Möglichkeiten gibt es ja -, die Belastungen, die NOX-, die Stickoxid-Belastung so zu minimieren, dass sie nicht mehr gesundheitsschädlich sind, dass der Gesundheitsanspruch, der vorgeht, auch erfüllt wird. Das ist technisch möglich, das ist leistbar und es ist nur die Verpflichtung da, das entsprechend umzusetzen.
    "Der Staat ist jetzt in der Verpflichtung"
    Münchenberg: Trotzdem, Herr Becker, ist es ja so: Die Autoindustrie hält sich ja bislang mit diesen Lösungsansätzen betont zurück, obwohl – Sie haben das ja auch gesagt – sie jahrelang bei den Stickoxiden die Grenzwerte nicht eingehalten haben. Gebilligt wird das letztlich ja alles auch von der Politik. Vertraut letztlich die Autoindustrie nicht darauf, dass diese Allianz dann doch weiter halten wird?
    Becker: Die Allianz darf in diesem Sinne ja nicht mehr halten. Wir haben ja andere Beispiele gehabt. Denken Sie an den Förderungsdruck für Rußpartikelfilter, wo der Staat ja schon mal vorgemacht hat, wie sinnvoll es sein kann, in Bezug auf ein anderes technisches Problem beziehungsweise Umweltproblem Maßnahmen zu ergreifen, um alte Dieselfahrzeuge mit diesen Rußpartikelfiltern auszustatten und damit entsprechende Fördermittel auch einzustellen. Solche Instrumentarien gibt es ja und insofern ist der Staat jetzt in der Verpflichtung, nachdem er es über 20 Jahre versäumt hat, diese Themen anzugehen, jetzt endlich diese Themen anzugehen, und dazu gehört es, Fördertöpfe zu schaffen, denn die Beträge sind ja im Einzelfall für die Euronorm-fünf-Fahrzeuge, die nachrüstbar sind, überschaubar. Das sind Beträge von tausend Euro.
    Münchenberg: Das heißt trotzdem, der Steuerzahler soll jetzt letztlich dafür geradestehen, dass wir saubere Autos bekommen, die die Industrie bislang nicht in der Lage ist zu liefern?
    Becker: Wir haben keine Ermächtigungsgrundlage gegenüber der Automobilindustrie. Das muss man leider zur Kenntnis nehmen. Soweit nicht Manipulationsvorwürfe im Sinne betrügerisches Verhalten nachgewiesen werden kann, haben Sie heute leider keinen rechtlichen Ansatz. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
    Dann muss man fragen, was ist Gesundheitsschutz wert. Da denke ich schon, dass es zu einem Mix kommen müsste zwischen der staatlichen Förderung und einer, wenn Sie so wollen, freiwillig, aber moralisch unbedingt erforderlichen Unterstützung durch die Automobilindustrie.
    "Verbraucher sollten jetzt nicht in Panik geraten"
    Münchenberg: Herr Becker, könnte vielleicht bei der Autoindustrie auch das Kalkül dahinter stehen, dass man im Augenblick nichts aktiv dazu beitragen will, das Problem zu lösen, dass man sagt, die Autofahrer sollen jetzt doch neue Autos kaufen, und davon profitiert letztlich dann auch wieder die Autoindustrie?
    Becker: Das Problem ist, dass man heute einem Autofahrer nicht sagen kann, kaufe beispielsweise einen Euronorm-sechs-Diesel. Der Euronorm-sechs-Diesel ist zum Teil genauso "schmutzig" wie der Euronorm-fünf-PKW und umgekehrt ist der Euronorm-fünf-PKW in Teilen besser als der Euronorm-sechs-PKW. Das heißt, jeder Käufer muss warten, bis die Euronorm sechs-D kommt. Das heißt, da sind erst ganz wenige Fahrzeuge auf dem Markt.
    Die Verbraucher sollten jetzt nicht in Panik geraten, sollten abwarten einerseits, bis diese neuen Normen, die dann unter realen Bedingungen getestet sind und entsprechende Werte haben, bis die kommen, wenn es um die Neukäufe geht. Und wenn es um Verkäufe geht, nur nicht in Panik geraten, sondern da sollte man jetzt an Nachrüstung denken, sollte da möglichst schnell die Zertifizierung dieser Nachrüstungsmöglichkeiten in die Wege leiten. Dazu ist wieder gesetzgeberisches Handeln erforderlich, damit diese Fahrzeuge nach Euronorm fünf dann auch den Euronorm-sechs-Fahrzeugen gleichgestellt sind. Und falls es zu den Fahrverboten, zu Streckenstilllegungen kommt, dass man dann mit diesem Fahrzeug auch tatsächlich in die Städte reinkommt.
    Münchenberg: Herr Becker, Sie haben diese Streckenstilllegungen angesprochen, die ja jetzt möglich sind nach dem Urteil des Gerichts. Ist denn überhaupt davon auszugehen, wenn jetzt nur einzelne Straßen gesperrt werden, dass das tatsächlich zur sauberen Luft wirklich beiträgt?
    Becker: Wir haben jetzt ja lokale Grenzwertüberschreitungen. Wir haben ja keine Flächengrenzwert-Überschreitungen. Insofern soll man da auch erst mal die Ursachenbeseitigung machen. Das bedeutet: Wenn Fahrverbote kommen, in der Tat nur auf diese Strecken zunächst mal das begrenzen, und natürlich auch den Umbau der kommunalen Flotten machen. Wir haben das Thema Elektrobusse. Wir haben das Thema Nachrüstung Elektrobusse. Wir haben das Thema Wasserstoff-Fahrzeuge.
    Münchenberg: Aber noch mal zu diesen Strecken, Herr Becker. Der ADAC kennt ja die Autofahrer sicherlich sehr gut. Werden viele Autofahrer dann nicht einfach auf andere Strecken ausweichen, wenn bestimmte Straßen gesperrt werden?
    Becker: Aber doch nur, wenn andere Maßnahmen nicht greifen. Beispielsweise, wenn der Nahverkehr nicht verbessert wird. Viele wollen ja gar nicht mit dem Fahrzeug zwingend in die Stadt. Ich möchte nicht die letzten 20 Minuten, halbe Stunde quasi im Stau stehen, sondern es wäre gut, wenn ich ein Angebot hätte vor den Städten, dass ich dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln vernünftig in die Stadt reinkomme. Das heißt, es ist ein gesamtes Paket erforderlich und nicht von vornherein zu sagen, weil dann bestimmte Strecken gesperrt sind, geht der Autofahrer dann auf Ausweichstrecken. Das ist nicht das Ziel. Das ist auch nicht das Ziel desjenigen, der seinen Arbeitsplatz erreichen will. Er möchte möglichst komfortabel, möglichst zügig an den Arbeitsplatz kommen, gerade wenn man Anfahrtswege hat von 50, 55 Kilometern – das ist ja nicht selten -, weil man sich auch die Wohnlagen nicht mehr leisten kann in Städten.
    Münchenberg: Jetzt muss ich Sie leider unterbrechen, die Sendezeit läuft uns ein bisschen davon. – Das war Ulrich-Klaus Becker. Er ist Vizepräsident des ADAC. Herr Becker, besten Dank für das Gespräch.
    Becker: Danke auch. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.